Vereinbarung läuft aus – Verlängerung noch nicht sicher

Experte: Diese Folgen hätte ein Ende des Vatikan-Abkommens mit China

Veröffentlicht am 20.09.2020 um 12:59 Uhr – Lesedauer: 

Sankt Augustin ‐ Das Abkommen zwischen China und dem Vatikan läuft am 22. September aus. Trotz aller Absichtsbekundungen ist bislang nicht sicher, ob es verlängert wird. China-Experte Pater Martin Welling spricht über positive Entwicklungen, Enttäuschungen – und mögliche Konsequenzen einer Nicht-Verlängerung.

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Am 22. September 2018 wurde die Unterzeichnung der zunächst auf zwei Jahre befristeten Vereinbarung zwischen dem Vatikan und China bekanntgegeben. Was haben die vergangenen zwei Jahre gebracht für die Katholiken in China? Und wie geht es weiter? Der Direktor des China-Zentrums in Sankt Augustin bei Bonn, Pater Martin Welling, gibt im Interview seine Einschätzung.

Frage: Pater Welling, was hat das Abkommen den Katholiken in China bisher gebracht?

Welling: Seit September 2018 wurden bisher zwei Bischöfe mit päpstlicher und staatlicher Zustimmung geweiht und fünf Untergrundbischöfe staatlich anerkannt, ein weiterer alter Bischof wurde anerkannt und zugleich emeritiert. Allerdings ist keiner von ihnen vollständig auf der Grundlage der "vorläufigen Vereinbarung", bei der es ja um die Auswahl und Ernennung von Bischöfen sowohl vom Vatikan als auch von China ging, eingesetzt worden.

Auch hatte man gehofft, es würden zügig neue Kandidaten für die etwa 40 vakanten Diözesen eingesetzt werden. Das ist bisher nur in zwei Fällen geschehen. Die Gründe dafür sind uns nicht bekannt, aber es wird definitiv als eine Enttäuschung empfunden.

Frage: Gab es auch Besonderheiten auf weltkirchlicher Ebene durch das Abkommen?

Welling: Die Teilnahme von zwei chinesischen Bischöfen an der Bischofssynode über die Jugend ist ein kirchengeschichtlich wichtiges Ereignis. Von vielen wurde es wohl zu Recht begrüßt, im Untergrund allerdings konnten viele nicht verstehen, dass einer der beiden Bischöfe, der kurz davor noch "illegal" war, so zeitnah als Vertreter der Kirche Chinas in die Bischofssynode zum Thema Jugendpastoral eingeladen wurde, während der Jugend Chinas in vielen Provinzen der Zugang zu Religion verwehrt wird.

Pater Martin Welling ist seit 2012 Direktor des China-Zentrums der Steyler Missionare.
Bild: ©KNA

Pater Martin Welling ist seit 2012 Direktor des China-Zentrums der Steyler Missionare in Sankt Augustin.

Frage: Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin erklärte kürzlich, beide Seiten wollten die Vereinbarungen verlängern – trotz Problemen und Ergebnissen, die "nicht besonders" seien. Wie sehen Sie das?

Welling: Immerhin ist diese Vereinbarung das erste gemeinsame Dokument beider Parteien seit 1949. In ihm wird dem Papst eine besondere Rolle bei der Bischofsernennung eingeräumt. Bei der Verlesung der Ernennungsurkunde des Bischofskandidaten wird seitdem explizit erwähnt, dass der Papst der Auswahl des Kandidaten "zugestimmt" habe. Somit ist er vorerst als Haupt der römisch-katholischen Weltkirche anerkannt!

Das Religionsbüro Chinas, die Patriotische Vereinigung der katholischen Kirche, selbst die Bischofskonferenz Chinas verfolgen aber explizit in ihren Satzungen das Ziel einer "autonomen", also von der römisch-katholischen Kirche getrennten "chinesisch-katholischen Kirche". Je nach Interpretation des Begriffes "autonom" ist dieses Ziel mit der katholischen Lehre nicht zu vereinbaren. Diesem Prinzip müssen sich aber alle Priester und Bischöfe Chinas verpflichten, weshalb bis heute viele von ihnen die offizielle Registrierung verweigern.

Frage: Und wo sehen Sie Positives?

Welling: Als klarer Erfolg muss gewertet werden, dass gegenwärtig alle Bischöfe Chinas mit dem Bischof von Rom in Gemeinschaft stehen. Aber erst, wenn auch alle Untergrundbischöfe von China als gleichberechtigt anerkannt und Teil der Bischofskonferenz sind, kann diese vom Vatikan anerkannt werden. Diese Einheit ist eines der erklärten Hauptziele des Vatikan im Dialog mit China.

Frage: Wie hat sich das religiöse Leben der Katholiken durch das Abkommen verändert?

Welling: Die größte Enttäuschung dürfte sein, dass China einerseits Verträge mit der Kirche abschließt, von Dialog und Vertrauensaufbau spricht, und zugleich rigoros in vielen Teilen Chinas die Vorschriften für die Verwaltung religiöser Angelegenheiten durchboxt: Priester und Bischöfe bedroht und drängt, sich registrieren zu lassen, sie zeitweise verschleppt oder schikaniert, Minderjährigen den Zugang zu Kirchen und Religionsunterricht strengstens verbietet, Studenten, Professoren und viele andere Menschen und deren Familien bedroht, wenn sie einer Religion angehören oder sich aktiv religiös betätigen und mit einem unvorstellbaren Überwachungsapparat nicht nur Kirchen und Religionen, sondern die ganze Gesellschaft überwacht.

Kirche in China
Bild: ©KNA/Katharina Ebel

Trotz des Abkommens sind Katholiken weiterhin der Schikane der chinesischen Regierung ausgesetzt, moniert Pater Martin Welling.

Frage: Was würde passieren, wenn das Abkommen nicht verlängert würde?

Welling: Alles spricht dafür, dass es verlängert wird – auch wenn es gegenteilige Szenarien gibt. Während das chinesische Außenministerium an einer Weiterführung interessiert ist, um international als verhandlungsbereit im Bereich der Religionsfreiheit dazustehen und vor allem die Taiwanfrage einer Lösung zuzuführen, arbeitet das Religionsbüro der Einheitsfront stark gegen diese Vereinbarung. Denn zu dessen Hauptaufgaben gehört es, jeglichen Einfluss von außen auf die Religionen zu verhindern und die alleinige Kontrolle des Staates über die Religionen zu garantieren. Es wird spannend sein zu sehen, wer sich durchsetzt.

Ein Abbruch der Verhandlungen würde wohl zu einer noch stärkeren Unterdrückung der Untergrundkirche führen, vielleicht sogar eine Verfolgungssituation herbeiführen. Die Verbindungen der offiziellen Kirche zur Weltkirche würden voraussichtlich noch schwieriger gestaltet, wenn nicht ganz unterbunden werden.

Frage: Laut Beobachtern wäre der erneuerte Deal ein Prestigegewinn für Peking. Und für den Vatikan?

Welling: Das Schweigen des Papstes in der Öffentlichkeit zu Unterdrückung und Inhaftierung von wahrscheinlich über einer Million muslimischer Uiguren, zur Einführung des Sicherheitsgesetzes in Hongkong, zum Abreißen von Kreuzen und Kirchen, zum Verbot des Kirchenbesuchs und der religiösen Unterweisung für Minderjährige hat Franziskus' Ansehen in der Kirche Chinas, aber auch bei Teilen der protestantischen Kirche und anderen Religionsgemeinschaften sehr geschadet. Mit großer Wahrscheinlichkeit hat der Vatikan diese Probleme in bilateralen Gesprächen mit China angesprochen - diese Möglichkeit ist ja einer der Vorteile des Abkommens –, aber ohne jeglichen Erfolg.

Bei diversen Ereignissen in diesen zwei Jahren zeigt sich, wie wenig Einfluss der Vatikan und die Vereinbarung auf das Handeln der chinesischen Religionsbehörden und Sicherheitskräfte haben. Die verdiente Anerkennung, den langjährigen Dialog mit China zu einem gemeinsamen Abkommen mit dem chinesischen Staat geführt zu haben, verblasst mehr und mehr an der Realität chinesischer Religionspolitik.

Änderungen betreffs der harschen Durchführung der Vorschriften für religiöse Angelegenheiten wird der Vatikan kaum erreichen können. Sollte er es aber schaffen, den Text öffentlich zu machen oder Zeichen von Respekt Chinas für die alten Untergrundbischöfe zu erwirken, würde das dem Image von Papst Franziskus vielleicht auch in der Untergrundkirche ein wenig helfen. Aber dies ist kaum zu erwarten. Trotz aller Fragen und Enttäuschungen sind sich jedoch alle Katholiken in einem Prinzip einig: Wir stehen treu zum Papst!

Von Sabine Kleyboldt (KNA)