Wie Pius IX. die Unfehlbarkeit erlangte – und den Kirchenstaat verlor
Die Feder ist mächtiger als das Schwert – das gilt besonders für die Päpste, die bekanntlich keine Legionen haben. Besonders deutlich wird das an Pius IX, bei dem Macht und Ohnmacht nahe beieinander lagen. Zwei Exponate der Ausstellung "150 Jahre Erstes Vatikanisches Konzil, Unfehlbarkeit des Papstes und Fall der Porta Pia" machen das deutlich: Ein eleganter, bunt verzierter Federkiel liegt in einer mit Seide ausgeschlagenen kunstvoll geschnitzten Holztruhe. Ein anderes Schreibgerät ist schlichter: grau und braun, aus Holz, keine Feder am Ende des Griffs.
"Schreibfedern stehen dafür, dass ein Mensch mit Autorität Verantwortung übernimmt, in der Geschichte und auch heute noch", erläutert der Präsident des Päpstlichen Komitees für die Geschichtswissenschaften, Bernard Ardura, gegenüber “Rome Reports” die Bedeutung der Exponate. Sein Komitee hat die Ausstellung in der Galleria Arte Poli mitorganisiert.
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Die beiden ausgestellten Federn stehen für sehr unterschiedliche Aspekte im Pontifikat Pius IX., der 1870 das Papsttum zugleich an seinem Höhepunkt wie den Kirchenstaat an seinem Tiefpunkt sah. Das Erste Vatikanische Konzil hatte noch eben nach einigen Kontroversen die päpstliche Unfehlbarkeit verabschiedet. Mit dem eleganten Federkiel unterzeichnete der Papst dieses Dogma und bestätigte es damit – eine folgenschwere Entscheidung, die die Kirchen- und Theologiegeschichte auch heute noch prägt. Pius IX. war damit auf der Höhe seiner Macht und zementierte sie. Erst das Zweite Vatikanische Konzil fast ein Jahrhundert später sollte dem päpstlichen Primat die Kollegialität der Bischöfe und die Gemeinschaft der Kirche zur Seite stellen. Das Erste Vatikanum kam nicht mehr dazu: Als das Dogma verabschiedet wurde, waren viele der Konzilsväter schon abgereist; teils aus Opposition gegen das Unfehlbarkeitsdogma, teils aufgrund der Sicherheitslage. Eine Einbettung der Lehraussagen über den Papst in Lehraussagen über die Gemeinschaft Kirche fand nicht mehr statt.
Auf dem Konzil Sieger, in der Welt am Boden
Politisch war Pius IX. im Moment seines theologischen Triumphes am Boden: Kurz nach der Verkündigung des neuen Dogmas zog Napoleon III. seine Truppen aus Rom ab, die er dort zum Schutz abgestellt hatte: der Deutsch-französische Krieg war ausgebrochen. Rom wurde von piemontesischen Truppen eingenommen, der Kirchenstaat hörte de facto auf zu existieren.
An diesen Teil der Geschichte des Jahres 1870 erinnert der zweite Stift in der Ausstellung. Mit ihr hat der General der päpstlichen Armee, der Badner Hermann Kanzler, auf Anweisung des Papstes die Kapitulation seiner Truppen unterzeichnet. Nur symbolisch hatten sie Widerstand geleistet, um den weltlichen Machtanspruch des Papsttums zu demonstrieren. "Die erste Kanonensalve schlug eine Bresche in die Mauern des Vatikans nahe der Porta Pia", erläutert Ardura. "Der Papst ordnete sofort ein Ende der Schlacht an, um noch mehr Tote zu verhindern." Kanzler stellte die Kampfhandlungen sofort ein. Der Kirchenstaat war Geschichte, der Papst "Gefangener im Vatikan". Erst 1929 einigten sich Italien und der Heilige Stuhl: Der Papst verzichtete auf alle historischen Rechte am Kirchenstaat, Italien erkannte den Vatikanstaat als souverän an.
Die beiden schicksalshaften Stifte sind noch bis zum 30. September 2020 in der Ausstellung zum 150-jährigen Jubiläum des Jahres 1870 in der Galleria Arte Poli in der Borgo Vittorio, nur wenige Schritte vom Petersplatz entfernt, zu sehen.