"Dienst" oder Befreiungstat? Wir brauchen eine Theologie der Macht
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"Nimm hin diese mit drei Kronen geschmückte Tiara und wisse, dass du bist der Vater der Fürsten und Könige, Lenker des Erdkreises, auf Erden Stellvertreter unseres Erlösers Jesus Christus." Paul VI. war der letzte Papst, der diese Worte am 30. Juni 1963 bei seiner Krönung mit der Tiara hörte. Ein Jahr später legte er dieses Metall gewordene Symbol päpstlicher Macht ab – ein souveräner Machtverzicht aus freien Stücken.
Weltliche Macht hat die Kirche weitestgehend verloren. Einen Teil ihrer geistlichen Macht hat sie mit der Anerkennung der Religions- und Gewissensfreiheit im Zweiten Vatikanischen Konzil freiwillig hergegeben. Doch das Kapitel "Kirche und Macht" muss fortgeschrieben werden:
Die Macht der Amtsträger wird heutzutage gerne als "Dienst" verbrämt. Aber Macht wird nicht dadurch weniger, dass man leugnet, sie zu haben. Im Gegenteil: „"Die Tabuisierung von Machtverhältnissen ist zugleich ein Kennzeichen von deren Stabilität", schreibt der Soziologe Stephen Turner.
Die beständigen Aufrufe zur Neu-Evangelisierung hinterlassen bei allem, was daran richtig und wichtig ist, das Gefühl, dass dringend notwendige Reformen der verkrusteten Strukturen "wegspiritualisiert" werden (sollen). Das ändert aber nichts am status quo mit ungleicher Machtverteilung und intransparenten Machtstrukturen.
BefürworterInnen der Frauenordination bekommen oft zu hören, dass es den Frauen doch nur um Macht ginge – und in der Kirche gehe es doch nicht um Macht! Ob man das einem angehenden Priester auch so sagen würde? Vermutlich nicht.
Wie anders hingegen der Gebrauch des Wortes "Macht" in der Bibel: Da ist die Rede von der starken Hand und dem ausgestreckten Arm Gottes, der sein Volk in die Freiheit führt (vgl. Dtn 5,15). Maria jubelt im Magnifikat: "der Mächtige hat Großes an mir getan […] er stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöht die Niedrigen" (Lk 1,46-55). Und die Zeitgenossen staunen über Jesus, "denn er lehrte sie wie einer, der Vollmacht hat" (Mk, 1,22).
Macht als Befreiungstat, als Wiederherstellung von Recht und Gerechtigkeit, als Ermöglichung und Ermutigung – oder neudeutsch: als empowerment. Die Kirche und die Menschen brauchen eine differenzierte und biblisch begründete Theologie und "Theopraxie" der Macht.