"Pflichtlektüre": So reagiert die Weltkirche auf "Fratelli tutti"
Am Samstag unterschrieb Papst Franziskus seine dritte Enzyklika "Fratelli tutti" in Assisi, in der er zu einer neuen Weltordnung aufruft. Nach der Veröffentlichung am Sonntag ließen Reaktionen nicht allzu lange auf sich warten: Als "Weckruf" bezeichnete Bischof Georg Bätzing, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, das Schreiben. Es sei "ein eindringlicher Appell für weltweite Solidarität und internationale Zusammenarbeit". Auch das Votum anderer deutscher Bischöfe fiel positiv aus: Der Münchner Kardinal Reinhard Marx sprach von einem hochaktuellen und bedeutsamen Text "zur rechten Zeit", der Hamburger Erzbischof Stefan Heße von einer "Vision weltweiter Geschwisterlichkeit und Gemeinschaft aller Menschen".
Als Schreiben von weltkirchlicher Geltung hat die Enzyklika selbstverständlich bei Bischöfen aus aller Welt Reaktionen hervorgerufen. Positive Stimmen gibt es etwa aus den USA: José Horacio Gómez, Erzbischof von Los Angeles und Vorsitzender der Bischofskonferenz der Vereinigten Staaten, würdigt das Schreiben als wichtigen "Beitrag zur reichen Tradition der Soziallehre der Kirche" – wie zuvor "Laudato Si". Franziskus' Gedanken seien "tiefgründig und schön": Gott habe "jeden Menschen mit gleicher Heiligkeit und Würde, gleichen Rechten und Pflichten geschaffen" und rufe dazu auf, als Brüder und Schwestern in einer menschlichen Familie zu leben. Mit seiner Analyse der heutigen Welt gebe Papst Franziskus eine "kraftvolle und dringende Vision für die moralische Erneuerung" von Politik und Wirtschaft, so Gómez. Er bete, dass nicht nur Katholiken über die Worte des Pontifex nachdenken und eine Menschenfamilie anstreben.
Eine "Pflichtlektüre für alle"?
Irlands Primas, Erzbischof Eamon Martin, teilt die Begeisterung und spricht von einer "Pflichtlektüre für alle": "Ich begrüße von ganzem Herzen diese zeitgemäße und provokative Botschaft von Papst Franziskus, die uns so kraftvoll an die Botschaft der Liebe erinnert", so der Erzbischof von Armagh. Gerade eine Pandemie erinnere an die Verbundenheit der Menschen auf der ganzen Welt, zeige aber auch die Zerbrechlichkeit. In diesen Zeiten sehne sich der Mensch nach Mitgefühl, Liebe und "Hoffnung, die der Glaube an Gott bringen kann". "Papst Franziskus hat eine echte Gabe, sich dem Wort Gottes zu öffnen und darüber nachzudenken – er liebt es, eine Schriftstelle auszuwählen und 'laut darüber zu meditieren', was Gottes Wort zu uns sagt", so der Erzbischof. "Wie erwartet" habe die Enzyklika durch den Appell an Solidarität und Menschenwürde "eine herausfordernde Botschaft für politische und kirchliche Führungspersönlichkeiten über Dialog, gegenseitiges Verständnis und gemeinsame Bemühungen um praktische Aktionen, um in der Welt etwas zu bewegen".
Dem Lob schließt sich die italienische Bischofskonferenz an. Deren Präsident Kardinal Gualtiero Bassetti betonte: "In dieser wegen der Pandemie beispiellosen Zeit zeichnet die Lehre von Papst Franziskus weiterhin einen sehr präzisen Weg vor, der von allen Menschen guten Willens beschritten werden kann." Die Enzyklika sei Ergebnis einer Überlegung, die Franziskus schon am Anfang seines Pontifikats getroffen habe, die aber in den vergangenen Jahren in Gesten und Worten zurückgegangen sei. Jetzt seien deutlich "die beiden Lungenflügel" sichtbar, "die der Kirche einen wichtigen und anderen Atem geben wollen". Einerseits stehe die Verkündigung Gottes, der Liebe und der Barmherzigkeit im Vordergrund, andererseits "die Notwendigkeit, nicht nur füreinander, sondern auch für Gott, die Schöpfung und sich selbst zu 'sorgen' – zu wachen", so Bassetti.
Anwalt diverser Minderheiten
Mit der Enzyklika werde Papst Franziskus "'Anwalt der Schwachen, Armen, Alten, Flüchtlinge wie auch Anwalt des Lebens und der Schöpfung", so Erzbischof Franz Lackner, Vorsitzender der Österreichischen Bischofskonferenz. "Ohne den Einzelnen in seiner unverbrüchlichen Würde zu verlieren, schafft der Papst einen universalen Ausblick auf das Ganze der Gesellschaft mit ihren religiösen und öffentlichen Organisationsformen", sagte der Salzburger Erzbischof in einer Stellungnahme gegenüber der Nachrichtenagentur "kathpress" am Montag. Dabei zeige der Papst mutig Schwächen und brüchig gewordene Wege, sei "aber auch getragen von einer tief verwurzelten Gläubigkeit des Evangeliums".
Im Namen des Präsidiums der Schweizer Bischofskonferenz hält Weihbischof Alain de Raemy fest, Papst Franziskus wolle mit der Enzyklika die christliche Grundlage oder Konsistenz des Dokuments von Abu Dhabi unterstreichen, aber auch den sozialen Aspekt seiner 2015 veröffentlichten Umweltenzyklika "Laudato Si". Der Geistliche lobt unter anderem die Ausführungen des Pontifex zum Krieg und zur Todesstrafe, die "von bemerkenswerter Tiefe" seien.
Neutraler, aber dennoch gewogen äußert sich der Vorsitzende der polnischen Bischofskonferenz, Erzbischof Stanislaw Gadecki. Brüderlichkeit gebe es nicht nur bei religiösen Bindungen, sondern sei "eine universelle Brüderlichkeit, die nichts mit Blutgemeinschaft zu tun hat". Eine solche "offene Brüderlichkeit überschreite nicht nur geographische, sondern auch "die Grenzen von Nationen, Religionen und allen Rassen", so der Erzbischof von Posen.
Ähnlich hält es der Vorsitzende der französischen Bischofskonferenz, Erzbischof Éric de Moulins-Beaufort. Die Enzyklika sei "ein umfangreicher und anspruchsvoller Text", in dem Papst Franziskus wie Jesus Christus die verschiedenen Aspekte mit großer Freiheit beschreibe. "Er lässt sich von den scheinbaren Zwängen dieser Welt nicht beeindrucken. Er stellt vor die Augen eines jeden die Orte, an denen die Brüderlichkeit zu scheitern droht", so der Oberhirte von Reims. Ob Mensch, Unternehmen, Staat oder Familie: Jeder könne überlegen, wie man zu einer wahren Brüderlichkeit komme.