Lüdecke: Papst-Primat prägt katholischen Alltag nachhaltig
Der Bonner Kirchenrechtler Norbert Lüdecke sieht die "Rahmenbedingungen katholischer Alltagskultur" als wesentlich durch das Jurisdiktionsprimat des Papstes geprägt an. In einem Interview mit dem Magazin "Die Eule" über die Dogmen des Ersten Vatikanums (1869–1870) betont der Kanonist die Bedeutung des Papstvorrangs als kirchenpolitisches Instrument.
Beispiele für die primatsgeprägte Alltagskultur seien unter anderem der kirchliche Anspruch auf eine Regelung des Sexuallebens der Gläubigen, bei denen Papst Johannes Paul II. und Papst Franziskus jeweils in Ausübung ihres Primats andere Akzente gesetzt haben. Insbesondere durch die Besetzung von Bischofsstühlen könnten Päpste "ganze Bischofskonferenzen 'umpolen'", indem nur Kandidaten eingesetzt würden, von denen nachhaltig Gehorsam zu erwarten sei. Als "Papstgeschöpfe" seien Bischöfe dem Pontifex "als jederzeit absetzbare beamtengleiche Funktionsträger rechtlich ausgeliefert". Das führe laut Lüdecke auch dazu, dass Bischöfe Probleme nicht kraft ihrer eigenen Autorität angingen, "um sich nicht dem Risiko einer primatialen Korrektur auszusetzen". So werde der Verweis auf die "Weltkirche" Teil einer "Verantwortungs-Zurückweisung-Rhetorik" der Bischöfe.
Papst entscheidet, welche Form "heilsamer Dezentralisierung" heilsam ist
Lüdecke stellt fest, dass es zwischen der Ausübung des Jurisdiktionsprimats bei Papst Franziskus keine substantiellen Unterschiede zu seinen Vorgängern gebe. "Lediglich die perfomance ist eine andere." Er spreche zwar von einer "heilsamen Dezentralisierung der Kirche", handele zugleich aber primatsbewusst, etwa durch die vom Kirchenrecht nicht geregelte Einsetzung von Apostolischen Administratoren in Bistümern, die nicht vakant sind ("sede plena"), und durch das Eingreifen in die deutsche Debatte um den Eucharistieempfang nichtkatholischer Ehepartner: "Natürlich weiß er, dass er bestimmt, was heilsam ist, und was nicht (mehr)."
Das Jurisdiktionsprimat bleibe auch dauerhaft ein Hindernis für eine Einheit der Kirchen. Selbst ein freiwilliger Verzicht eines Papstes auf die Ausübung seines dogmatisch verankerten Vorrechts sei keine Lösung: "Das Versprechen eines Papstes, seinen Primat nur dezent oder zurückhaltend einzusetzen oder gar auf seine Ausübung gänzlich zu verzichten, bliebe eine an die Person des Amtierenden gebundene Zusage, eine Gunst, kein Anspruch."
Mit “Pastor aeternus” verabschiedete das Erste Vatikanische Konzil 1870 die Konstitution, die das Jurisdiktionsprimat und die Unfehlbarkeit des Papstes als Dogma identifizierte. In der Formulierung des Kirchenrechts bezeichnet das Jurisdiktionsprimat die "höchste, volle, unmittelbare und universale ordentliche Gewalt", die der Papst als "Haupt des Bischofskollegiums, Stellvertreter Christi und Hirte der Gesamtkirche hier auf Erden […] immer frei ausüben kann" (can. 331 CIC/1983). (fxn)