Kolumne: Römische Notizen

Wie der Vatikan sein Personal auswählt

Veröffentlicht am 14.08.2020 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Rom ‐ Die neue “Nummer zwei” im vatikanischen Wirtschaftssekretariat ist ein Jugendfreund seines zukünftigen Chefs. Handelt es sich da um Klüngelei? Darf das überhaupt sein? Gudrun Sailer mit einem Schlaglicht auf die Besetzungspolitik im Vatikan.

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Wer will heutzutage im Vatikan arbeiten? Die Frage kann, mit ungläubigem Unterton, schon mal aufkommen, betrachtet man das Image der katholischen Kirche im bekannt kritischen deutschen Sprachraum. Bloß: der deutsche Sprachraum ist mal wieder eher atypisch. Im Vatikan wollen erheblich mehr Menschen beruflich andocken, als Posten vorhanden sind. So stellt sich weniger die Frage, wer im Vatikan arbeiten will, als vielmehr, wer im Vatikan arbeiten darf. Was braucht es, um hier erfolgreich anzuheuern? Wer schlägt vor, und wer entscheidet?

Besonders klare Kante zeigen die Zugangsbedingungen bei der Schweizergarde. Die Soldaten des Papstes müssen Schweizer sein. Sie müssen Männer sein. Sie müssen mindestens 1,74 groß sein, ledig und katholisch. Das letzte Kriterium, und nur das letzte, gilt für alle Angestellten des Papstes bis hin zum Pförtner: Taufe und Firmung sind Pflicht, zu den Bewerbungsunterlagen gehört auch das Empfehlungsschreiben eines Priesters (besser noch Bischofs, obschon das nicht per se die Chancen erhöht). Das heißt, alle festen und mit Dauervertrag ausgestatteten Papst-Angestellten sind katholisch. Ich erinnere mich an das Staunen einer deutschen Journalistin, die mich im Zug einer Recherche-Hilfe bat, ihr eine muslimische Reinigungskraft im Vatikan zu benennen, die sie über ihr interreligiöses Arbeitsverhältnis befragen wollte. Ich hätte der Kollegin gern geholfen, noch lieber die Frau selber interviewt – allein, es gibt sie nicht. Im Vatikan angestellte Reinigungskräfte sind katholisch. Und die Posten sind begehrt, höre ich.

Vatikanischen Priester-Headhunting als Standard

Sinnvoll ist an dieser Stelle, zwischen Vatikanstaat und Heiligem Stuhl zu unterscheiden. Der Vatikanstaat ist das Gebilde lokalen Charakters (Stichwort Supermarkt, Telefonzentrale und Reinigungskräfte), der Heilige Stuhl hingegen die Zentrale der Weltkirche, weshalb er uns interessiert, denn Drama und Dynamik der katholischen Kirche involvieren den Heiligen Stuhl. Von den knapp 5.000 Papst-Angestellten arbeiten fast 2.000 beim Vatikanstaat und der Rest beim Heiligen Stuhl. Noch eine zweite Unterteilung nehmen wir vor: Priester und Ordensleute einerseits, Laien (Männer wie Frauen) andererseits. Beide Kategorien sind in beiden Einheiten vertreten, und in beiden Einheiten stellen Laien die Mehrheit. Nach oben zu erhöht sich die Priesterdichte markant. Dass aber die Topjobs heutzutage nicht mehr durchgängig Priestern vorbehalten sind, ist eine Erscheinung der jüngsten Vergangenheit. Als "Nummer drei" - Untersekretäre - von Behörden der römischen Kurie sind heute in vier Fällen sogar Frauen vertreten. Und in einem Fall ist die "Nummer eins" ein Laie, Paolo Ruffini als Präfekt der vatikanischen Medienbehörde. Er ist die sprichwörtliche Ausnahme, die die Regel bestätigt: Das Spitzenmanagement der römischen Kurie ist priesterlich.

Was passiert, wenn in einem Kurienbüro (also beim Heiligen Stuhl) eine Stelle frei wird? Sucht der Präfekt oder Präsident einen Priester für den Job, dann fragt er andere Priester, die er schätzt, ob sie jemanden wüssten. Das ist bis heute das Standardverfahren im vatikanischen Priester-Headhunting. Head-offering kommt angeblich auch vor: In einigen Fällen bringen Geistliche sich bei Kurienchefs selbst ins Spiel. Orden sind wegen ihres Netzwerkcharakters ein gern angezapfter Pool. So sah man unter Papst Benedikt XVI. auffallend viele Salesianerpatres im Vatikan; Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone, Salesianer, kannte nun mal besonders viele taugliche Mitbrüder. Falsch wäre aber die Vorstellung, es sei egal, wer auf einem Kurienstuhl sitzt, Hauptsache Priester. Dazu ist die Kurie zu klein und jede Planstelle zu wichtig. Es zählt Kompetenz, es zählt die Herkunft, denn Internationalität ist kein Plus, sondern ein Muss in der Zentrale der Weltkirche, es zählt, das ist kein Geheimnis, auch die genaue Verortung im katholischen Spektrum je nach Vorstellung des Oberen. Und es zählt nach wie vor Italienisch, das Ortsidiom der Kurie.

Papst Franziskus hält eine Rede vor Kardinälen
Bild: ©Stefano Carofei/Vatican Pool/KNA

Papst Franziskus wünscht sich mehr Laien an der Kurie. Im Jahr 2017 hielt er seine Weihnachtsansprache für die höchsten Mitarbeiter der Vatikan-Verwaltung vor sehr vielen Klerikern.

Sucht der Chef keinen Priester, sondern einen Laien, ist der Weg anders. Um Nepotismus einen Riegel vorzuschieben, hat damals Papst Benedikt XVI. eine Stelle im Staatssekretariat eingerichtet, die CIVA (Commissione indipendente di valutazione per le assunzioni di personale laico presso la Sede Apostolica, Unabhängige Bewertungskommission für die Neueinstellung von Laienpersonal beim Apostolischen Stuhl). Sie sammelt eingehende Bewerbungen von Frauen und Männern, die gerne im Vatikan arbeiten würden, es sind Dutzende pro Monat, erstellt entsprechende Profile und schickt anfragenden Präfekten eine Dreierliste möglicher Kandidaten. Manchmal wird die CIVA selbst tätig und sucht auf eigenen Kanälen nach Leuten, die passgenau die Lücke füllen können. Über die Besetzung entscheidet am Ende der Präfekt und nicht die Anti-Nepotismus-Einheit. Hat man schon vorab ein Auge auf eine patente Kraft im Laienstand geworfen, geht der Lebenslauf trotzdem über den Tisch der CIVA, wobei er dann eben mit kurialem Beistand so gekämmt wird, dass er sitzt.

Papst Franziskus wünscht sich bekanntlich mehr Laien in hohen Kurienstellen. Leider ist das tricky. Wie findet man in den Weiten der Weltkirche geeignete Leute, die nicht nur kompetent, erfahren und satisfaktionsfähig auf Italienisch sind, sondern auch dazu bereit, mit Familie nach Rom zu ziehen und nebenbei für wenig Geld viel zu arbeiten? Priester und Ordensleute sind verfügbar und anhangslos, ein Zimmerchen in kirchlichen Häusern lässt sich für sie immer finden. Laien stellen höhere Ansprüche, weil sie für Wohl und Wehe ihrer Angehörigen verantwortlich sind. Mitziehende Ehepartner bräuchten eigentlich einen Job, mit bloß einem Gehalt kann es in Rom für Familien knapp werden. Kurz, hochqualifizierte Laien müssen Passion und manchmal auch Erspartes mitbringen, um im Vatikan zu arbeiten, sonst wird das nichts.

Öffentliche Stellenausschreibungen nicht denkbar

Fachleute gegen Ende ihrer weltlichen Laufbahn anzuvisieren und für den Vatikan abzuwerben, ist da ein guter Plan. Geglückt ist das im Fall des neuen Generalsekretärs des päpstlichen Wirtschaftssekretariats. Der spanische Ökonom Maximino Caballero Ledo, 61, ließ wissen, er werde mit Ehefrau nach Rom übersiedeln, die Kinder seien schon außer Haus. Eine einfache Entscheidung sei es trotzdem nicht gewesen. Und weil Medienleute es ohnehin herausgefunden hätten, sprach Caballero auch gleich gezielt bei Vatican News über die Sandkastenfreundschaft mit seinem zukünftigen Chef, dem Jesuiten Juan Antonio Guerrero Alves. Die beiden sind gleich alt und praktisch zusammen aufgewachsen, jetzt finden sie, der eine aus dem Orden, der andere aus Amerika kommend, im Vatikan wieder zusammen. Nepotismus? Ja schon. Aber abgesehen vom 1A-Curriculum beruhigt es auch zu wissen, dass hier zwei päpstliche Neo-Führungskräfte in einem so sensiblen Bereich wie Geld gut miteinander können, hoffentlich bleibt das so.

An öffentliche Stellenausschreibungen mag man rund um Sankt Peter weiterhin nicht denken – da würden sie dem Vatikan die Bude einrennen. Der Weisheit letzter Schluss sind solche Top-Besetzungen via persönlicher Bekanntschaft aber nicht, weil das Modell leicht ins Unschöne kippen könnte. Das ließe sich nur dann sicher vermeiden, wenn im Gegenzug zum Diensteid eine Garantie auf persönliche Heiligkeit offeriert würde. Soweit sind wir noch nicht. Aber wir arbeiten dran.

Von Gudrun Sailer