Eingetreten und trotzdem am Rand: Eine Neu-Katholikin erzählt
Ursprünglich war sie evangelisch, fühlte sich aber lange als Atheistin. Vor zwei Jahren ist Meike Kröger in die katholische Kirche eingetreten – und fühlt sich mit liberalen Ansichten und einem bestimmten Gottesbild "anders" als andere Neu-Katholikinnen und -Katholiken. Warum das so ist und warum sie sich trotzdem noch am Rand fühlt, erzählt sie im Interview.
Frage: Frau Kröger, warum treten Sie als Frau gerade in die katholische Kirche ein, einer Institution, die – salopp gesagt – undemokratisch ist und von "alten Männern" geführt wird?
Kröger: Es ist nicht das erste Mal, dass mir diese Frage gestellt wird. Wenn ich es kurz fasse: Ich habe Menschen kennengelernt, die mir zeigten, dass es trotz der hierarchischen, undemokratischen Regelwerke viele Möglichkeiten gibt, Kirche freier und mutiger zu gestalten. Ich denke, die Kirche und viele ihrer meiner Ansicht nach überkommenen Grundpfeiler wanken gerade spürbar. Mittlerweile können Dinge hinterfragt werden, wegen denen früher noch Köpfe gerollt sind. Wie weit das führen wird… keine Ahnung – aber es macht Mut.
Frage: Wie war Ihre Beziehung zur Kirche allgemein und konkret zur katholischen Kirche vorher?
Kröger: Ich hatte vorher eigentlich keine Beziehung zur Kirche. Ich bin nicht aus Glaubensüberzeugung konfirmiert worden, sondern weil ich wusste, es gab Geldgeschenke. Ich bin einfach mitgeschwommen und habe all das auch nicht kritisch hinterfragt. Danach habe ich mich in keiner Kirche blicken lassen – außer zum Beispiel bei Hochzeiten oder Beerdigungen. Im Laufe der Jahre habe ich mich von allen religiösen und spirituellen Sachen bewusst abgenabelt und mich als Atheistin gesehen. Durch atheistische und humanistische Foren im Internet bin ich dann kirchenkritisch geworden – hatte aber bis dato kein wirkliches Wissen über Kirche.
Frage: … und kritisch waren Sie dann auch gegenüber der katholischen Kirche?
Kröger: Genau. Voller Vorurteile, natürlich nur die schlechten. Positives konnte ich mit der katholischen Kirche nicht verbinden, weil ich sie nicht kannte. Mein Vater war katholisch, hat das aber nie gelebt. Zu seinem Begräbnis vor zehn Jahren war ich in einer katholischen Kirche und habe original nichts verstanden.
Frage: Wie haben Sie dann Ihren Weg zur katholischen Kirche gefunden?
Kröger: In meiner atheistischen Zeit habe ich angefangen, mir Fragen zu stellen wie: Was ist überhaupt Kirche, wie ist sie entstanden und so geworden, wie wir sie heute erleben? Damit setzte wieder ein Interesse an Religion ein. Das Antireligiöse, was man oft in atheistischen Bewegungen findet, hat mich total gestört. Ich merkte: Ja, Kritik ist wichtig, aber sie sollte auch ein Fundament haben. Also begann ich eine Art eigene, sehr intensive Recherche und nahm Kontakt zu Menschen auf, die in der Kirche aktiv sind. Das waren kirchliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Ordensmenschen, Priester… Etliche meiner Vorurteile sind zusammengefallen, weil ich gemerkt habe, dass es so viele engagierte, bodenständige Menschen waren und sind, klug und kritisch. Dann kam eine persönliche Krisenzeit durch Krankheit und Tod in meiner Familie. Und da ich nun schon kirchliche Kontakte hatte, suchte ich erstmals in diesem Umfeld nach Unterstützung. Ein wichtiger Ort ist für mich das Kloster Nütschau geworden. Meine skeptisch-atheistische Haltung wurde akzeptiert, und ich fühlte mich nie religiös vereinnahmt, sondern frei, meinen eigenen Zugang zu suchen. So hat sich das entwickelt.
Frage: Hat sich in der Zeit denn auch Ihr Bild von Gott gewandelt?
Kröger: Lange gab es für mich gar keinen Gott. Inzwischen, nachdem ich über die Jahre eine Leidenschaft für die Naturwissenschaften entwickelt habe und rudimentäre Einblicke in die Psychologie gewinnen durfte, denke ich: In unserer Vorstellung konstruieren wir Menschen Gott. Ob es wahr ist, dass es "ihn" in einer bestimmten Form gibt oder nicht, weiß ich nicht und bin damit vermutlich Agnostikern geworden. Dieses vorgestellte Gottesbild habe ich immer noch. Ich hatte nie ein Erlebnis, das mir sagte, dass es Gott gibt. Vielmehr staune ich durch meine naturwissenschaftliche und rationale Prägung darüber, was wir uns mit menschlicher Kreativität und Schaffenskraft im Geist vorstellen können. Deshalb kann ich mittlerweile Gott oder Göttliches als Idee für meine Realität annehmen und anerkennen. Vielleicht bin ich inzwischen eine fromme Agnostikerin, die sich der "Werkzeuge" des Christentums bedient und sie wertschätzt. Jede Kultur strickt sich um ihre Gottesvorstellung eigene Rituale, weil diese hilfreich und greifbar sein können. Das sind die konkreten Aktionen, die man rund ums christliche und kirchliche Leben hat, angefangen bei Weihwasser oder Taufwasser oder das Teilen von Brot und Wein, die ich als lebendige Symbole unheimlich schön finde. So etwas kann ich mittragen – auch wenn ich es vielleicht nicht immer im dogmatischen Sinne "richtig" mache. Für manches werde ich dann auch gerne kritisiert.
Blogeintrag
Über ihren Eintritt in die katholische Kirche hat Meike Kröger einen Blogeintrag geschrieben.Frage: Was wird Ihnen vorgeworfen?
Kröger: Es gibt ja das katholische Lehramt und die gelebte Praxis in den Gemeinden. Das klafft oft auseinander. Etwa die Segnung gleichgeschlechtlicher Paare – so etwas findet statt, darf es nach katholischer Lehre aber nicht geben. Spricht man sich offen dafür aus, kommt der Vorwurf, es sei nicht korrekt oder nicht richtig katholisch. Das gleiche gilt, wenn man beispielsweise eigene Interpretationen für sakramentale Handlungen findet. Im Rahmen der gestreamten Eucharistiefeiern habe ich zum Beispiel zu Hause ein Stück Brot gegessen, während der Priester kommunizierte. Das sei "nicht wirklich gültig" sagte man mir, da es ja keine gewandelte Hostie sei. Früher konnte ich dazu nichts sagen, weil ich kein Grundlagenwissen hatte. Ich habe gemerkt, dass ich auf einer anderen Ebene darüber sprechen können und es verstehen möchte und habe mich für den Theologie-Fernkurs der Domschule Würzburg eingeschrieben. Was mir oft hilft, ist ein Blick in die Kirchengeschichte, der mir zeigt: Einheitlich und einig war es noch nie, alles war immer schon im Wandel. Und es zeigt, dass vieles, was wir heute in der katholischen Kirche machen, mal anders war. Deswegen finde ich, dass man auch freier und kreativer damit umgehen kann.
Frage: Wie waren Ihre Begegnungen mit anderen Neu-Katholiken?
Kröger: In meinem Vorbereitungskurs zur Firmung – das waren eine Handvoll Leute – waren einige dabei, die etwas glücklich Strahlendes hatten, weil sie etwas Neues entdeckt und vielleicht eine Art Gotteserlebnis hatten. Sie sind sehr tief eingestiegen, aber nicht so wie ich auf dieser wissenschaftlich-historischen Ebene, sondern in eine tiefe Frömmigkeit. Einige empfanden das Regelwerk durchaus als stimmig, was dann schonmal zu Kontroversen führte. Manchen waren meine Ansichten zu rational und nüchtern. Mein Herz ist allerdings schon dabei, aber ich hänge es nicht an die große Glocke, denn das ist für mich privat und ein inneres Erleben, das ich nicht in Worte fassen kann.
Frage: Sie sind Ihren Ansichten ja schon liberaler. Welche Punkte sehen Sie in der katholischen Kirche kritisch?
Kröger: Ich denke, die Kirche ist ein sich in dauerhafter Veränderung befindendes Gebilde und es ist ganz normal, dass es immer wieder Punkte gibt, bei denen die Kirche mit der "säkularen Welt" über Kreuz liegt. Ich selbst bin noch neu und noch so sehr in meinem Lernprozess, dass ich mir nicht anmaßen will, Lösungen zu haben. Grundsätzlich bin ich mit dem Herzen bei denen, die sich für eine diverse, gerechte, offene und demokratischere Kirche einsetzen, wie bei Maria 2.0. Stichwort Zölibat: Den stelle ich klar in Frage, finde aber, es wird oft falsch verstanden, dass es nicht darum geht, ihn völlig abzuschaffen, sondern freizustellen. Kritik finde ich gut, habe aber immer den Wunsch nach Austausch. Absolutismus liegt mir komplett fern, egal aus welcher Richtung er kommt. Ich stehe in der Kirche oft noch am Rand, beobachte vieles und mache mir natürlich meine Gedanken.
„Ich habe mich immer sehr gegen den Imperativ des Katechismus gewehrt, alles zu glauben. Viele Katholiken, auch Priester und Ordensleute, haben mir jedoch vermittelt, das könne man auch von niemandem verlangen.“
Frage: Warum wurde es dann nicht zum Beispiel die altkatholische Kirche oder ein Weg zurück in die evangelische Kirche?
Kröger: Tatsächlich habe ich anfangs, als ich gemerkt habe, dass ich echtes Interesse an Glaube und Kirche habe, einige evangelische Gottesdienste besucht. Einfach weil ich dachte: Das ist die demokratischere Kirche, das entspricht mir mehr. Es hat aber nicht so wirklich "gezündet". Ich habe aber dennoch gemerkt, dass mir Rituale und Regelmäßigkeit helfen. Ich bin selbstständig als Kunsthandwerkerin; mein Leben ist oft chaotisch. Obwohl mich so vieles an der katholischen Kirche abgeschreckt hat, konnte ich recht schnell mit der Liturgie und den vielleicht etwas "handfesteren" Ritualen etwas anfangen. Das Ewige Licht beim Tabernakel, die Bank zum Knien, die farbigen liturgischen Gewänder…vielleicht sind es Kleinigkeiten, aber sie sind mir ans Herz gewachsen. Die altkatholische Kirche ist in meiner Region kaum vertreten, daher ergaben sich keine Möglichkeiten des Ausprobierens. In der katholischen Gemeinde mit verschiedenen Menschen, die ich kennengelernt habe, habe ich mich irgendwann wohl gefühlt. Das hat für mich schwereres Gewicht als das, was gerade in Rom passiert – auch wenn man es natürlich nicht einfach ausblenden kann.
Ich habe mich immer sehr gegen den Imperativ des Katechismus gewehrt, alles zu glauben. Viele Katholiken, auch Priester und Ordensleute, haben mir jedoch vermittelt, das könne man auch von niemandem verlangen und haben mich ermutigt, meinem eigenen individuellen Weg zu folgen. Ich habe nicht direkt um Erlaubnis gefragt, wollte aber wissen, ob ich mit meinen Ansichten "katholisch werden" kann. Ich habe gemerkt: Ja, das kann ich!
Frage: 2019 sind so viele Menschen aus der katholischen Kirche ausgetreten wie nie zuvor. Viele haben ganz ähnliche Ansichten wie Sie und waren zuvor Jahre in der Kirche aktiv. Können Sie das nachvollziehen?
Kröger: Auf jeden Fall, total! Auch für die seelische Gesundheit ist es sicher besser, wenn man es irgendwann sein lässt, wenn man verletzt wurde und zu viel gelitten hat. Man hat nur ein Leben, und wenn man dann merkt, dass die eigenen Bestrebungen nicht wertgeschätzt werden oder man immer nur einen kleinen Schritt nach vorne und dann drei große zurück macht, kann ich verstehen, wenn es irgendwann unerträglich ist. Ich komme mit solchen Leuten auch ins Gespräch: Für sie wurde es zu viel, oder sie haben Dinge über den Weg verloren, die ich gar nicht verlieren kann, weil ich sie nie hatte. Zum Beispiel eine schöne, katholisch geprägte Kindheit und Jugend. Ich selbst binde mich gerne und sehe meinen Eintritt nicht als lässiges "katholisches Experiment". Aber ich gestehe mir selbst auch zu, wieder gehen zu dürfen, wenn ich merke, dass bestimmte Dinge überhaupt nicht gehen und auch die persönlichen Beziehungen das nicht mehr tragen.