Ursula Gräfin Praschma über Verhältnis zu Kirchen

Bamf-Vizepräsidentin: Kirchenasyl ist oftmals nicht mehr notwendig

Veröffentlicht am 18.08.2020 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Nürnberg ‐ Vorwürfe, das Kirchenasyl werde ausgehöhlt, sind aus Sicht von Bamf-Vizepräsidentin Ursula Gräfin Praschma unberechtigt. Das Amt habe aus den bisher vorgelegten Härtefällen gelernt. Einem häufig geäußerten Kritikpunkt gibt sie allerdings recht.

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Ursula Gräfin Praschma (65) ist seit Mai neue Vizepräsidentin beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) in Nürnberg. Im Interview äußert sie sich zu Streitpunkten wie dem Kirchenasyl, der Anerkennung von religiöser Verfolgung, aber auch zu ihrer Haltung als aktive evangelische Christin zum Rettungsschiff der EKD.

Frage: Gräfin Praschma, wie steht es um das Verhältnis zwischen Bundesamt und Kirchen?

Praschma: Aus unserer Sicht ist es gut. Sie sind wichtige Träger von Integrationsprojekten. Wir sprechen auf verschiedenen Ebenen regelmäßig miteinander, einmal im Jahr auch mit dem katholischen Flüchtlings-Bischof Stefan Heße und Caritaspräsident Peter Neher, ähnliche Kontakte gibt es mit der evangelischen Kirche. In allen Gesprächen werden auch kritische Punkte angesprochen.

Frage: Ein großes Konfliktfeld ist derzeit das Kirchenasyl. Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, sprach davon, dass es ausgehöhlt werde, weil es keine echte Prüfung der Härtefälle mehr gebe, sondern eine Wiederholung alter Bescheide. Was sagen Sie dazu?

Praschma: Der Eindruck mag von außen so sein, wird aber unseren Bemühungen nicht gerecht. Die verantwortlichen Mitarbeitenden würdigen die Sachverhalte individuell und sehr sorgfältig. Ich habe mir zuletzt solche Vermerke selber angeschaut, wo genau aufgelistet wird, was für die Zuständigkeit Deutschlands spricht, was dagegen. Was ich den Kritikern zugestehen muss, ist, dass wir diese Abwägungen nicht so transparent machen. Man darf zudem nicht vergessen, dass nicht nur das Bamf über die Fälle entschieden hat, sondern meist auch Verwaltungsgerichte. Wir sind an Recht und Gesetz gebunden - können also das Vorbringen nicht anders bewerten als ein Gericht.

Frage: Aber ist es denn von der Hand zu weisen, dass mittlerweile viel mehr Kirchenasyl-Fälle nicht mehr als Härtefälle anerkannt werden?

Praschma: Seit Beginn der Vereinbarung mit den Kirchen vor fünf Jahren haben wir aus den vorgelegten Härtefällen gelernt. Das heißt: Wenn wir früher zu streng waren, sind wir es heute nicht mehr. Wir erkennen jetzt Härtefälle schon im Asylverfahren an. Ein Kirchenasyl ist dann oftmals nicht mehr notwendig. Die Kirchen und andere Kritiker sehen ja immer nur die Fälle, bei denen es aus deren Sicht schiefgegangen ist.

Ursula Gräfin Praschma im Porträt
Bild: ©Bundesamt für Migration und Flüchtlinge

Ursula Gräfin Praschma ist Vizepräsidentin des Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) in Nürnberg.

Frage: Ein Vorwurf lautet, dass Härtefälle ebenfalls von der Abteilung geprüft werden, die auch für die in Frage stehenden Asylentscheide zuständig sind - ist das ein sauberes Verfahren?

Praschma: Natürlich sind das saubere Verfahren, und für die Zugehörigkeit der Mitarbeitenden zu einer Abteilung müssen wir zurückblicken in das Jahr 2015. Damals ist diese Vereinbarung entstanden, zugleich gab es auch die größte Zuwanderung von Flüchtlingen. Wir haben damals aus praktischen Erwägungen bei syrischen Antragstellenden das Selbsteintrittsrecht ausgeübt und auf Rücküberstellungen in andere Mitgliedstaaten der Europäischen Union im Regelfall verzichtet, in denen sie das erste Mal registriert wurden. Wir waren generell großzügiger. Jetzt wollen wir Entscheidungen aus einem Guss, auch bei Dublin-Verfahren.

Frage: Es ist also die Dublin-Abteilung, die die eigenen Entscheidungen noch einmal prüft?

Praschma: Ja, aber ein gänzlich anderes Referat, und, es wird intern das Vier-Augen-Prinzip gewahrt.

Frage: Um es konkret zu machen: Wenn etwa die oberfränkische Benediktinerin Mechthild Thürmer sagt, eine alleinstehende Frau nach Italien zurückzuschicken ist nicht zumutbar, weil sie dann auf der Straße lebt, und deshalb Kirchenasyl gewährt: Ist das dann nicht ein Härtefall?

Praschma: Wir prüfen immer, wie es einem Flüchtling in einem anderen Land erginge, streng nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes. Konkret sind es drei Grundkriterien: Er muss ein Dach über dem Kopf und ein Bett haben, er muss sich waschen können und er muss etwas zu essen bekommen. Und dabei berücksichtigen wir auch, um welche Person es sich handelt: Ist es eine alleinerziehende Mutter oder ein gesunder, arbeitsfähiger Mann?

Frage: Trotzdem: Der Konflikt um das Kirchenasyl scheint wieder so groß wie vor der Vereinbarung von 2015. Braucht es eine Art Update?

Praschma: Wir sind für alle Gespräche offen, auch für eine gemeinsame Evaluierung, wenn es zu mehr gegenseitiger Akzeptanz führt.

Frage: Ein weiterer schwieriger Punkt in der Flüchtlingspolitik ist die Mittelmeerroute. Die EKD schickt nun ein Schiff zur Rettung Flüchtender in Seenot. Was sagen Sie dazu, auch als evangelisch engagierte Christin in einer Kirchengemeinde?

Praschma: Es schlagen da zwei Herzen in meiner Brust. Als evangelische Christin ist für mich ganz klar: Wir können nicht zuschauen, dass Menschen im Mittelmeer ertrinken. Ich finde das gut, dass meine Kirche hier besonderen Aufwand unternimmt und große Unterstützung von der katholischen Kirche erfährt. Die danach folgende Frage ist aber: Haben die Geretteten dann auch einen Anspruch, nach Europa zu kommen oder nicht? Gibt es vielleicht Alternativen? Diese Frage ist eine politische. Die habe ich als Vize-Präsidentin des Bundesamtes nicht zu beurteilen. Wir sind für diejenigen zuständig, die nach Deutschland gekommen sind.

Linktipp: Innenministerium kritisiert Kirchenasyl – Kirchen wehren sich

2018 hatte die Innenministerkonferenz eine Neuregelung des Kirchenasyls beschlossen. Nun moniert ein interner Bericht des Innenministeriums offenbar, dass manche Regelungen nicht eingehalten würden. Beide Kirchen weisen die Kritik zurück.

Frage: Konflikte gibt es auch immer wieder, wenn die religiöse Verfolgung nach einem Glaubenswechsel, etwa bei Iranern, nicht anerkannt wird. Wie reagiert da das Bundesamt?

Praschma: Auch hier zählt der Einzelfall, die religiöse Identität. Der Glaube wird sehr unterschiedlich engagiert gelebt. Klar ist: Personen, die ihren Glauben sehr aktiv und nach außen wahrnehmbar leben, sind einem viel höheren Risiko ausgesetzt. Da haben wir einen eigenen Prüfauftrag.

Frage: Wie kann ein Amt das bei einer so persönlichen Frage?

Praschma: Wir beziehen da auch das Umfeld ein. Eine Bescheinigung des Pfarrers oder Kirchenvorstands ist da ein wichtiges Indiz. Auch wird bei der Anhörung ausführlich darüber gesprochen, etwa welcher Prozess der Konversion vorausging. Weitere Fragen sind, ob sich der Antragssteller seiner Familie offenbart hat, wie diese reagiert hat und welche Punkte er im Christentum für wichtig erachtet, die er im Islam zum Beispiel nicht findet. Man darf von einem Volljährigen schon erwarten, dass er in der Lage ist, nachvollziehbar zu machen, was jetzt die Glaubensgrundsätze oder Praktiken sind, die für ihn den Ausschlag zur Konversion gegeben haben.

Frage: Braucht es dafür nicht entsprechend sensibilisierte Entscheider?

Praschma: Das ist ein sehr wichtiger Punkt. Wir haben eine Dienstanweisung und Leitsätze, die beschreiben, wie unterschiedlich Christen in den jeweiligen Herkunftsländern verfolgt werden. Außerdem gab es im Frühjahr 2019 einen mehrtägigen Multiplikatoren-Workshop mit Mitarbeitenden aus allen 50 Außenstellen, Vertretern der evangelischen und katholischen Kirche sowie dem Bund der evangelischen Freikirchen. Trotzdem wird es sicher immer wieder Streit um Einzelfälle geben.

Von Christian Wölfel (KNA)