Bericht: Contergan-Experimente an Kindern in Caritas-Einrichtung
Laut einem Bericht des ARD-Magazins "Report Mainz" (Dienstag) wurde in der Caritas-Lungenheilanstalt "Maria Grünewald" in Wittlich (Rheinland-Pfalz) der Einfluss von Contergan an mehr als 300 tuberkulosekranken Kindern getestet. Dies sei geschehen, bevor das Mittel 1961 vom Markt genommen wurde. Ob Kinder dadurch geschädigt wurden, sei nicht bekannt.
Der Trierer Weihbischof Franz Josef Gebert, der zugleich Vorsitzender des Caritasverbandes für das Bistum Trier ist, sagte dem Magazin, man habe nichts von den Versuchen gewusst und sei erschüttert. Die Geschehnisse wolle man aufklären: "Soweit wir das tun können, bedauern wir das sehr und entschuldigen uns für Fehler, die unter dem Namen der Caritas passiert sind", so Gebert. Es sei beschämend, wenn wehrlose Kinder zu Objekten von Experimenten würden: "Das ist ja Körperverletzung." Der Caritasverband sicherte eine Aufklärung der Vorfälle zu.
"Report Mainz" berichtet von mehreren vorliegenden Medikamentenstudien. Demnach seien den 2 bis 14 Jahre alten Kindern teilweise gezielt Überdosen verabreicht worden. Die Ergebnisse seien Ende des Jahres 1960 veröffentlicht worden. Zu diesem Zeitpunkt habe es schon seit mehr als einem Jahr zahlreiche Hinweise auf die schweren Nebenwirkungen von Contergan gegeben.
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Darüber hinaus, so das Magazin weiter, habe ein niedergelassener Kinderarzt aus Stuttgart Contergan an zum Teil erst zwei Wochen alte Säuglinge verabreicht. Er habe seine Tests an insgesamt 89 Kindern durchgeführt, um damit die Wirkung des Schlafmittels auf unruhige und "verhaltensgestörte" Kinder zu erproben.
SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach bezeichnete die Medikamentenstudien mit Contergan als "Menschenversuche". Die Publikation aus der Heilstätte "Maria Grünewald" sei ein bestürzendes Zeitdokument: "Die Studie hätte so niemals durchgeführt und publiziert werden dürfen. Man ist quasi volles Risiko gegangen, wie man es sonst nur in Tierversuchen wagen kann." Solch eine grobe Gefährdung von Kindern hätte für die Ärzte heute wahrscheinlich Haftstrafen zur Konsequenz, so Lauterbach weiter. Alle beteiligten Ärzte hätten eine sehr hohe Schuld auf sich genommen.
Medikamentenstudien an Kindern damals nicht unüblich
Contergan-Hersteller Grünenthal teilte laut "Report Mainz" mit, Medikamentenstudien an Kindern seien zur damaligen Zeit nicht unüblich gewesen. Aus heutiger Sicht seien sie aber nicht nachzuvollziehen. Außerdem entsprächen sie nicht den aktuellen strengen, ethischen Grundsätzen der Arzneimittelforschung. Die Contergan-Tragödie werde immer Teil der Firmengeschichte von Grünenthal bleiben. Die weitreichenden Folgen für die betroffenen Menschen bedauere man zutiefst.
Grünenthal hatte das seit 1957 erhältliche Schlafmittel Contergan 1961 wegen schwerer Nebenwirkungen vom Markt genommen. Weltweit hatte es zuvor Totgeburten und bei etwa 5.000 bis 10.000 Kindern Missbildungen wie fehlende oder verkürzte Arme und Beine gegeben, nachdem Mütter während der Schwangerschaft das Mittel eingenommen hatten. (rom/KNA)