Zwischen Lockdown und Lockerung: Diskussionen bei Corona-Besuchsrecht
Während in Deutschland die Kontaktbeschränkungen aufgrund der Corona-Pandemie immer weiter gelockert werden, gibt es weiterhin teils strenge Regeln für Besuche in Senioren- und Pflegeheimen sowie in Einrichtungen für Menschen mit Behinderung. Die Lage ist unübersichtlich, denn noch immer ändern sich die Verordnungen der Behörden ständig. Bundesweit einheitliche Regelungen gibt es nicht: In einigen Bundesländern sind Fragebögen oder ein Test auf Erkältungssymptome verpflichtend; mancherorts müssen die Besucher Mindestabstände einhalten, während sich woanders Bewohner und Angehörige sogar wieder umarmen dürfen. Auch die Vorgaben zu Personenanzahl und Häufigkeit der Besuche variieren.
Für viele Bewohner, Angehörige und Mitarbeiter bedeutet das eine große Belastung. Denn nicht nur zwischen den Bundesländern gibt es Unterschiede: "Selbst die Verordnungen, Verfügungen und Rundschreiben innerhalb der Bundesländer sind verschieden", kritisiert Janina Bessenich, Geschäftsführerin des Bundesverbands Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie (CBP). "Die muss man erstmal alle kennen, umsetzen und mit den Angehörigen und Bewohnern kommunizieren."
Menschen mit Demenz sind Bestimmungen kaum zu vermitteln
Der Grund für die verschiedenen Besuchsrechte: Anhand der vom zuständigen Gesundheitsamt festgelegten Regeln müssen die Einrichtungen jeweils eigene Hygiene- und Schutzkonzepte erarbeiten und diese dann mit den Behörden abstimmen. So können unterschiedliche bauliche und personelle Voraussetzungen vor Ort dazu führen, dass beispielsweise Besuchscontainer aufgestellt werden oder sich Bewohner und Angehörige nur innerhalb der Einrichtung treffen dürfen.
Diese Besuchsbestimmungen sind Menschen mit Demenz oder kognitiven Einschränkungen allerdings kaum zu vermitteln. Sie verstehen oft nicht, warum Familienmitglieder plötzlich gar nicht oder nicht mehr regelmäßig zu Besuch kommen können. Aber auch bei den Angehörigen dauere es, bis die aktuellen Informationen bei allen angekommen seien, sagt Nora Roßner, Referentin für Teilhabe und Gesundheit beim Deutschen Caritasverband. Kurzfristige Anpassungen seien daher nur schwer umzusetzen. "Die plötzliche Öffnung der Seniorenheime am Muttertag hat viele Einrichtungen überfordert", so Roßner. "Solche Regelungen brauchen einen gewissen Vorlauf, damit alle informiert werden können."
Soziale Orden während Corona: Große Einschränkungen und neue Ideen
Sozial-karitativ schreiben sie sich auf die Fahne: In vielen Orden zählt es schon seit Jahrhunderten zur Hauptaufgabe, sich Armen und Kranken zu widmen. Doch die Corona-Krise erschwert ihnen diese Tätigkeit – oder lässt sie manchmal sogar völlig ruhen. Wie gehen sie damit um?Doch auch, wenn sie die Beschränkungen und Bestimmungen nachvollziehen können, leiden die Bewohner unter den fehlenden sozialen Kontakten. "Bei vielen sind gerade diese körperliche Nähe und Umarmungen sehr wichtig. Das ist aktuell aber kaum möglich", so Roßner. Und je länger die Besuchsbeschränkungen anhalten, desto schwerer fällt Bewohnern und Besuchern die Situation. "Gerade die Dauer zermürbt."
Bessenich sieht das ähnlich. Besonders am Anfang habe es eine große Solidarität von Familien und Bekannten der Bewohner gegeben, die Regeln und Besuchsverbote umzusetzen. "Jetzt haben wir aber eine Phase, wo alle versuchen, wieder ein halbwegs normales Leben zu führen und sich sehen wollen", so die CBP-Geschäftsführerin. "Da gibt es natürlich auch Beschwerden von Angehörigen, weil sie mehr Besuche und Kontakte haben möchten." Das sei eine große Herausforderung für die Mitarbeiter, die behördliche Anweisungen befolgen und die Hygienekonzepte vor Ort dann durchsetzen müssen.
"Ich sehe bislang keinen Anlass zu großflächigen Lockerungen"
Angesichts der Lockerungen in anderen gesellschaftlichen Bereichen kann Roßner die Forderungen nach mehr Freiheiten und Besuchsmöglichkeiten nachvollziehen. "Es ist verständlich, dass Angehörige jetzt ungeduldig werden." Allerdings bestünde bei den Einrichtungsleitern die Angst, bei einem plötzlichen Ausbruch von Corona-Infektionen dafür verantwortlich gemacht zu werden. "Auch wenn man immer seine Verwandten und Bekannten im Blick hat, sollte man die Situation in den Einrichtungen nicht aus den Augen verlieren und zunächst das Gespräch vor Ort suchen."
Der Wuppertaler Krankenhausseelsorger und Pfarrer Reiner Nieswandt bewertet die Forderungen nach mehr Lockerungen dagegen skeptisch: "Ich sehe bislang keinen Anlass zu großflächigen Lockerungen." Die Gefahr durch das Coronavirus sei noch nicht gebannt, so Niewandt, der als Seelsorger auch in Seniorenheime gerufen wird. "Wir können nicht riskieren, dass Bewohner aufgrund eines leichtsinnigen Umgangs mit Besuchsregelungen massiv gefährdet werden und am Ende im Krankenhaus landen oder sogar sterben."
Die Beschränkungen seien schließlich in Kraft, um die Ausbreitung des Virus in der gesamten Einrichtung zu verhindern. Mit jedem Besucher potenziere sich auch die Ansteckungsgefahr. "Die Nächstenliebe und die Achtung des vierten Gebots – nämlich Vater und Mutter zu ehren – bestehen im Moment darin, Distanz zu wahren", sagt der Pfarrer. "Es ist natürlich nicht schön, wenn man seine betagten Eltern nicht umarmen kann. Aber ich persönlich bin kein Freund davon, unnötige Risiken einzugehen."
Um die Mitarbeiter vor einer möglichen Ansteckung zu schützen, wurden gerade zu Beginn der Corona-Pandemie in den Einrichtungen vermehrt Hygiene- und Schutzausrüstung angeschafft. Dadurch und durch zusätzliches Personal für die Organisation der Besuche seien Kosten entstanden, die bisher die Einrichtungen übernähmen, bei denen die Refinanzierung durch Sozialleistungsträger aber weiterhin nicht klar sei, sagt Janina Bessenich.
Finanzielle Mittel fehlen
Das betreffe auch die Corona-Tests. "Unsere Forderung war von Anfang an, dass getestet werden muss – auch ohne Symptome", so Bessenich. Bisher müssten diese Tests allerdings vom Gesundheitsamt angeordnet werden. Aufgrund der aktuellen Überforderung der Behörden passiere das aber nicht oder erst verspätet, befürchtet sie. Die Kosten für regelmäßige Test könnten die Bewohner ebenso wenig übernehmen wie die Einrichtungen. "Die Finanzierung der Wohneinrichtungen läuft bisher genauso wie vor der Pandemie, obwohl die Kosten wesentlich höher sind", so die CBP-Geschäftsführerin. Es fehlten daher erhebliche finanzielle Mittel.
Dabei würden regelmäßige Tests für Bewohner und Angehörige mehr Gestaltungsmöglichkeiten bei den Besuchszeiten und Freizeitaktivitäten innerhalb der und außerhalb der Einrichtungen bieten. Bessenich fordert daher, dass auch ein Hausarzt regelmäßige Corona-Tests bei Bewohnern anordnen können müsste, die dann die Krankenkasse bezahlt. Dadurch könne man ein Stück Teilhabe und Normalität zurückgewinnen. "Wenn jeder Besucher getestet wird, kann man sich so einige Verbote ersparen."