Landesbischof Meister für Suizidbeihilfe auch in kirchlichen Heimen
In der Diskussion um Suizidbeihilfe hat der katholische Moraltheologe Franz-Josef Bormann dem evangelischen Landesbischof Ralf Meister widersprochen. Bormann sagte dem Katholischen Sonntagsblatt für die Diözese Rottenburg-Stuttgart (Ausgabe vom 30. August), es gebe eine "ganz klare biblische Grundorientierung, dass Leben auf keinen Fall zerstört werden darf". Wer dies tue, um den Belastungen eines Alterungs- oder Krankheitsprozesses zu entgehen, könne sich auf keinen Fall auf die Bibel berufen.
Der Hannoveraner Landesbischof Meister hatte für ein Recht auf Selbsttötung plädiert. Wenn das Leben von Gott geschenkt sei, dürfe der Mensch "auch über die Art und Weise und den Zeitpunkt des Lebensendes selbstbestimmt nachdenken", so Meister. Bormann hielt dem entgegen, gerade in der christlichen Tradition gebe es die ganz klare Vorstellung, dass das in den Zehn Geboten festgeschriebene Tötungsverbot auch die Selbsttötung einschließe. Daher sei es "sehr eigentümlich", dass ein evangelischlutherischer Landesbischof, der sich als Protestant in besonderer Weise der Heiligen Schrift verpflichtet wisse, "eine solch abseitige Position vertritt", sagte der Tübinger Theologieprofessor.
Meister plädierte unterdessen für Beihilfe zum Suizid auch in kirchlichen Einrichtungen. "Wenn ein Mensch sterben will und die Unterstützung von Dritten wünscht, muss ich das ernst nehmen", sagte er der "Zeit"-Beilage "Christ und Welt" (Donnerstag). "Natürlich wünsche ich mir, dass er von seinem Vorhaben Abstand nimmt. Aber wenn das nicht geschieht, muss ich ihm beistehen, auch in der Phase des Suizids. Warum sollte die Kirche das einem Sterbehilfeverein überlassen?" Es sei ein Akt der Nächstenliebe und der Jesus-Nachfolge, schwerstkranke Menschen bis zum Schluss zu begleiten - egal, welchen Weg sie gehen, betonte der 58-Jährige. Er unterstrich zugleich, es müssten bestimmte Bedingungen erfüllt sein, um Suizidhilfe ermöglichen zu können. So müssten gesellschaftlicher und familiärer Druck ebenso ausgeschlossen werden wie Depressionen oder psychische Erkrankungen.
Sterbehilfe bei Kindern nicht ausgeschlossen
Meister schloss auch nicht aus, bei Kindern Sterbehilfe zu erlauben. "Auch wenn es ein erschreckendes Thema ist: Wir müssen darüber debattieren, ob wir Sterbehilfe für Kinder erlauben", sagte er. Er wisse persönlich noch nicht, was seine Haltung dazu sei. Mit Blick auf eine lange Tradition der Verurteilung der Selbsttötung durch die Kirchen sagte Meister, die Kirche sei "eine lernende Gemeinschaft von Menschen, die über ethische Grundsatzfragen Vereinbarungen suchen - immer in Verbindung mit der Gottesbeziehung und der Auslegung der Heiligen Schrift". Es gebe keine abschließende evangelische ethische Soziallehre oder eine Lehre vom Sterben. Bormann beklagte, innerhalb der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) gebe es "mittlerweile einen enormen Binnenpluralismus der moralischen Überzeugungen". Das erschwere das ökumenische Gespräch ungemein und zeige, "wie brüchig der ökumenische Konsens in ethischen Fragen inzwischen geworden ist".
Auch der frühere Bundestagspräsident Wolfgang Thierse widersprach Meister. "Als Christ sage ich Ja zur menschlichen Selbstbestimmung, aber Nein dazu, dass der Suizid zum Inbegriff der Selbstbestimmung gemacht wird", sagte das Mitglied des Zentralkomitees der Deutschen Katholiken (ZdK) am Donnerstag im Deutschlandfunk. Als Christ begreife er das Leben als ein Geschenk und leite daraus die Verantwortung und "die prinzipielle Unverfügbarkeit" darüber ab. Christen sollten deswegen einer Tendenz widerstehen, Selbsttötung zur "selbstverständlichen Normalität" und zum "Jedermans-Recht" zu machen.
Zuvor hatte sich bereits der emeritierte Kurienkardinal Walter Kasper gegen die Auffassung Meisters gewandt, das Recht eines Menschen auf Selbsttötung als theologische Möglichkeit in Betracht zu ziehen. Wer ein Recht auf Suizid mit Berufung auf die von Gott gegebene Selbstbestimmung des Menschen beanspruchen wolle, begehe den Grundfehler, diese Selbstbestimmung abstrakt und losgelöst von der konkreten Lebenssituation und der sozialen Situation zu betrachten, sagte Kasper am Montag. Die Aufgabe der Kirchen sei es, die schwierigen menschlichen Situationen rechtzeitig wahrzunehmen und im Vorfeld als Anwältin, Helferin und Beschützerin des Lebens präsent zu sein. (tmg/KNA)
27.8., 11:45 Uhr: Ergänzt um Thierse.