Doris Bauer hat nach langem Hadern die Institution Kirche verlassen

Den Glauben leben – trotzdem: Eine Ausgetretene erzählt

Veröffentlicht am 18.08.2020 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 
Den Glauben leben – trotzdem: Eine Ausgetretene erzählt
Bild: © Privat

Köln ‐ Aus der Kirche treten nicht mehr nur die aus, die sich sowieso schon von ihr entfernt hatten – mehr und mehr verliert sie Mitglieder, die sich jahrelang kirchlich eingebracht haben. Doch warum? Im katholisch.de-Interview erzählt die engagierte Katholikin Doris Bauer, warum sie ihre Kirche verlassen hat.

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Doris Bauer war eine von denen, die die katholische Kirche an der Basis "am Laufen halten": Als Lektorin, Kommunionhelferin und Kantorin war sie viele Jahre in der Gemeinde St. Agnes im nach der Kirche benannten Kölner Viertel aktiv. Zusätzlich engagierte sich bei "Maria 2.0". Nach langem Hadern ist sie Anfang Juli aus der Kirche ausgetreten.

Frage: Frau Bauer, Sie waren Lektorin, Kantorin, Kommunionhelferin, haben sich in Ihrer Gemeinde und bei "Maria 2.0" engagiert. Das alles ist jetzt vorbei. Warum?

Bauer: Den Lektoren- und Kantorendienst hatte ich schon vor über einem Jahr ruhen lassen und mich Ende des Jahres dann entschieden, dieses Engagement ganz aufzugeben. Denn in den letzten zwei Jahren habe ich mich intensiv mit dem Umgang der Kirche etwa mit sexualisierter Gewalt und der Rolle von Frauen auseinandergesetzt. Mehr und mehr habe ich gemerkt, dass ich unter diesen Voraussetzungen nicht mehr vorne im Altarraum stehen kann, weil das für mich nicht mehr stimmig ist.

Frage: Inwiefern stimmig?

Bauer: Wenn ich vorne stehe, gebe ich etwas über meine Überzeugung preis und bin Teil des Systems. Ich konnte aber immer weniger mittragen, wie die katholische Kirche mit Menschen umgeht. 2018 war der erste Punkt meiner persönlichen "Kirchenkrise", als Kardinal Woelki im Rahmen des damaligen Kommunionstreits nach Rom geschrieben hatte. Ich als Kommunionhelferin musste in der Messe nun unterscheiden, ob ich der Person vor mir die Kommunion gebe oder nicht. Wenn ein evangelischer Mitchrist vor mir gestanden hätte – und davon haben wir bei uns einige – hätte ich ihm nicht die Kommunion geben können, ebenso bei Wiederverheirateten. Das sind alles Menschen, die bei uns in der Gemeinde sind, die ich kenne, deren Geschichten ich kenne. Wenn ich Kardinal Woelki Gehorsam geleistet hätte, hätte ich die alle ausschließen müssen. Da habe ich mir gedacht: Wer bin ich, dass ich diesen Menschen die Kommunion verweigere? Ich habe daraufhin mit einem Seelsorger gesprochen und konnte die Situation vorübergehend so klären, dass ich eine Zeit weitergemacht habe. Als aber im September 2018 die MHG-Studie vorgestellt wurde und ich mitbekommen habe, wie die Bischöfe mit sexualisierter Gewalt umgehen, war für mich klar, dass die Kirche das Evangelium, das sie verkündet, nicht lebt. Da ich authentisch bleiben wollte, konnte ich das nicht mehr mittragen. Deshalb habe ich zunächst pausiert, um in mich in diese Lage hineinzufühlen. Es hat sich gezeigt, dass dieses Engagement für mich nicht mehr möglich ist.

Frage: Jetzt sind Sie ausgetreten. Was bedeutet das für Ihr Glaubensleben – haben Sie dem auch entsagt?

Bauer: Mein Kirchenaustritt ist unabhängig von meinem Glauben. Ich bin trotzdem weiter in den Gottesdienst gegangen, habe Wortgottesdienste vorbereitet und bin bei "Maria 2.0" gewesen. Für mich war und ist das wichtig, auch jetzt gehe ich noch in Gottesdienste. Ich suche mir aber auch Alternativen, um meinen Glauben zu leben, das Wort Gottes zu hören und mich darüber auszutauschen – denn für mein Leben ist das Wort Gottes und die Gemeinschaft im Glauben eine grundlegende Orientierung - in der Vergangenheit wie auch jetzt. Ich bin seit einiger Zeit in einem Wort-des-Lebens-Kreis, der sich einmal im Monat trifft und über eine bestimmte Bibelstelle austauscht. Das gehört für mich nach wie vor zu meinem Glaubensleben, damit hat mein Kirchenaustritt nichts zu tun.

Frage: Die große kirchliche Weltpolitik ist doch oft etwas anderes als das Geschehen in der Pfarrei vor Ort. Haben Sie nicht das Gefühl, die anderen, die noch in der Kirche sind und sich für Veränderungen stark machen, im Stich gelassen zu haben?

Bauer: Ich bin weiter an der Seite von "Maria 2.0", in einer anderen Rolle zwar, aber die Anliegen und Forderungen unterstütze ich weiterhin. Auch der Gemeinde St. Agnes bleibe ich verbunden, wenn möglich und gewünscht werde ich mich in beidem weiter einbringen. Ich gehe davon aus, dass man mich weiter dabei haben will.

Frage: Gab es schon Gespräche in der Pfarrei, wie Ihr Engagement aussehen soll?

Bauer: Nicht konkret, ich bin selbst noch in einem Reflexionsprozess und überlege, wie ich weiter in der Gemeinde mitwirken kann. Vielleicht fühlen sich Menschen durch meinen Austritt gestört, verletzt oder vor den Kopf gestoßen. Das wird sich alles zeigen, ich habe noch keinen konkreten Plan.

Bild: ©Privat

"Mein Kirchenaustritt ist unabhängig von meinem Glauben", sagt Doris Bauer.

Frage: Wie haben Sie die Stimmung bei den Engagierten in der Kirchengemeinde wahrgenommen, als Sie Ihren Schritt öffentlich gemacht haben?

Bauer: Ich habe ziemlich viele schriftliche und persönliche Rückmeldungen bekommen, die durchweg rücksichts- und verständnisvoll waren. Viele haben gesagt, dass sie meinen Schritt absolut nachvollziehen können, Respekt davor haben und authentisch finden. Manche haben auch signalisiert, dass sie ebenfalls mit diesem Gedanken spielen, sie aber noch Kleinigkeiten in der Kirche halten.

Frage: Haben Sie Verständnis dafür, wenn Leute in der Kirche bleiben, weil man von innen vielmehr verändern kann als von außen?

Bauer: So habe ich ja selbst ganz lange gedacht, meine Kritik an der katholischen Kirche ist nicht über Nacht entstanden. Vor 25 Jahren habe ich schon an einer Unterschriftenaktion von "Wir sind Kirche" teilgenommen, wo es um genau dieselben Themen ging wie heute, schon damals habe ich mich für Veränderungen eingesetzt. Da war ich noch der Überzeugung, dass ich etwas ändern kann, wenn ich in der Kirche bleibe. Aber die letzten Monate haben mir gezeigt, dass Reformen weiter auf die lange Bank geschoben und die Frauen vertröstet werden. Ich weiß, dass Reformprozesse nicht von heute auf morgen umgesetzt werden. Aber ich bin ja nicht erst seit gestern dabei, meine Stimme zu erheben! Mein Eindruck ist: Es ist kein Wille da, etwas zu verändern. Ich schätze reformorientierte Bischöfe und die Wahl von Georg Bätzing zum Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz hat mir auch ein bisschen Hoffnung gemacht. Wenn ich dann aber wieder andere Äußerungen gehört habe, glaube ich nicht daran, dass sich da noch etwas verändert. Das ist der Punkt gewesen, an dem ich nicht mehr bereit war, das mitzutragen und dieses System weiter zu unterstützen. Ich werde schauen wie es möglich ist, meinen Glauben trotzdem zu leben und ihn auch in einer Gemeinschaft zu praktizieren. Denn alleine geht das nicht. Auf diese neuen Möglichkeiten bin ich gespannt.

Frage: Durch Ihren Austritt haben Sie fast alle Rechte verloren, die Sie vorher als Getaufte hatten, insbesondere können Sie nun keine Sakramente wie etwa die Kommunion empfangen. Stört Sie das nicht?

Bauer: Nein, denn für mich ist Gott nicht nur im Sakrament der Eucharistie gegenwärtig, sondern wo zwei oder drei in seinem Namen versammelt sind – auch im Wortgottesdienst ohne Eucharistie. Deshalb ist es für mich nicht so schmerzlich, davon jetzt ausgeschlossen zu sein. Eine der größten Sorgen aus meinem Umfeld war, was bei meinem Tod passiert – denn ein Anrecht auf ein katholisches Begräbnis habe ich nun nicht mehr. Ich habe mir jetzt überlegt, dass ich es schön fände, wenn mich Freundinnen von mir in einem solchen Fall begleiten und an meinem Grab ein Gebet sprechen. Da bin ich auch schon ins Gespräch gegangen – das macht mir keine Angst. Jede Christin und Jeder Christ kann ein Gebet sprechen und kann segnen, nicht nur ein geweihter Mann.

Frage: Berühren Sie denn auch die weiteren Vorgänge in der Kirche wie etwa das neue Vatikanpapier zu den Pfarreien?

Bauer: Ich informiere mich weiterhin wie vor meinem Kirchenaustritt, weil es mir ein Anliegen ist, dass sich etwas verändert und dass in einer Kirche, die das Wort Gottes weitergibt, es auch gelebt wird und die Menschenwürde und die Geschlechtergerechtigkeit geachtet werden. Das ist mir nach wie vor wichtig, auch wenn ich jetzt diesen formalen Schritt gegangen bin und die Institution Kirche verlassen habe. Manchmal denke ich mir: Wenn mehr Menschen diesen Schritt gehen würden, könnte das auch dazu beitragen, dass die Kirche sich bewegt. Die Journalistin Christiane Florin hat gesagt, wenn ich sie richtig verstanden habe, dass wenn alle Katholiken auf Zeit austreten würden, gäbe es für die Kirche einen finanziellen Druck zu Veränderungen. Auch die Ausgetretenen können also etwas bewegen. Das zeigt nicht zuletzt das neue Video der Comedian Carolin Kebekus, mit dem sie von außen auf die Thematik aufmerksam gemacht hat. Und die große Zustimmung dazu zeigt, wie viele Menschen Reformen wollen.

Frage: Was müsste in der Kirche passieren, damit Sie wieder eintreten?

Bauer: Die klerikalen Machtstrukturen müssten verändert und gebrochen werden, Geschlechtergerechtigkeit müsste umgesetzt und die Menschenwürde geachtet werden. Menschen, die wegen ihres Geschlechts, ihrer sexuellen Orientierung oder ihrer Lebenssituation aus der Kirche ausgegrenzt werden, müssten aufgenommen werden. Christus hat niemanden ausgegrenzt, er ist im Gegenteil auf die Ausgegrenzten zugegangen. Das wäre gelebter Glaube und gelebtes Evangelium.

Von Christoph Paul Hartmann