Kirchensteuer: Vom Zehnt zur staatlich eingezogenen Abgabe
Einst war es der Zehnt, den die Menschen an die Kirche bezahlten. Heute ist es nicht mehr ganz so viel, aber dennoch eine wahrnehmbare Summe: In Bayern und Baden-Württemberg acht, in allen anderen Bundesländern neun Prozent der Höhe der Lohnsteuer zahlen Mitglieder jeden Monat an ihre Kirche. Kirchen dürfen, müssen aber keine Kirchensteuer erheben, die orthodoxen Kirchen verzichten beispielsweise darauf. Grund für dieses Recht ist noch heute der 137. Artikel der Weimarer Reichsverfassung. Dort heißt es: "Die Religionsgesellschaften, welche Körperschaften des öffentlichen Rechtes sind, sind berechtigt, auf Grund der bürgerlichen Steuerlisten nach Maßgabe der landesrechtlichen Bestimmungen Steuern zu erheben."
Für Religion Geld zu bezahlen, hat eine lange Tradition. Schon im Alten Judentum gibt es eine Tempelsteuer und gewisse Entgelte für kultische Feiern. Ähnliches gibt es heute noch mancherorts im Katholizismus, wenn etwa für die Feier von Taufen oder Hochzeiten von den Gemeinden sogenannte Stolgebüren erhoben werden.
Das frühe Christentum kennt kodifizierte Abgaben nicht: Es gibt weder große Kirchengebäude noch hauptamtliche Mitarbeiter. Einzig für diakonische Dienste spenden die Gemeindemitglieder freiwillig Geld. Schon in dieser Zeit vermachen manche Gläubige ihrer Gemeinde auch Grundstücke. Mit der Konstantinischen Wende 313 ändert sich die gesellschaftliche Stellung der Christen. Das Christentum wird Staatskirche und breitet sich immer weiter aus. Die steigende Zahl an Klerikern muss in der damaligen agrarisch geprägten Gesellschaft versorgt werden, das passiert zum Teil mit eigenen Ländereien der Kirchen, durch die sich die Geistlichen ernähren können. Kaiser Karl der Große führt 779 den Kirchen-Zehnt ein, der in der Regel in Naturalien bezahlt wird. Damit wird für das Auskommen der Priester und Bischöfe gesorgt, aber auch für deren karitative Aufgaben. Der Zehnt kann als eine Vorform der Kirchensteuer betrachtet werden.
Umbruch durch die Französische Revolution
Die bisherige Ordnung wird durch die Französische Revolution und die darauffolgende Besetzung deutschsprachiger Gebiete umgeworfen. Den deutschen Fürsten gehen Territorien verloren, die im Reichsdeputationshauptschluss 1803 ausgeglichen werden, indem sich die weltlichen Herrscher den kirchlichen Besitz einverleiben können, die Kirche wird also enteignet. Als Ausgleich für das verlorene Eigentum entstehen später unter anderem die bis heute geleisteten Staatsleistungen an die Kirchen. Diese sind von der Kirchensteuer vollkommen unabhängig.
Linktipp: Kirchensteuer: Was passiert mit dem Geld?
Die Kirchen in Deutschland finanzieren sich weitgehend über die Kirchensteuer. Was aber passiert mit der Abgabe? Und warum gibt es die Kirchensteuer überhaupt? Fragen, die das Dossier beantwortetDie Staaten haben bald ein Problem: Da die Kirche keine eigenen Ländereien mehr hat, kann sie sich nicht mehr selbst finanzieren. Die Landesherren haben allerdings zugesagt, für den Lebensunterhalt der Geistlichen zu sorgen. Deshalb führen einige Länder gegen den Widerstand der Kirche in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts Kirchensteuern ein. Die Verfassung von 1919 verpflichtete den Staat dann, der Kirche bei der Einziehung der Kirchensteuer zu helfen. Noch heute behält der Staat drei Prozent der gezahlten Kirchensteuer als eine Art Gebühr für deren Einziehung ein. Das hat für beide Seiten Vorteile: Der Staat verdient daran und für die Kirche wäre es deutlich teurer, eigene Steuerämter aufzubauen.
Der Löwenanteil des Kircheneinkommens
Die Kirchensteuer macht heute den Löwenanteil des Kircheneinkommens aus – zwischen 60 und 85 Prozent pro Jahr. Gezahlt werden muss sie auf das Einkommen (dann wird sie mit der Lohnsteuer vom Arbeitgeber abgezogen), manche Diözesen verlangen sie zudem auf Grundbesitz. Wer nur sehr wenig oder gar kein Geld verdient und unter die Steuergrenze fällt, wird als Ersatz mancherorts für das allgemeine oder besondere Kirchgeld herangezogen. Das ist ein kleiner Betrag zwischen null und 115 Euro im Jahr, der als Obulus an die kirchliche Arbeit geht. Es gibt allerdings auch einige Ausnahmen wie etwa Bezieher von Hartz-IV oder Studierende, die auch das Kirchgeld nicht bezahlen müssen. Zudem kann die Kirchensteuer in der Steuererklärung geltend gemacht werden.
Doch auch Steuerzahler müssen nicht immer die volle Höhe der Kirchensteuer zahlen. Dazu gehören zum Beispiel die Wohlhabenden: Überschreitet ein Einkommen die sogenannte "Kappungschwelle", kann die Kirchensteuer auf bis zu 3,5 Prozent verringert, also gekappt werden. Auch im anderen Extrem gibt es Rabatt-Möglichkeiten: Überschuldeten kann der Betrag gestundet oder erlassen werden.
Bis in die 1990er Jahre ist die Frage nach Höhe und Rechtmäßigkeit der Kirchensteuer ein Tabu. Seit der Wiedervereinigung werden diese Fragen aber immer mal wieder gestellt. Befürworter betonen vor allem die Unabhängigkeit, die die Kirche durch die Steuer von privaten Geldgebern hat. Sie ist anders als in Ländern ohne Abgabe nicht in so hohem Maße von Spenden abhängig. Zudem zahlt durch eine prozentuale Steuer jeder relativ zum Einkommen das gleiche. Auch wichtig: Die Kirche kann sich durch einen sicheren Finanzrahmen auch Themen widmen, die gerade nicht im Mittelpunkt des Interesses stehen oder für Menschen stark machen, die keine Lobby haben. Zudem lassen sich die Folgen eines kirchensteuerlosen Systems etwa in Frankreich beobachten: Dort sind viele Kirchen marode und mehr Gläubige als in Deutschland gibt es auch nicht. Außerdem finden viele Deutsche das Kirchensteuersystem weiterhin gut. Soweit die Befürworter.
Befreiung oder zu enge Staatsbindung?
Doch auch die Gegner der Kirchensteuer haben ihre Argumente: Ohne fixe Steuer hätten Glaubende die Auswahl, ob, wem und wie viel sie spenden. Das würde die Freiheit des Individuums stärken. Zudem wird ein Argument der Befürworter umgekehrt: Dadurch, dass sich die Kirche vor den Gläubigen nicht direkt rechtfertigen oder beweisen muss, muss sie sich auch nicht so sehr nach deren Bedürfnissen richten. Ähnlich eines freien Marktes könnten sich bei einem spendenbasierten Modell die einzelnen Glaubensgemeinschaften besser profilieren. Kritiker bemängeln zudem, dass das Konfessionsmerkmal auf dem Standesamt festgehalten wird: Kirchenmitgliedschaft sei eine persönliche Entscheidung und gehe den Staat nichts an. Zudem erscheine sie damit sehr eng mit dem Staat verbunden. Auch, dass die Kirche den Sakramentsempfang an die Zahlung der Kirchensteuer koppelt, wird international kritisch gesehen. Wer nicht mehr zahlen will, kann nur austreten – mit weitreichenden Folgen für die betreffende Person. Nicht zuletzt ist die Kirchensteuer vor allem für junge Menschen ein Auslöser vieler Kirchenaustritte in dieser Altersgruppe.
Für eine Vision nach der Kirchensteuer wenden manche den Blick ins europäische Ausland: So gibt es beispielsweise in Italien oder Spanien einen von allen Steuerzahlenden zu leistenden Kulturbeitrag. Es darf individuell ausgesucht werden, welche Institution das Geld bekommt. Dadurch bekommen Steuerzahlende einen deutlich größeren Spielraum – in diesen Ländern sind die Beträge allerdings zum Teil geringer als die deutsche Kirchensteuer, weshalb die Kirchen ihren Haushalt durch Spenden oder andere Zuschüsse aufstocken müssen. Dagegen werden Priester etwa in Belgien oder Griechenland wie Beamte bezahlt. Gänzlich ohne geregelte Abgaben müssen die Kirchen etwa in den Niederlanden oder auch Polen auskommen.
Doch auch ohne die Abschaffung der Steuer muss sich die Kirche in Deutschland für die Zukunft rüsten. Denn laut einer Studie wird sich die Zahl der Kirchenmitglieder bis 2060 etwa halbieren. Nominell wird die Kirche bei steigenden Löhnen zwar genauso viel Geld zur Verfügung haben wie heute. Die Kaufkraft halbiert sich jedoch. Was also tun?
Debatte um Rabatt für die Jungen
In der Evangelischen Kirche ist die Idee aufgekommen, jungen Menschen einen Rabatt zu geben, denn sie haben oft deutlich weniger Budget zur Verfügung als ihre älteren Kollegen. Es gibt für den Vorschlag durchaus Zuspruch, doch er hat auch Tücken: Warum nur junge Menschen befreien und nicht nach verfügbaren Finanzmitteln gehen? Außerdem ist die Kirchensteuer oft nur der Auslöser für einen Austritt, die Entfremdung von der Kirche ist zu diesem Zeitpunkt oft bereits sehr weit fortgeschritten. Es würden also nur Symptome behandelt, nicht das Problem an sich. Außerdem gibt es den Rabatt für Geringverdiener ja bereits.
Möglich wäre beispielsweise auch eine Mischung der Systeme: Dass sich die Kirchensteuerzahler entscheiden, ob das Geld an ihre Gemeinde, in die karitative Arbeit im In- und Ausland oder an ein spezielles Projekt fließen soll. Was klar ist: Ob mit dem jetzigen System oder einem anderen – die Kirchen müssen sich eine neue Finanzierung überlegen. Denn weniger wird das Geld so oder so.