Wie die Jesuiten katholische Führungskräfte von morgen ausbilden
Aufregung und Freude liegt in der Luft des Veranstaltungsraums ganz in der Nähe der EU-Kommission in Brüssel. Heute ist der große Abend von Klara, Bartholomäus, Silvia, Donat, Saladjana und Hanna. Sie werden zu Fellows der Jesuiten, so wie der ehemalige US-Präsident Bill Clinton und Papst Franziskus. Die sechs Absolventen aus Deutschland, Österreich, Ungarn, Polen, Italien und Schweden haben das "European Leadership Programme" (ELP) der Jesuiten in Brüssel absolviert.
Fünf Monate arbeiteten sie in einer EU-Organisation und lebten zusammen in der belgischen Hauptstadt. An den Abenden standen Diskussionen mit dem ehemaligen Ratspräsidenten Herman Van Rompuy, dem Generalsekretär des EU-Parlaments Klaus Welle oder dem Ko-Vorsitzenden der Grünen im EU-Parlament, Philippe Lamberts, an. Hinzu kamen regelmäßige Coachings mit den Jesuiten, in der Gruppe und einzeln. Jeder Teilnehmer hat einen persönlichen Mentor, der ihn in der Zeit in Brüssel begleitet und mit ihm die kommenden Stationen im Leben vorbereitet. "Unser Programm zeichnet sich besonders dadurch aus, dass die Teilnehmer individuell begleitet werden", erklärt der Leiter des Programms, Botond Feledy.
Papst Franziskus gab den Anstoß
Das Programm der Jesuiten nimmt nicht nur die Karriere der Absolventen in den Blick, sondern auch den Menschen dahinter. "Es ist ein Programm für das Herz und den Verstand, um sich durch Herausforderungen zu navigieren", sagt der Leiter des "Jesuit European Social Centre" (JESC) in Brüssel, Peter Rozic, am Abend der Abschlussfeier. Bildung weiterzugeben liege in der DNA der Jesuiten. Beim ELP gehe es zudem um die Zukunft Europas und Visionen für das Allgemeinwohl in der Union.
Die Idee für das Programm entstand 2017. Papst Franziskus sagte in seiner Rede bei der Europa-Konferenz im Vatikan "Re-Thinking Europe": "Eine Führungskraft zu sein erfordert Bedachtsamkeit, Training und Erfahrung." Mehrere Jesuiten nahmen sich den Satz zu Herzen. "Es ist eine lange jesuitische Tradition, Führungspersönlichkeiten auszubilden, um die Welt zu verändern", sagt Fedely.
Er baute das Programm anschließend mit Rozic auf. Finanziell wird es auch von der Deutschen Bischofskonferenz unterstützt. Wer sich bewerben will, muss nicht unbedingt katholisch sein. "Wir hatten auch bereits muslimische oder nicht-gläubige Teilnehmer", sagt Fedely. Wichtig sei, dass die Absolventen offen für Diskussionen seien.
Debattiert wurde am Küchentisch der beiden Wohngemeinschaften, in denen die Teilnehmer wohnen. "An unserem Küchentisch ging es hoch her, wir wollten die Dinge verstehen und akzeptierten keine einfachen Antworten", sagt Bartholomäus Regenhardt in der Abschlussrede des dritten Jahrgangs des ELP.
"Es fühlte sich wie Mini-Europa an"
Der 31-jährige Düsseldorfer ist begeistert von dem Programm. Dem Juristen hat besonders die internationale Dimension gefallen. "Durch Corona waren wir gezwungen, 24 Stunden mit Fremden zusammenzuleben. Das war herausfordernd. Es fühlte sich wie Mini-Europa an", so Regenhardt. Bei französischem Wein, italienischer Pasta, kroatischem Brot und ungarischem Gulasch sei alles diskutiert worden – von der EU-Erweiterung bis zur EU-Reaktion auf die Corona-Krise.
Ihren Küchentisch nannten die Teilnehmer des Programms scherzhaft "DG Zukunft". DG steht für Generaldirektion, die EU-Kommission hat 33 davon. Entscheidend sei die Macht des Arguments und nicht das Argument der Macht gewesen. "Kultur, nicht Krieg wurde zu unserem Leitmotiv am Küchentisch", so Regenhardt. Gelernt hätten sie, dass in der EU nichts ohne Kompromisse funktioniere. "Es gibt jedoch einen Bereich, wo wir keine Kompromisse dulden: unsere Werte", sagt er.
Die Werte, die Diskussionen und das Netzwerk waren einige Gründe, warum sich Klara Wuketich aus Österreich für das Programm bewarb. Die 25-Jährige studierte Umweltwissenschaften im Bachelor und Europastudien im Master. 2019 bewarb sie sich dann für ein Traineeship in der EU-Kommission und bekam eine Zusage. Von dem Programm erfuhr sie von Fedely, den sie vor einigen Jahren in Taize kennenlernte.
"Ich habe das Programm ausgewählt, weil ich nicht nur ein Praktikum in Brüssel machen, sondern mich auch sozial engagieren wollte", sagt sie. Wuketich schätzte besonders die Gemeinschaft unter den Teilnehmern, die über die Wochen entstand. "Wäre ich nicht Teil des ELPs gewesen, weiß ich nicht, ob ich diese schwierige Zeit mit der Corona-Krise in Brüssel als Praktikantin so gut gemeistert hätte", sagt sie.
Ihr Wunsch für die Zukunft: etwas verändern, sich für eine bessere Welt einsetzen und besonders die Menschen außerhalb Europas in den Blick nehmen. Ganz konkret will sie zum Beispiel einen Bienenstock in ihrem Garten aufstellen, um die Biodiversität zu fördern. Als nächstes macht Wuketich Station an der diplomatischen Akademie in Wien. Dort werden zukünftige Diplomaten ausgebildet. Doch ob es wirklich in den diplomatischen Dienst geht, will sie sich noch offen lassen. Vielleicht auch eine internationale Organisation oder ein Unternehmen und auch gerne wieder Brüssel. "Die Stadt hat mir besonders gefallen, weil alle Menschen, die ich getroffen habe, so offen waren", sagt sie.