Standpunkt

Missbrauch im Orden: Die Aufarbeitung kommt erst noch

Veröffentlicht am 27.08.2020 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ Die Umfrage zu sexuellem Missbrauch in Ordensgemeinschaften bringe kaum Erkenntnisse, kommentiert Lucas Wiegelmann. Die könne es nur geben, wenn die einzelnen Konvente ihre Vergangenheit unabhängig aufarbeiten lassen. Es gebe also viel zu tun.

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Die Mitglieder der Deutschen Ordensobernkonferenz (DOK) werden es gut gemeint haben, als sie sich 2019 eine Umfrage zu sexuellem Missbrauch durch Ordensleute vornahmen. Ein weiterer Schritt in Richtung Transparenz sollte es werden, ein wichtiger Beitrag zur Aufarbeitung. Doch die Ergebnisse, die an diesem Mittwoch präsentiert wurden, sorgen weniger für einen Erkenntnisfortschritt als für Verwirrung: Im Grunde weiß man jetzt vor allem, was man alles noch nicht weiß.

Den Angaben zufolge haben 1.412 Menschen den Vorwurf erhoben, durch ein Ordensmitglied Opfer sexuellen Missbrauchs geworden zu sein. Rund 80 Prozent dieser Angaben beziehen sich auf Männerorden. Wie alt die Anschuldigungen sind, ob und wie ihnen angemessen nachgegangen wurde, in welchen Kontexten sie anzusiedeln sind (Beichtstuhl? Internat? Klosterzelle?), was mit den mutmaßlichen Täterinnen und Tätern geschah – all diese Fragen, die für ein tieferes Verständnis des Themas unerlässlich sind, bleiben weiter offen. Das ist keine Aufarbeitung, sondern bestenfalls eine Aufgabenstellung: Es gibt viel zu tun.

Dabei wird es weniger auf die DOK als auf die einzelnen Ordensgemeinschaften ankommen. Die Ordenslandschaft in Deutschland ist extrem vielfältig, von winzigen, überalterten Kongregationen, die gemeinsam im Altersheim leben, bis zu überregional tätigen Schwergewichten, vom kontemplativen Frauenkonvent bis zum Missionsmännerorden. Allgemeine wissenschaftliche Studien zu sexuellem Missbrauch "im Orden" hätten angesichts so unterschiedlicher Realitäten nur begrenzte Aussagekraft. Vielmehr muss sich jede einzelne Gemeinschaft ihrer Verantwortung stellen, die eigene Vergangenheit unabhängig aufarbeiten zu lassen, so wie es etwa die Benediktiner des Klosters Ettal mit einem von ihnen in Auftrag gegebenen Bericht des Münchner Instituts für Praxisforschung und Projektberatung vorgemacht haben. Ob dazu überall das nötige Problembewusstsein vorhanden ist, steht seit der Präsentation der neuen Umfrage leider stärker in Frage als zuvor: Mehr als jede zweite Gemeinschaft hat angegeben, bisher nicht einmal einen Präventionsbeauftragten zu haben.

Von Lucas Wiegelmann

Der Autor

Lucas Wiegelmann ist Chefkorrespondent Vatikan der Herder Korrespondenz in Rom.

Hinweis

Der Standpunkt spiegelt nicht unbedingt die Meinung der Redaktion von katholisch.de wider.