Stephan Goertz betont Bedeutung des Gewissens

Theologe: Lehramt steckt mit Nein zur Pille in Sackgasse fest

Veröffentlicht am 18.08.2020 um 12:30 Uhr – Lesedauer: 

Köln ‐ Seit 60 Jahren sind die Pille und andere künstliche Verhütungsmittel auf dem Markt. Das Lehramt lehne ihren Einsatz zwar ab, doch viele Katholiken fühlten sich eher ihrem Gewissen verpflichtet, so Moraltheologe Stephan Goertz.

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In seiner Ablehnung sogenannter künstlicher Verhütungsmittel wie die Pille hat sich das katholische Lehramt nach Ansicht des Mainzer Moraltheologen Stephan Goertz in eine Sackgasse manövriert. Es ringe mehr um die Frage, wie man da herausfindet, und weniger um die Sache, sagte der Theologe am Dienstag domradio.de. Dabei gehe es um das Verhalten gegenüber einer Norm, die von einer Reihe von Päpsten mit sehr hoher Verbindlichkeit als Ausdruck des wahren katholischen Glaubens dargestellt worden sei.

Hinter der Ablehnung der Verhütungspille steht nach den Worten von Goertz letztlich die antike Vorstellung, der erste Zweck der menschlichen Sexualität bestehe in der Erzeugung und Erziehung von legitimen Nachkommen im Rahmen der Ehe. Dieser Vorrang der Reproduktion werde als Gesetz der Natur verstanden, dem sich der Mensch zu beugen habe. Hinzukomme die alte christliche Abwertung der Lust. "Man sollte nicht vergessen, dass die kirchliche Moral von Männern formuliert wurde, die ihr geistliches Leben durch Sexualität bedroht sahen", so der Theologe.

"Insofern ist das Thema eigentlich durch"

Das Neue an der vor 60 Jahren auf den Markt gekommenen Verhütungspille war laut Goertz, dass nun eine Frau selbst für sich eine Entscheidung für eine relativ sichere Methode der Verhütung treffen konnte. Sie hänge im Unterschied etwa zum Kondom nicht mehr vom Willen und der Mitwirkung des Partners ab. "Wenn man diesen Freiheitsgewinn nicht wahrnimmt, wird man nie zu einer moralisch gerechten Beurteilung gelangen", sagte der Theologe. Die katholische Tradition tue sich bis heute schwer, Frauen als verantwortliche Subjekte ihrer eigenen Sexualität anzuerkennen.

Da seit Papst Pius XII. (1876-1958) bei der Verhütung die Temperatur- und Zeitwahlmethode erlaubt ist, wird nach Ansicht von Goertz die biologische Gesetzmäßigkeit des weiblichen Zyklus zum moralischen Maßstab, hinter dem alle anderen Aspekte zurücktreten müssten. "Es leuchtet aber nicht ein, warum ein biologisches Gesetz wichtiger sein soll als die Frage, welche Methode für ein konkretes Paar in seiner Lebenssituation denn angemessen und verantwortbar ist." Der Unterschied zwischen künstlichen und natürlichen Methoden sei menschlich nicht plausibel und moralisch sekundär.

Die allermeisten Katholiken heute betrachten die Entscheidung über die Verhütungsmethoden als Angelegenheit ihrer eigenen Verantwortung und ihres eigenen Gewissens, betonte der Theologe. "Insofern ist das Thema eigentlich durch."

Der Paderborner Moraltheologe Peter Schallenberg verteidigte das kirchliche Nein zur Verhütungspille hingegen. Er nannte es auf domradio.de "ganz selbstverständlich", dass der Bereich der Sexualität auch der Sorge der Kirche anvertraut sei und sie darüber Aussagen mache. Papst Paul VI. sei vor 60 Jahren dem Minderheitsvotum einer Studienkommission gefolgt, wonach es besser für ein gute Ehe sei, wenn die Verantwortung für die Fortpflanzung nicht einfach in einen technischen Bereich wegdelegiert werde, sondern Thema des ständigen Gespräches zwischen den Partnern sei. Dazu gebe es heute im Rahmen von natürlicher Familienplanung auch verschiedene und sehr gute Ansätze.

Schallenberg widersprach der evangelischen Theologin Margot Käßmann, wonach die Pille ein "Geschenk Gottes" sei. Dies sei eine sehr undifferenzierte Äußerung. Denn die "Pille" habe schwere medizinische Nebenwirkungen. (rom/KNA)

18.08.2020, 16.45 Uhr: ergänzt um die Äußerungen Peter Schallenbergs. /rom