Kasper: Suizidbeihilfe kann nicht Aufgabe der Kirche sein
Der emeritierte Kurienkardinal Walter Kasper hat sich gegen die Auffassung des evangelischen Landesbischofs von Hannover, Ralf Meister, gewandt, das Recht eines Menschen auf Selbsttötung als theologische Möglichkeit in Betracht zu ziehen. Wer ein Recht auf Suizid mit Berufung auf die von Gott gegebene Selbstbestimmung des Menschen beanspruchen wolle, begehe den Grundfehler, diese Selbstbestimmung abstrakt und losgelöst von der konkreten Lebenssituation und der sozialen Situation zu betrachten, sagte Kasper am Montag der in Würzburg erscheinenden Zeitung "Die Tagespost". Freiheit sei immer auch und sogar wesentlich die Freiheit der anderen.
"Man hat erfüllte Freiheit nur in einem freiheitlichen, fürsorglichen, lebenswerten und liebenswerten sozialen Kontext, in dem die Würde jedes Menschen nicht nur prinzipiell betont, sondern der Lebenswert jedes Menschen unabhängig von der Leistungsfähigkeit, der Produktivität und vom Alter anerkannt wird", so Kasper wörtlich. Nur so könne der Kurzschluss verhindert werden, das eigene Leben sei nichts mehr wert und könne deshalb beendet und weggeworfen werden.
Kasper sieht Kirche in einer Wächterrolle
Der Kirche kommt laut dem Kardinal in diesem Zusammenhang eine Wächterrolle zu. Ihre Aufgabe sei es, die schwierigen menschlichen Situationen rechtzeitig wahrzunehmen und im Vorfeld als Anwältin, Helferin und Beschützerin des Lebens präsent zu sein: "Ihre Aufgabe kann nicht Sterbehilfe im Sinn der Suizidhilfe sein, sondern nur der Sterbebegleitung auf dem Weg einer menschenwürdigen Ausgestaltung der letzten irdischen Lebensphase." Dies könne durch den Ausbau und die Intensivierung der palliativen Therapie, der Hospizarbeit, durch caritative und diakonische Beratungsdienste oder durch die Telefonseelsorge geschehen, die ihrerseits ärztliche und psychologische, oft auch praktische Lebenshilfe vermitteln könnten.
Kasper reagierte mit seinen Ausführungen auf Aussagen Meisters, der die Selbsttötung kürzlich auch aus christlicher Perspektive für zulässig gehalten hatte. "Der Mensch hat ein Recht auf Selbsttötung, wobei ich hier Recht nicht juristisch meine, sondern theologisch als eine Möglichkeit verstehe", so Meister Anfang August gegenüber der "Neuen Osnabrücker Zeitung". "Wenn mir Gott das Leben schenkt, hat er mir an dem Tag, ab dem ich Erdenbürger bin, auch die Berechtigung zur Gestaltung dieses Lebens gegeben."
Der Landesbischof hatte in der Zeitung erklärt, er hoffe auf eine gute Diskussion über den Umgang mit Sterbenden und deren Begleitung. Meister bejahte, dass es Ärzten künftig erlaubt sein sollte, ein tödliches Medikament zu verschreiben und zu verabreichen. "Genau über diesen Punkt sollten Gesetzgeber und Ärztekammer sprechen", sagte er. Er sei jedoch gegen jede Form von geschäftsmäßiger Assistenz zum Suizid. "Denkbar wäre so etwas wie eine Beratungspflicht, wenn möglich zusammen mit Angehörigen und Ärzten", so Meister. "Wir sollten alle Möglichkeiten eröffnen, dass ein Leben bis zum letzten Atemzug lebenswert bleibt", forderte der hannoversche Landesbischof.
Verfassungsgericht hatte geltende Regelung im Februar für nichtig erklärt
Das Bundesverfassungsgericht hatte Ende Februar den Paragrafen 217 Strafgesetzbuch für nichtig erklärt und damit das 2015 vom Bundestag beschlossene Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung aufgehoben. Karlsruhe betonte, es gebe ein umfassendes Recht auf selbstbestimmtes Sterben. Darin sei die Freiheit eingeschlossen, auch die Hilfe Dritter in Anspruch zu nehmen. Zugleich erklärte das Gericht ausdrücklich, dass es dem Gesetzgeber möglich sei, eine neue rechtliche Regelung zu beschließen. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) erbat daraufhin von Kirchen, Medizinern, Juristen und Sozialorganisationen Vorschläge für eine Gesetzesreform.
Das Urteil traf bei der katholischen und Teilen der evangelischen Kirche sowie manchen Vertretern der Ärzteschaft auf heftige Kritik. Entgegen einer gemeinsamen kritischen Stellungnahme der Spitzen der Deutschen Bischofskonferenz und der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) hatte Meister das Urteil begrüßt. (stz)