Belarus: "Der Geheimdienst schaut genau hin, was die Kirche macht"
Während die orthodoxen Christen von der eigenen Führung aufgerufen wurden, sich nicht an den Protesten gegen Präsident Alexander Lukaschenko zu beteiligen, bietet der Minsker Erzbischof Kondrusiewicz dem Despoten die Stirn. Von echter Religionsfreiheit waren die gut neun Millionen Katholiken in dem Land aber auch schon vor der Präsidentschaftswahl weit entfernt, sagt Angelika Schmähling vom Osteuropa-Hilfswerk Renovabis.
Frage: Frau Schmähling, was sagen Ihnen die Christen vor Ort, wie sieht die Lage aus?
Schmähling: Die vergangenen zwei Wochen waren von einer starken Dynamik gekennzeichnet. Zuerst gingen Frauen weißgekleidet und mit Blumen auf die Straße, dann kamen Ärzte hinzu und nach und nach haben sich auch die katholischen Christen eingeklinkt. Sie waren am Anfang sehr vorsichtig, aber der Minsker Erzbischof und Vorsitzende der belarussischen Bischofskonferenz, Tadeusz Kondrusiewicz, und auch andere Bischöfe, haben sich zunehmend deutlich gegen jede Gewalt, und eben auch gegen die staatliche Gewaltanwendung geäußert.
Frage: Hat das die Christen ermutigt, sich zu beteiligen?
Schmähling: Ja, es gehen immer mehr Menschen auf die Straße, aus allen Bevölkerungsschichten. Vor einigen Tagen gab es eine kilometerlange "Menschenkette der Buße" durch Minsk, zu der sich Christen aller Konfessionen zusammengetan haben. Sie starteten am Wald "Kurapaty", wo in der Sowjetzeit Massenerschießungen durchgeführt wurden und es noch immer Massengräber gibt – bis zu dem Untersuchungsgefängnis, wo heute Protestierende festgehalten und möglicherweise gefoltert werden. Alle zusammen haben das Vater Unser gebetet. Das war ein starkes Zeichen mitten in der Öffentlichkeit. Die wichtige Botschaft der Kirchen ist eben die christliche, der Aufruf zu Frieden und Versöhnung und Dialog.
Frage: Wie reagiert die katholische Kirche auf Lukaschenkos Drohung vom Wochenende, dass sie sich nicht weiter einmischen soll?
Schmähling: Erzbischof Kondrusiewicz hat eine Predigt am Marienheiligtum in Braslav gehalten, das in Weißrussland sehr verehrt wird. Darin hat er sozusagen ganz aktuell auf die Drohung geantwortet und sehr klar gezeigt, dass er sich nicht einschüchtern lässt. Er sagte, nach dem Geist des Evangeliums dürften die Behörden ausschließlich dem Volk dienen, um für das Gemeinwohl aller Bürger zu sorgen. Unterschiedliche Meinungen müssten akzeptiert, Andersdenkende dürften niemals als Feinde betrachtet werden. Damit rückt der Erzbischof deutlich von der Rhetorik des Präsidenten ab.
Frage: Das heißt, der staatliche Druck geht ins Leere?
Schmähling: Momentan macht die katholische Kirche ihren Standpunkt deutlich, aber wir wissen natürlich nicht, wie es weiter geht. Ein paar Beispiele: In den ersten Tagen nach der Wahl war das Internet so gut wie tot, auch die katholische Nachrichtenseite catholic.by war nicht mehr erreichbar. Normalerweise wird sonntags früh der Gottesdienst aus der Minsker Kathedrale im staatlichen Radio übertragen; nun hieß es plötzlich, aus technischen Gründen sei das nicht mehr möglich. Wahrscheinlich haben die Behörden befürchtet, dass die Predigt wieder eine politische werden dürfte und haben die Übertragung untersagt. Man sieht also: Der Staat kann schon Einfluss nehmen und Druck ausüben. Bei den Protesten direkt nach der Wahl waren zwei Priester für jeweils etwa eine Woche inhaftiert worden. Ob sie nun wirklich Protestierende waren oder nur zur falschen Zeit am falschen Ort: Es zeigt, dass der staatliche Druck auch vor den Geistlichen nicht Halt macht.
Frage: Was ist mit den Orthodoxen – deren Führung hat ja ganz klar dazu aufgerufen, nicht an den Protesten teilzunehmen….
Schmähling: Die orthodoxe Hierarchie in Belarus ist Teil des Moskauer Patriarchats und damit eng an die Position von Patriarch Kyrill gebunden. Patriarch Kyrill hat gleich als einer der Ersten Lukaschenko zum Wahlsieg gratuliert. Vor diesem Hintergrund ist auch der Aufruf zu verstehen. Trotzdem beteiligt sich die orthodoxe Kirche an den interreligiösen Gebeten.
Frage: Wie engagiert sich Renovabis in Weißrussland?
Schmähling: Wir versuchen vor allem, unsere Projektarbeit fortzuführen – seit 1993 unterstützt Renovabis Projekte der Kirche und der örtlichen Caritas. Belarus wurde sehr stark von der Corona-Pandemie getroffen. Wir haben da schon erste Nothilfe geleistet für bedürftige Menschen. Das wollen wir nun fortsetzen. Es ist ja zu erwarten, dass die Situation zum Winter hin noch schwerer wird, gerade wenn die gesundheitlichen Auswirkungen der Pandemie, wirtschaftlicher Einbruch und politische Instabilität zusammenkommen.
Linktipp: Minsker Erzbischof kritisiert Gewalt gegen Demonstranten
Der Minsker Erzbischof Tadeusz Kondrusiewicz hat bei einem Gespräch mit dem Innenminister von Belarus erneut brutale Übergriffe der Sicherheitskräfte gegen Demonstranten nach der umstittenen Präsidentschaftswahl kritisiert.Frage: Fühlen sich die Katholiken vor Ort aus dem Ausland ausreichend unterstützt?
Schmähling: Unterstützung von außen ist immer so eine Sache, denn sie könnte auch den negativen Effekt haben, dass die Katholiken von Lukaschenko als von außen gelenkt dargestellt werden. Wenn sich die deutsche Kirche äußert und dann auch noch die polnischen und litauischen Nachbarn, könnte die Regierung versuchen, das für sich zu nutzen. Letztendlich ist die Zukunft ja auch eine innere Angelegenheit des Landes. Wir können da nicht eingreifen, sondern nur unser bisheriges Engagement fortsetzen – über die Caritas den Armen zu helfen und die Kirche insgesamt dabei zu unterstützen, ihre pastorale Arbeit weiterzuentwickeln.
Frage: Wie war die Lage der Kirchen vor den Protesten?
Schmähling: Es war schon besser als in Sowjetzeiten, aber die Freiheit der Kirche ist eingegrenzt. Es gibt restriktive Vorgaben, nur wenige ausländische Priester dürfen im Land arbeiten, hauptsächlich Polen. Es wird versucht, in der Bevölkerung eine Atmosphäre der Angst zu verbreiten. Und der Geheimdienst KGB schaut genau hin, was die Kirche macht. Der Staat kann die Kirche in ihrer Arbeit leicht behindern, zum Beispiel, indem für kirchliche Vorhaben übergroße bürokratischen Hindernisse aufgebaut werden.
Frage: Wie schätzen Sie die nächsten Tage und Wochen ein?
Schmähling: Ich schwanke zwischen Hoffnung und sehr großer Sorge. Auf der einen Seite gibt es die tollen Bilder vom kreativen Protest, bei dem die Leute friedlich auf der Straße fast schon feiern. Andererseits zeigt sich das System zunehmend militärisch. Und es gibt noch den großen Nachbarn im Osten, eine klare politische Einflussnahme aus Russland und vielleicht noch anderen Ländern. Die Entwicklung ist vollkommen offen. Wir können wirklich nur hoffen und beten, dass es friedlich bleibt.