Ordensfrau: Abhängigkeit von Klerikern "nimmt uns die Würde"
"Es gibt für uns kein Zurück mehr, hinter die Erfahrungen dieser Corona-Wochen 2020" schreiben die zehn "Ordensfrauen für Menschenwürde" über ihre Erlebnisse während der Pandemie. Schwester Susanne Schneider hat den Text "Fülle in der verordneten Leere" mitverfasst. Im Interview erklärt die Ordensfrau der Missionarinnen Christi, was die Verantwortlichen in der Corona-Pandemie falsch gemacht haben, spricht über Streit mit ihren Mitschwestern und wie es für die Gruppe jetzt weitergeht.
Frage: Schwester Susanne Schneider, was war der Grund dafür, dass Sie den Text über Ihre Corona-Erfahrungen veröffentlicht haben?
Schneider: Wir Ordensfrauen sind in unseren Gemeinschaften, aber auch mit vielen Gläubigen in den Pfarrgemeinden im Gespräch. Wir haben uns darüber ausgetauscht, welche Gottesdienste während der Corona-Pandemie online oder reell besucht wurden. Da gab es einen großen Hilfebedarf, wie sich Gebet und Liturgie angesichts der neuen Situation zufriedenstellend gestalten lassen. Wir als Ordensfrauen mussten – wie alle anderen auch – die Kar- und Ostertage plötzlich neu gestalten. So haben wir jetzt unsere Erfahrungen zusammengetragen und uns gedacht, dass es vielleicht auch anderen eine Hilfe ist, wenn wir zu Papier bringen, wie es uns damit ergangen ist beispielsweise, am Hochfest Ostern einen Wortgottesdienst zu feiern.
Frage: Welche Erfahrungen haben Sie denn gemacht?
Schneider: Wir haben uns auf das Abenteuer eingelassen und die Erfahrung gemacht, dass es neu war. Aber wir haben keineswegs eine Leere gespürt, sondern eine Fülle. Diese Gottesdienste waren, tief, anrührend, spirituell und wohltuend. Wir haben die Gegenwart Gottes durch die Liturgie und unsere Gemeinschaft sehr stark erfahren.
Frage: Was wollten Sie mit der Veröffentlichung Ihres Textes erreichen?
Schneider: Von vielen haben wir die Rückmeldung bekommen: "Ihr formuliert das, was ich irgendwie gespürt habe, aber bisher nicht in Worte fassen konnte." Wir wollen uns damit auch gegenseitig den Rücken stärken und einen Vorstoß machen, weil einiges in der Kirche geändert werden muss.
„Bisher haben sich die Ordensfrauen bei vielen Themen relativ demütig zurückgehalten und geschwiegen. Diese Zeit ist jetzt vorbei.“
Frage: Was wären denn konkrete Punkte, die aus Ihrer Sicht geändert werden müssen?
Schneider: Wir denken, dass eine Eucharistiefeier eine gemeinsame Mahlfeier der Versammlung mit einem Priester ist und kein exklusives Geschehen. Wir hatten oft den Eindruck, dass der Gedanke des Priesters als Stellvertreter Christi mehr im Mittelpunkt steht und der Gedanke der Communio fast vergessen wird. Darüber hinaus wurde uns durch die extrem kurzfristigen Absagen der Gottesdienste an den Kar- und Ostertagen noch bewusster, wie abhängig wir Frauen von einem geweihten Amtsträger sind, der kommen kann oder nicht. Diese Abhängigkeit nimmt uns die Würde. Hinter dem Amtspriestertum ausschließlich für geweihte Männer machen wir inzwischen ein großes Fragezeichen.
Frage: Würden Sie als Ordensfrauen denn häufiger Eucharistie feiern, wenn jemand aus Ihrer Mitte der Feier vorstehen könnte und kein Priester von außen dazukommen müsste?
Schneider: Nicht häufiger, aber mit mehr Gemeinschaft, weil das dann eine von uns machen würde. Wir befürworten die Priesterinnenweihe von Frauen generell, nicht nur die von Ordensfrauen. Das Amt muss reformiert werden. Dass der wichtige Dienst – der Vorsitz einer Eucharistiefeier – nicht nur bei uns, sondern auch zum Beispiel am Amazonas an männliche Kleriker gebunden ist, leuchtet uns nicht ein.
Frage: Ihr Zusammenschluss "Ordensfrauen für Menschenwürde" besteht aus zehn Ordensfrauen in unterschiedlichen Konventen. Welche Rückmeldungen haben Sie von ihren Mitschwestern auf das Schreiben bekommen?
Schneider: Es gibt gemischte Reaktionen. Einige sagen: "Ja klasse! Endlich sagt das mal jemand." Andere – und das sind nicht nur ältere Schwestern – sagen aber auch: "Wir haben das anders gelernt und sind anders geprägt. Ihr dürft das nicht machen." Wir wissen, dass das ein heißes Eisen in der Kirche ist und eine Zerreißprobe für unsere Gemeinschaften. Wir spiegeln da im Prinzip das katholische Kirchenvolk wider. Wir müssen uns immer wieder um Wege der Versöhnung bemühen. Es gibt Gott sei Dank mehr, das uns zusammenhält.
Frage: Wie gehen Sie mit diesen Diskussionen in Ihrem Alltag um? Ist das ständig ein Thema?
Schneider: Nein. Wir haben viele andere Themen, über die wir uns austauschen. Zum Beispiel zieht meine Lebensgruppe gerade um. Da haben wir eher organisatorische Dinge zu besprechen. Für andere Schwestern steht jetzt ihr Besuchsdienst oben auf der Agenda oder ihr soziales Engagement.
Frage: Sie haben erwähnt, dass einige Schwestern die Messen im Livestream verfolgt haben. Viele fanden das Angebot in der Corona-Pandemie praktisch. Wieso halten Sie die Livestreams für ein Problem?
Schneider: Auch bei uns gab es Schwestern, die in Quarantäne waren und 14 Tage lang ihr Zimmer nicht verlassen durften. Da ist der Livestream einer Messe besser als gar nichts und kann trösten und aufbauen. Es gab auch andere, die Gefallen daran gefunden haben. Aber wir suchten etwas Anderes. Unser Vorwurf ist, dass fast ausschließlich auf dieses Format gesetzt wurde, obwohl es in den Pfarrgemeinden gute andere Wege gab. Da hätten die Verantwortlichen häufiger sagen müssen: "Probiert es aus. Macht auch mal einen Wortgottesdienst." Es wäre eine große Chance gewesen, die Gläubigen zu motivieren, in kleinen Hausgruppen selbst aktiv zu werden, die Bibel zu lesen, zu singen und zu beten. Stattdessen gab es eine große Fixierung auf die Heilige Messe. Wir haben uns beispielsweise am Karfreitag gefragt, was uns wichtig ist und wie wir die Feier gestalten wollten. Das waren ganz kostbare, berührende und spirituelle Momente.
Frage: Sie schreiben, dass Sie sich gerade am Anfang häufiger die Frage gestellt haben, was kirchenrechtlich überhaupt erlaubt ist. Haben Sie das als Einschränkung wahrgenommen?
Schneider: Na klar! Wir sind römisch-katholisch und wollen das auch bleiben. Wir wollen – wenn das überhaupt möglich ist – die Kirche von innen verändern. Wir sind gut vernetzt mit dem Frauenbund, mit der Frauengemeinschaft und mit Maria 2.0 und wollen zu den vielen Reformvorschlägen jetzt unsere Erfahrungen beitragen. Bisher haben sich die Ordensfrauen bei vielen Themen relativ demütig zurückgehalten und geschwiegen. Diese Zeit ist jetzt vorbei.
Frage: Wie geht es für Sie jetzt weiter, wo viele Gottesdiente wieder möglich sind? Ist es bei Ihnen wieder so wie vor der Pandemie oder hat sich etwas geändert?
Schneider: Momentan geht es weiter wie vor der Corona-Pandemie. Aber wir schreiben in unserem Text ja, dass wir hinter die Erfahrungen dieser Zeit nicht mehr zurückkönnen. Die Forderung, dass eine Frau einen Gottesdienst leiten soll, gibt es ja schon länger. Jetzt kam die Situation schneller als gedacht von außen. Wir haben erlebt, was machbar ist und uns erfüllt. Jetzt überlegen wir, wie unsere nächsten Schritte aussehen werden. Das ist Neuland für alle und deshalb brauchen wir viel Mut, Kompetenz und gute Nerven. Wir lassen nicht locker, sondern erheben unsere Stimme.