"Bei der Kreuzverehrung öffnete und heilte Christus mein Herz"
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Sechs "Gründermönche" haben heute vor zwei Jahren, am 2. September 2018, das Zisterzienserkloster im brandenburgischen Neuzelle neu gegründet. Einer dieser Mönche ist Pater Alberich Maria Fritsche. Für den 28-Jährigen war der Umzug nach Neuzelle eine Art Heimkehr, denn er stammt gebürtig ebenfalls aus Brandenburg. Wie ihn sein Lebensweg aus Senftenberg über einige Irr- und Umwege schließlich als Novize in das Stift Heiligenkreuz in Österreich und dann nach Neuzelle geführt hat, erzählt er im Interview der Reihe "Mein Glaube, mein Leben".
Frage: Pater Alberich, Sie stammen aus dem südlichen Brandenburg und damit aus einer Region, in der das Christentum nur ein Nischendasein fristet. Sie selbst wurden allerdings in eine sehr katholische Familie hineingeboren. Welche Rolle haben Glaube und Kirche in Ihrer Kindheit und Jugend gespielt?
Fritsche: Eine sehr große. Ebenso wie meine drei älteren Geschwister bin auch ich von klein auf im christlichen Glauben aufgewachsen und davon geprägt worden. Zunächst natürlich in der Familie und Verwandtschaft, wo das Gebet und Glaubensfragen zum Alltag gehörten. Wir waren als Familie zudem immer sehr in unserer Pfarrgemeinde engagiert: Meine Brüder und ich haben am Altar gedient und mit unserer Schwester zu Weihnachten und Ostern musiziert. Wir denken heute gern an Organisten, Musiklehrer und Referenten zurück, die uns in die Kirchenmusik eingeführt haben.
Frage: Der Glaube war also früh ein wichtiger Teil ihres Lebens. War das – gerade in der Zeit als Jugendlicher – eine Herausforderung in einer so wenig christlich geprägten Region?
Fritsche: Jenseits der Familie und der Pfarrgemeinde habe ich die Stimme Gottes sehr leicht überhört. Und natürlich wurde ich zum Beispiel in der Schule auch gefragt: "Du bist doch Christ. Was machst Du da eigentlich jeden Sonntag in der Kirche?" Oft drängte mich mein Gewissen, meinen Freunden ein "Nein" und Gott ein "Ja" zu geben. Lange Partys und Sonntagsmessen habe ich selten im Doppelpack bewältigt. Und doch habe ich manchmal versucht, mit Brummschädel beim Hochamt zu assistieren. Ich habe in dieser Zeit versucht, es allen irgendwie recht zu machen und beide "Welten" unter einen Hut zu bringen – aber das war natürlich nicht leicht. Auf der einen Seite die Familie und die Pfarrgemeinde, wo man als Christ unter seinesgleichen war. Auf der anderen Seite das Leben außerhalb der "katholischen Blase", wo ganz andere Dinge wichtig waren. Das hat mich mitunter schon zerrissen.
Frage: Haben Sie das Christsein in dieser Zeit manchmal als Belastung empfunden?
Fritsche: Das nicht, aber groß nach außen getragen habe ich meinen Glauben damals auch nicht. Ich wurde diesbezüglich sicher auch stark durch meine Eltern geprägt, die ihr Christsein angesichts ihrer Erfahrungen in der DDR, wo sie als Katholiken ausgegrenzt und drangsaliert worden waren, vor allem im geschützten Raum der Familie und der Pfarrgemeinde gelebt haben. Es fiel ihnen sehr schwer, als Christen freimütig zu leben und andere für den Glauben zu gewinnen. Meine Mutter hat allerdings den Aufbau der Caritas-Sozialstation in Senftenberg in den 1980er Jahren mitgestaltet. Über 40 Jahre hat sie als katholische Krankenschwester vielen Patienten, Kollegen und Nachbarn Christus in treuer Nächstenliebe verkündet. Und auch wenn ich eine Bedrängnis, wie meine Eltern sie in der DDR erdulden mussten, selbst nicht mehr erlebt habe: Das Gefühl, dass der Glaube Privatsache ist und einem mitunter wie ein Joch auf den Schultern liegen kann, hat mich lange begleitet.
Frage: Dass Sie nur wenige Jahre später in den Zisterzienserorden eintreten würden, war damals noch nicht absehbar?
Fritsche: Nein, definitiv nicht. Im Rahmen der Firmvorbereitung kam ich zwar zum ersten Mal mit den Zisterziensern in Berührung – bei einem Besuch im Kloster St. Marienthal –, aber eine Berufung habe ich damals noch nicht gespürt. Ich erinnere mich jedoch, dass mich die Atmosphäre sehr fasziniert hat. Das Chorgebet, die Begegnung mit der Gastschwester und die barocke Architektur – das alles hat großen Eindruck bei mir hinterlassen. Im Gymnasium habe ich aber zum Beispiel Französisch statt Latein gelernt, die Noten im Religionsunterricht lagen meist im Mittelfeld. Heute staunen Priester und Gemeindereferenten über meinen Werdegang.
Frage: Zunächst schien Ihr Leben also auf eine normale Berufslaufbahn hinauszulaufen?
Fritsche: Richtig. Vor dem Abitur habe ich ein paar Praktika in der Veranstaltungstechnik gemacht und viele Ideen schwirrten in meinem Kopf. Bühnentechniker am Theater hätte ich mir zum Beispiel vorstellen können, eine Tätigkeit beim Rundfunk oder irgendwas mit Geografie, weil das mein Lieblingsfach in der Schule war. Aber richtig konkret war nichts davon, was schließlich dazu führte, dass ich nach dem Abitur erstmal ziemlich in der Luft hing. Als meine Freunde alle schon längst einen Ausbildungs- oder Studienplatz hatten, saß ich noch planlos zu Hause rum.
„Bei einer Osterbeichte habe ich gemerkt, wie sehr Christus mir in diesem Sakrament vergibt und mich liebt. Ich ahnte ein wenig, wie großzügig Gott mit unseren Leiden umgehen kann.“
Frage: Und Ihre Eltern wurden langsam nervös ...
Fritsche: Die haben sich natürlich Gedanken gemacht, klar. Ich bin dann aber recht bald mit dem Dresdner Verein "Initiative Christen für Europa" in Kontakt gekommen, der internationale Freiwilligendienste organisiert. Mein früherer Heimatpfarrer Christan Pabel, der meinen Berufungsweg bis heute begleitet, hatte mir einen Tipp gegeben. Und nach einem Vorbereitungswochenende wurde mir kurzfristig eine Stelle in einem ökumenischen Sozial- und Kulturprojekt in der Ukraine angeboten, die ich auch sofort angenommen habe. Ich war ja jung und offen für Abenteuer. Meine Eltern waren allerdings ziemlich geschockt; ihnen war der frühere "Ostblock" nicht geheuer. Ich aber hatte Lust auf ein fremdes Land und eine fremde Kultur und wollte mich im Glauben an Christus erproben.
Frage: Welche Erfahrungen haben Sie in der Ukraine gemacht?
Fritsche: In der täglichen Arbeit mit den alten und behinderten Menschen bin ich schnell an meine Grenzen gestoßen, vor allem aufgrund meiner fehlenden Sprachkenntnisse. Gleichwohl hat mir die Arbeit durchaus Spaß gemacht, und ich habe irgendwann gedacht, dass eine caritative Tätigkeit auch langfristig eine Perspektive für mich seien könnte. In der Begegnung mit dem leidenden Christus geriet ich oft ins Staunen und Weinen. In der Freizeit habe ich das orthodoxe Mönchtum kennengelernt. An Weihnachten und Ostern habe ich Klöster besucht und den kräftigen Gesang, die opulente Liturgie und den herben Weihrauch auf mich wirken lassen.
Frage: Haben Sie da zum ersten Mal gedacht, dass das Mönchtum auch für Sie eine Perspektive sein könnte?
Fritsche: Es hat auf jeden Fall etwas ausgelöst in mir, auch wenn das sicher noch nicht so konkret war.
Frage: Wie ging es weiter?
Fritsche: Kurz vor meiner Rückkehr nach Deutschland habe ich mich um einen Ausbildungsplatz in der Krankenpflege beworben und auch bald eine Stelle bekommen – am katholischen Marien-Krankenhaus in Berlin-Lankwitz. Ich habe allerdings schnell gemerkt, dass dies nur eine kurze Zwischenstation sein wird. Mir war vor allem der seelsorgliche Aspekt im Umgang mit den Patienten wichtig, aber das spielte in der Ausbildung kaum eine Rolle. Auch meine Ausbilder haben schnell gemerkt, dass ich mit den Patienten zwar sehr einfühlsam war, in der eigentlichen Arbeit als Krankenpfleger aber große Defizite hatte. Die Folge war, dass ich noch während des Probe-Halbjahrs entlassen wurde.
Frage: Das war sicher ein Schock für Sie, oder?
Fritsche: Das hat mich ziemlich aus der Bahn geworfen, ja. Auch wenn ich natürlich selbst um meine Defizite wusste – plötzlich stand ich vor dem Nichts. Ich bin depressiv geworden, war mehrere Monate arbeitslos und habe mich nur mit Gelegenheitsjobs über Wasser gehalten. Erschwerend kam hinzu, dass ich mich in Berlin überhaupt nicht wohl gefühlt habe; die Stadt war mir zu bunt, zu laut und ich hatte kaum Freunde dort. Einzig die Kontakte bei der Gemeinschaft Sant'Egidio und das Gebet meiner Eltern und Paten hielten mich munter. In dieser Zeit der inneren Finsternis und Ratlosigkeit habe ich schließlich stärker zum Gebet gefunden. Ich habe die Gottesmutter Maria um Hilfe gerufen, eine Wundertätige Medaille angelegt und regelmäßig die Heilige Messe besucht. Bei einer Osterbeichte habe ich gemerkt, wie sehr Christus mir in diesem Sakrament vergibt und mich liebt. Ich ahnte ein wenig, wie großzügig Gott mit unseren Leiden umgehen kann.
Frage: Ist in dieser Phase die Idee gereift, es mit einem Theologiestudium zu versuchen?
Fritsche: Ich habe damals natürlich viel darüber nachgedacht, was aus meinem Leben werden soll. Ohnmächtig habe ich Gott bestürmt: Was hast DU mit mir vor? Exerzitien mit anderen Gottsuchern im Kloster Alexanderdorf bei Berlin hatten mich mutig gestimmt. Mit Hilfe eines Berliner Pfarrers kam ich dann auf die Idee, mir ein paar Ordensgemeinschaften anzuschauen; es ging mir dabei zunächst nur um so etwas wie "Kloster auf Zeit". Wir haben dann gemeinsam erwogen, welche Gemeinschaft und welches Kloster für mich in Frage kommen könnten. Wir dachten zunächst an die Benediktiner, die Dominikaner oder die Legionäre Christi. Das Witzige ist: Als ich dem Pfarrer schließlich Heiligenkreuz vorschlug, hat er ziemlich abwehrend reagiert. "Bitte versuche es woanders", hat er zu mir gesagt. Heiligenkreuz war ihm irgendwie suspekt. (lacht)
Frage: Sie haben sich aber trotzdem für Heiligenkreuz entschieden. Wann sind Sie dorthin gefahren?
Fritsche: Im September 2013, zum Fest Kreuzerhöhung. Für den Besuch in Heiligenkreuz, so hieß es im Vorfeld, sollte ich mich auf Liturgie, Kraftsport und Gartenarbeit einstellen. Der Blick auf den Tagesablauf der Mönche erfüllte mich zugleich mit Jammer und Hoffnung. Meine fest antrainierte Unpünktlichkeit musste ich nun bekämpfen oder aufgeben. Vom Chorgebet im Kloster versprach ich mir eine Erfrischung meines musischen Talents. Der Herr sollte mir nun den Weg weisen. Ich wollte zehn Tage dort bleiben, ein bisschen ins Klosterleben reinschnuppern und anschließend mit ein paar Freunden eine längere Radtour durch Ungarn unternehmen.
Frage: Doch Ihre Pläne haben sich dann schnell geändert ...
Fritsche: Richtig. Als ich in Heiligenkreuz ankam, war ich nach der schweren Zeit in Berlin massiv seelisch belastet und innerlich niedergeschlagen. Mein voll bepacktes Fahrrad spiegelte meinen geistlichen Zustand. Und dann habe ich dort zehn Tage erlebt, die alles verändert haben. Ich bin unglaublich herzlich aufgenommen worden und habe mich gefühlt wie der verlorene Sohn, den der Vater zu Hause festlich aufnimmt. Besonders eindrücklich war die Beerdigung Pater Alberich Strommers am ersten Tag nach meiner Ankunft. Tiefe Sammlung, Hoffnung und Aufmerksamkeit prägten das rituelle Geschehen im Kloster. Am Kreuzerhöhungssonntag durfte ich zudem bei einer feierlichen Liturgie mit Bischof Ludwig Schick ministrieren. Bei der anschließenden Kreuzverehrung am Marienaltar berührte, öffnete und heilte Christus mein Herz. Ich taumelte in der Abteikirche umher wie auf wogenden Wellen und suchte Halt für einen nächsten Schritt. Bald darauf streckte der Herr seine machtvolle Hand nach mir aus. Am Nachmittag wiederholte er mir das Versprechen an Petrus aus dem Matthäusevangelium: "Jeder, der um meines Namens willen Häuser oder Brüder oder Schwestern oder Vater oder Mutter oder Kinder oder Äcker verlassen hat, wird dafür das Hundertfache erhalten und das ewige Leben erben."
Frage: Wurde Ihnen während der zehn Tage also endgültig klar, dass Sie Mönch werden und in Heiligenkreuz Theologie studieren wollen?
Fritsche: Ja, das war mir nach diesen Tagen klar. Abt Maximilian hat mich am Ende der zehn Tage als Kandidat für das Kloster aufgenommen, und Pater Karl, der damals Rektor der Hochschule in Heiligenkreuz war, hat mich für das Wintersemester als Student angenommen. Während Abt Maximilian mir allerdings bis in den späten Herbst Bedenkzeit geben wollte, hat Pater Karl mir die Pistole auf die Brust gesetzt. An meinem letzten Tag in Heiligenkreuz traf ich ihn beim Frühstück und er fragte, wie es mir im Kloster ergangen sei. Ich habe ihm dann ein bisschen erzählt und auch gesagt, dass der Abt mich als Kandidat aufgenommen habe, mir aber noch Zeit gegeben habe, damit ich meine geplante Radtour machen und meinen Weggang aus Berlin regeln könne. Da hat Pater Karl auf den Tisch gehauen und gesagt: "Was fällt Dir ein? Du darfst hier studieren und Kandidat werden, und sagst mir, dass Du noch Zeit brauchst, um eine Radtour zu machen?" Das klang wie Jesus, der einem Dienstwilligen im Lukasevangelium erwidert: "Keiner, der die Hand an den Pflug gelegt hat und nochmals zurückblickt, taugt für das Reich Gottes". Plötzlich musste ich konkret umkehren und Christus nachfolgen. Und der Herr sorgte für alles: Am 1. Oktober begann das Studium.
„Momente des Zweifels gab es natürlich immer wieder, aber meine Berufung habe ich nie in Frage gestellt. Es gab vielmehr Momente, bei denen mir meine Berufung eindrucksvoll bestätigt wurde.“
Frage: Vorher sind Sie aber trotzdem noch aufs Fahrrad gestiegen – aber nur kurz.
Fritsche: Richtig, als wir mit den Fahrrädern Wien erreichten, habe ich zu meinen Freunden gesagt: Fahrt ihr weiter, ich geh' ins Kloster. Die haben natürlich ganz schön geguckt. (lacht) Ich bin dann stattdessen zu meinen Eltern und Geschwistern gefahren, um ihnen meinen Entschluss mitzuteilen. Die waren natürlich auch überrascht, aber sie haben das mitgetragen – auch, weil sie, glaube ich, gemerkt haben, wie ernst es mir war. Meine Mutter hat mir hinterher gesagt, sie hätte schon bei meiner Ankunft gespürt, wie unaufhaltsam meine Sehnsucht war. Gott hatte mit voller Wucht zugepackt.
Frage: Was ist Ihnen aus Ihren ersten Jahren in Heiligenkreuz besonders in Erinnerung?
Fritsche: Die ersten Jahre waren natürlich insgesamt eine aufregende Zeit. Das Studium, die Klostergemeinschaft, das Chorgebet – alles hatte seinen Reiz und seine Herausforderung. Gebet, Arbeit, Lesung, Erholung von 5 bis 21 Uhr. Nahezu 365 Tage im Jahr folgen einem maßvollen und gesunden Rhythmus. Man durchläuft in dieser Zeit ja auch eine spannende Entwicklung. Im ersten Jahr der Kandidatur ist man noch sehr frei und man behält auch seinen zivilen Namen. Dann kommen das Noviziat – mit weißem Gewand und neuem Namen – und die einfache Profess, das ist quasi wie eine Verlobung. Abt Maximilian trug mir dann Dienste in der Kirchenmusik und der Bibliothek auf. Nach insgesamt fünf bis acht Jahren intensiver Formung folgt dann als Lebensentscheidung die feierliche Profess.
Frage: Ihr ziviler Name lautet Dominik, im Kloster wurde dann Alberich Maria aus Ihnen. Haben Sie sich diesen Namen selbst ausgesucht?
Fritsche: Nein, den hat mir der Abt gegeben. Normalerweise ist es so, dass man selbst zwei, drei Vorschläge machen darf. Ich habe mich damit aber sehr schwergetan; ich fand es irgendwie komisch, mir selbst einen Namen aussuchen zu sollen. Ich habe dann aber trotzdem ein paar Namen aufgeschrieben, allerdings hat Abt Maximilian im Gespräch wohl direkt gemerkt, dass ich von meinen Vorschlägen selbst nicht überzeugt war. Wir haben dann erstmal gemeinsam gebetet und danach hat er zu mir gesagt: "Sie werden Alberich heißen." Damit konnte ich erst nicht so viel anfangen. Und dann wurde mir auch noch bewusst, dass einer unserer Ordensgründer Alberich hieß. Ich dachte sofort, ich sei doch gar nicht würdig, den Namen eines Ordensgründers zu tragen. Aber der Abt bestand darauf und ich habe mich gefügt. Zumal mir dann plötzlich klar wurde, dass der Pater, dessen Beerdigung ich als Gast im Kloster miterlebt und die so viel Eindruck auf mich gemacht hatte, ja ebenfalls Alberich geheißen hatte. Dies verstanden wir beide als göttliche Fügung.
Frage: Haben Sie in Ihrem Noviziat jemals Zweifel an Ihrer Berufung gehabt?
Fritsche: Momente des Zweifels gab es natürlich immer wieder, aber meine Berufung habe ich nie in Frage gestellt. Es gab vielmehr Momente, bei denen mir meine Berufung eindrucksvoll bestätigt wurde. In Erinnerung geblieben ist mir zum Beispiel mein erstes Weihnachten im Noviziat. Damals habe ich gemeinsam mit Pater Simeon, unserem heutigen Prior hier in Neuzelle, und Frater Clemens in der Christmette musiziert. Das ausgerechnet wir drei zusammengespielt haben, war Zufall – so dachte ich jedenfalls. Als ich einen Tag später mit meiner Familie telefoniert habe, wurde mir aber schlagartig klar: Simon und Clemens, so heißen ja auch meine leiblichen Brüder! Für mich war das ein eindeutiger Fingerzeig Gottes, eine Verbindung zwischen meiner Familie in Senftenberg und meiner neuen Familie im Kloster. Gottes Vorsehung ist großartig! In diesem Augenblick schwand mein Heimweh zum Elternhaus.
Frage: Unmittelbar nach Ihrer feierlichen Profess im August 2018 und noch vor dem Ende Ihres Studiums wurden Sie gemeinsam mit fünf Mitbrüdern nach Neuzelle gesandt, um hier ein neues Priorat zu errichten. Hatten Sie sofort Lust auf dieses Abenteuer in Ihrer alten Heimat?
Fritsche: Nein, im Gegenteil: Ich hatte große Zweifel. Als Pater Simeon mich gefragt hat, ob ich mit nach Neuzelle gehen wolle, habe ich das zunächst abzuwehren versucht. Ich war schließlich glücklich in Heiligenkreuz und ja tatsächlich auch noch nicht mit meinem Studium fertig. Und außerdem steht doch schon in der Bibel, dass der Prophet nirgend weniger Ansehen hat, als in seiner Heimat. Ich habe Pater Simeon meine Bedenken deutlich geschildert, aber er hat gesagt: "Für Gott ist nichts unmöglich, komm mit."
Frage: Aber wenn Sie sich wirklich mit Händen und Füßen gewehrt hätten, hätten Sie nicht nach Neuzelle mitgehen müssen?
Fritsche: Wenn ich stur "Nein" gesagt hätte, hätte mich Pater Simeon nicht gezwungen. Aber seine spontanen "Überfälle" kannte ich nun langsam – und erbat mir seinen Segen. Im ersten Jahr pendelte ich dann permanent zwischen dem Studienort Heiligenkreuz und dem Missionszentrum Neuzelle.
Frage: Inzwischen leben Sie schon zwei Jahre in Neuzelle. Haben Sie den Schritt hierher zwischendurch mal bereut?
Fritsche: Nein, noch nie. Völlig wehrlos wurde ich am Tag der Prioratsgründung, als uns die Gläubigen des Bistums unter Freudentränen gratulierten: "Herzlich willkommen daheim! Endlich seid ihr wieder da!" Manche Senioren gestanden, dass dieser Tag größer sei als der des Mauerfalls 1989. Dank sei Gott! Wir wohnen im Pfarrhaus und beten in der Kirche. Das genügt für den Anfang. Wir versuchen uns in unserer Gemeinschaft gut zu ergänzen mit unseren Stärken und Schwächen. Natürlich sind die Bedingungen hier vor Ort noch etwas wackelig, aber wir werden gestärkt durch die Vision unseres geplanten Neubaus, durch unsere Aufgaben und durch den großen spirituellen Durst, den wir bei den Menschen hier spüren.
Frage: Was ist Ihre vorrangige Aufgabe im Priorat?
Fritsche: Neben unserem Gebetsdienst, der den Tag vom Morgen bis in den Abend hinein strukturiert, bin ich – ähnlich wie schon in der Ukraine – vor allem in der Arbeit mit behinderten Menschen beschäftigt, die hier in Neuzelle von der St.-Florian-Stiftung betreut werden. Da schließt sich also in gewisser Weise der Kreis. Es ist wirklich beglückend, mit diesen Menschen zusammen zu sein. Wenn wir zusammen beten und singen, geht mir das Herz auf.
Frage: Sie sind erst 28 Jahre alt und haben – so Gott will – noch ein sehr langes Leben vor sich. Welche Rolle spielt diese zeitliche Perspektive für Sie? Fragen Sie sich manchmal, was Gott mit Ihnen noch vorhat?
Fritsche: Gut, dass Gott das gesamte Leben überblickt! In den kommenden Monaten soll ich das Studium beenden, um anschließend zum Diakon und Priester geweiht zu werden. Und 2021 feiern die Dominikaner den 800. Todestag Ihres Ordensgründers; als getaufter Dominik freue ich mich über dieses Detail. Aber zu Ihrer Frage: Ich weiß natürlich um die große historische Dimension, in der wir als Zisterzienser stehen. Die Geschichte unseres Ordens reicht rund 1.000 Jahre zurück, und als Mönche des 21. Jahrhunderts stehen wir in einem weiten Strom voller Unternehmungen und Überraschungen. Wenn man sich das bewusst macht, wirkt die eigene Lebenszeit auf dieser Welt ziemlich überschaubar.
Frage: Können Sie sich denn vorstellen, für immer in Neuzelle zu bleiben? Das könnten ja problemlos noch 50, 60 Jahre sein ...
Fritsche: Ich bin momentan sehr glücklich und ich kann mir durchaus vorstellen, hier eines Tages zu sterben. Mein Ordensleben liegt in Gottes Hand. Der Tod ist allerdings nichts, was mich schrecken würde. Alles Sterben ist ein Heimkehren zu Gott, egal ob man 27, 40 oder 80 Jahre auf dieser Erde gelebt hat. In Psalm 116 heißt es: "Kostbar ist in den Augen des Herrn der Tod seiner Heiligen." Das empfinde ich als eine sehr beglückende Perspektive.