Corona-Vorgaben sorgen für Herausforderungen

Wie die Domspatzen Georg Ratzinger verabschieden

Veröffentlicht am 04.07.2020 um 12:41 Uhr – Lesedauer: 
Eine Chorprobe der Regensburger Domspatzen am 27. November 2009 im Internat in Regensburg.
Bild: © KNA

Regensburg ‐ Da leitet einer 30 Jahre lang einen der berühmtesten Chöre der Welt – der dann wegen Corona nicht zum Abschied singen darf. Eine gewisse Tragik liegt über dem Tod Georg Ratzingers. Die Domspatzen müssen improvisieren.

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Chorsingen ist in Corona-Zeiten gefährlich. Das beweisen Ansteckungsfälle bei Gesangsensembles in den USA, Amsterdam, aber auch in Berlin und Bayern. Die engen Vorgaben stellen nun auch die Domspatzen in Regensburg vor besondere Herausforderungen beim musikalischen Abschied von ihrem am Mittwoch verstorbenen langjährigen Leiter Georg Ratzinger.

Am Sonntagnachmittag wird es im Regensburger Dom eine Totenvesper geben. Eine exklusive Veranstaltung. Die maximal 220 Plätze in den Bänken für die Gottesdienstteilnehmer sind ausschließlich für ehemalige Domspatzen reserviert. Seit Donnerstag können sie sich anmelden, wer zuerst kommt, mahlt zuerst. "Das Pfortentelefon und der E-Mail-Kanal laufen seither heiß", berichtet Chormanager Marcus Weigl.

"Unsortierte Formation" fordert spezielle Fähigkeiten

Von den mehreren tausend Absolventen der musikalischen Talentschmiede finden jedes Jahr etwa 250 Männer zu Treffen mit den aktuellen Domspatzen den Weg nach Regensburg. Einige haben eine Profi-Karriere als Sänger gestartet, sind solistisch oder mit eigenen Ensembles unterwegs. Andere haben einen ganz normalen Beruf jenseits der Kulturbranche ergriffen. Durch die jahrelange Probenarbeit haben auch jene das Singen kaum verlernt, aber was sie am Sonntag erwartet, ist nichts weniger als eine Premiere.

Mit zwei Metern Abstand, über Haupt- und Seitenschiffe verteilt, dürften sie auch während ihrer aktiven Domspatzenzeit noch nie mehrstimmig im Regensburger Dom gesungen haben. Denn der Stammplatz der Chöre ist hinter dem Altar. Zwar müssen sie keinen Mundschutz tragen, aber um in dieser "unsortierten Formation" einen gemeinsamen Klang in dem riesigen spätgotischen Kirchenraum zu erzeugen, sind spezielle Fähigkeiten gefragt.

Georg Ratzinger ist der Bruder des emeritierten Papstes Benedikt XVI.
Bild: ©KNA

Georg Ratzinger war am vergangenen Mittwoch im Alter von 96 Jahren gestorben.

Der Nebenmann wird kaum zu hören sein. Bis der Schall am Ohr ankommt, ist es für den eigenen Einsatz schon zu spät. Umso genauer gilt es auf den Dirigenten zu achten, der überdies für die meisten sehr weit entfernt steht. In den Seitenschiffen werden daher zwei Subdirigenten zum Einsatz kommen, wie Weigl erläutert. "Damit alle im gleichen Tempo singen."

Trotz dieser besonderen Umstände – eine gemeinsame Probe wird es nicht geben. Eine halbe Stunde Ansingen vor Beginn des Gottesdienstes muss genügen. Nur auf das altvertraute Repertoire zurückzugreifen, kommt deswegen aber nicht infrage. Das ist auch eine Frage der Ehre bei diesem besonderen Anlass. Domkapellmeister Christian Heiß hat eigens Psalmen für drei bis vier Stimmen gesetzt. "Das haben sie nicht im Ohr", sagt Weigl. Wer am Sonntag kommt, muss sich mit Noten und Hörbeispielen, die im Internet verlinkt sind, kurzfristig und allein vorbereiten. Aber das werden die Ehemaligen gern auf sich nehmen. Mancher hat sogar seinen Urlaub abgebrochen, um dabei sein zu können.

Aktuelle Chöre können den Abschied nicht mitgestalten

Die aktuellen Domspatzen dagegen – etwa 300 an der Zahl – sind weitgehend zu Passivität verdonnert. An ihrem angestammten Platz dürfen derzeit nicht mehr als 16 Sänger Position beziehen. Nicht viel mehr sind derzeit in den größten Räumen von Schule und Internat für Proben zugelassen. Und das auch erst wieder seit wenigen Wochen und nur stimmgruppenweise. Bei den Abschiedszeremonien für Georg Ratzinger werden daher außer den Ehemaligen nur kleine Ensembles mitwirken, darunter auch Chorleiter und Stimmbildner.

Dass die aktuellen Chöre, darunter der Erste Chor mit seinen 80 Stimmen, den Abschied nicht mitgestalten können, ist traurig, sagt Heiß. "Aber wir freuen uns auf den Tag, wo wir wieder aus allen Domspatzen-Kehlen unseres Verstorbenen gedenken dürfen. Wir werden das zu einem späteren Zeitpunkt nachholen."

Von Christoph Renzikowski (KNA)