Wie Glaube und Naturwissenschaft miteinander vereint werden können
Joanna Maria Otto ist promovierte Neurobiologin, lebte vier Jahre lang als dominikanische Ordensfrau und schreibt heute Bücher. Glaube und Wissenschaft schließen sich aus ihrer Sicht nicht aus. Doch auch in ihrem Freundes- und Bekanntenkreis erlebe sie viele Vorurteile auf beiden Seiten, sagt sie im Interview. Sie erklärt auch, was sich aus ihrer Sicht verändern muss, damit das Verhältnis von Glaube und Wissenschaft sich in Zukunft verbessert.
Frage: Frau Otto, wie kommt es, dass wir im Jahr 2020 noch immer über das Verhältnis von Glauben und Naturwissenschaft streiten? Müssten wir nicht eigentlich viel weiter sein?
Otto: Ich glaube, dass viele Menschen heute grundsätzlich nichts mehr mit dem Glauben anfangen können und sich deswegen auch nicht damit auseinandersetzen, sondern annehmen, dass die Kirche sowieso rückschrittlich und gegen jeden wissenschaftlichen Fortschritt ist. Andersherum beschäftigen sich viele gläubige Menschen vermutlich nicht mit der Frage, wie Wissenschaft und Glaube im Alltag zusammengehen. Sie glauben in der Kirche und leben in einer fortschrittlichen Welt – und trennen die Bereiche einfach in ihren Köpfen.
Frage: Wenn man die Diskussionen zu diesem Thema verfolgt, fällt auf, mit welcher Vehemenz gestritten wird, dass Glaube und Fakten nicht miteinander vereinbar sind. Verwundert sie das?
Otto: Nein, das verwundert mich überhaupt nicht. Die einen denken, der Glaube sei so etwas wie ein naiver Märchenglaube, und sehen sich vollkommen im Recht, weil wissenschaftliche Erkenntnisse nun mal Fortschritt bedeuten und alles andere Quatsch ist. Die anderen wollen sich das – verständlicherweise – nicht sagen lassen. Zudem habe ich den Eindruck, dass manche Gläubige Angst vor der Wissenschaft haben, weil sie befürchten, damit könnte ihnen ihr Glaube genommen werden. Da sind also gleich sehr viele Emotionen mit im Spiel, und diese Diskussionen werden schnell hitzig.
Frage: Weil dann Weltbilder aufeinanderprallen?
Otto: Genau, weil dann direkt persönliche Wertungen im Spiel sind, wie: "Du hast ja nicht mehr alle Tassen im Schrank, wenn du an Gott glaubst." So habe ich das selbst auch erlebt bei meiner Arbeit als Neurobiologin. Ich wurde angeschaut, als wenn ich an den Osterhasen glauben würde, und die Kollegen konnten überhaupt nicht verstehen, wie das zusammengeht, dass ich als Wissenschaftlerin an Gott glaube.
Frage: Wie sind Sie damit umgegangen?
Otto: Ich bin zuerst in Deckung gegangen, um nicht ständig persönlich angegriffen zu werden. Das habe ich von beiden Seiten erlebt: Von Wissenschaftlern, die dachten, dass ich spinne, genauso wie von Gemeindemitgliedern, die mir vorwarfen, dass ich Biologin bin. Ich für mich persönlich habe da nie ein Problem gesehen. Erst später habe ich verinnerlicht, dass ich Stellung beziehen muss, um den Menschen zu zeigen, dass Wissenschaft und Glaube sich nicht ausschließen.
Frage: Wie können Sie das für sich persönlich innerlich vereinbaren? Trennen Sie Glaube und Naturwissenschaft?
Otto: Für mich gibt es keine Trennung zwischen beiden Feldern. Wenn ich von der wissenschaftlichen Seite schaue, habe ich in meinem Studium und auch in der Forschung so viel Staunenswertes erlebt, das man nicht ohne Weiteres erklären kann. Irgendwann kommt man auch als Wissenschaftlerin an den Punkt, wo das sichere Wissen aufhört und man einfach nur noch staunen kann. Gleichzeitig geht mein Glaube ebenfalls in die Tiefe, und ich suche danach, was das Leben und die Natur ausmachen. Gerade da berühren sich die Bereiche wieder. Für mich geht das zwingend zusammen. Ich glaube nicht an einen Gott, der nur sonntags in der Kirche anwesend ist, sondern an einen, der in allem ist. Und da finde ich nichts, was sich da widersprechen würde.
Frage: Bedeutet das, dass Sie Wunder als solche einfach wahrnehmen, ohne als Wissenschaftlerin immer auf die Fakten zu schauen und wissen zu wollen, was dahintersteckt?
Otto: Zwei Dinge sind dabei wichtig: Zum einen muss man als Wissenschaftler irgendwann stehen bleiben, weil es uns aus meiner Sicht ethisch überhaupt nicht zusteht, alles zu verzwecken und zu verändern, nur weil es machbar ist. Eine gewisse Ehrfurcht vor dem Lebendigen muss immer sein. Gleichzeitig blende ich aber die Fakten natürlich nicht aus, sondern gehe ins Detail und schaue, was zu überprüfen und zu belegen ist. Ich muss mir immer bewusst machen, dass es auch Dinge gibt, die wir nicht direkt erfassen können, die aber trotzdem da sind. Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass wir uns diesen Dingen immer weiter annähern werden, weil die Methoden besser werden. Aber wir werden niemals alles sicher wissen. Vielleicht ist das auch ganz schön so.
„Es wäre gut, die Menschen wieder mehr ins Gespräch zu bringen. Ich erlebe auch in meinem Bekannten- und Familienkreis teilweise sehr viele Vorurteile. Da fehlt es an Informationen.“
Frage: Sie waren erst Neurobiologin, dann Schwester in einem Dominikanerkloster, anschließend Biologie- und Physiklehrerin und arbeiten jetzt als Autorin. Wie kam es zu diesem ständigen Wandel?
Otto: Auf den ersten Blick wirkt das vielleicht verworren. Zum Teil habe ich das auch selbst gedacht. Das hat auch mit gesundheitlichen Schwierigkeiten zu tun, weshalb ich irgendwann die Karriere in der Forschung aufgeben musste. Ich muss aber auch sagen, dass mich das nie komplett erfüllt hat. Parallel war ich schon im Gebet und auf der Suche danach, wohin mein Leben eigentlich gehen soll. Durch diesen Bruch kam dann die Entscheidung, meiner inneren Sehnsucht zu folgen und ins Kloster einzutreten. Der Dominikanerorden hat mich sehr angesprochen, weil das ein intellektueller Orden ist, der sich dem Studium verschrieben hat. Auch wenn es radikal klingt, war es aus meiner Sicht konsequent, als Wissenschaftlerin in den Orden einzutreten. Dort habe ich dann nicht mehr mit experimentellen Methoden geforscht, sondern habe versucht, den Dingen mehr durch innere Betrachtung näher zu kommen.
Frage: Trotzdem sind Sie nicht im Orden geblieben …
Otto: Auch dort ging meine innere Sehnsucht nicht in Erfüllung, sodass es konsequent war, nach vier Jahren wieder auszutreten. Ich habe mir dann die Frage gestellt, wie ich das alles verbinden kann, und habe dann Biologie und Physik an einem katholischen Gymnasium unterrichtet. Leider auch nur ein Jahr, dann kamen gesundheitliche Probleme und damit wieder die Frage, wie es weitergehen soll. Ich habe dann einfach geschaut, was sein soll, und habe nun die Zeit, Bücher zu schreiben. So sehr sich das alles also nach Abbrüchen und Wechseln anhört, hat mein Leben doch einen roten Faden: die Sehnsucht nach dem Lebendigen. Das ist das, was mich umtreibt.
Frage: Was müsste sich aus Ihrer Sicht ändern, damit das Verhältnis von Kirche und Naturwissenschaft sich verbessert?
Otto: Es wäre gut, die Menschen wieder mehr ins Gespräch zu bringen. Ich erlebe auch in meinem Bekannten- und Familienkreis teilweise sehr viele Vorurteile. Da fehlt es an Informationen. Zum Beispiel wurde die Erde als Mittelpunkt des Universums von der Kirche nie zum Dogma erhoben – obwohl das zahlreiche Menschen denken. Viele kennen die Texte der Päpste nicht, die die Missverständnisse um Galilei und Darwin aufräumen, und wissen nichts von der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften, wo Wissenschaftler im Dienst der Kirche auf dem neuesten Stand der Forschung arbeiten. Gleichzeitig wäre es vonseiten der Kirche gut, mehr über Öffnung nachzudenken und den modernen Menschen dort abzuholen, wo er steht. Auch da fehlt es an Informationen. Ich finde es auch sehr schade, dass beispielsweise an Schulen nicht fächerübergreifend Religion und Biologie in Dialog treten. Das wäre sehr spannend, aber auch hier sind die Fächer noch sehr getrennt.
Frage: In Ihrem Buch schreiben Sie auch über Galilei und seine Rehabilitation durch die Kirche. Was entgegnen Sie Menschen, die sagen, die Kirche ist rückschrittlich, weil sie ihn erst Ende des letzten Jahrhunderts nach über 400 Jahren rehabilitiert hat, obwohl doch längst klar war, dass das, was er gesagt hat, stimmt?
Otto: Es stimmt, dass das sehr lange gedauert hat. Das muss sich die Kirche auch sagen lassen, genauso wie die Tatsache, dass zu lange Bücher mit einem Publikationsverbot belegt wurden und man den Menschen verboten hat, sich zu informieren. Das ist einfach rückschrittlich. Ich finde es aber trotzdem endscheidend, dass die Kirche sich inzwischen geändert hat. Wenn man nur bei den Vorwürfen gegen die Kirche stehenbleibt, hat man ja nichts geändert. Ich finde, es braucht deshalb die Bereitschaft von beiden Seiten. Viele Gegner bleiben gerne stehen und sagen: "Die Kirche ist rückschrittlich." Sie erkennen aber nicht an, dass die Kirche dabei gerade einen Fortschritt macht.
Buchtipp
Joanna Maria Otto: Galilei, Darwin, die Kirche und ich. Die Antwort auf die Frage, wie ich als Naturwissenschaftlerin an Gott glauben kann. Trier: Paulinus Verlag, 143 Seiten, 16 Euro.