Dogmatiker Essen warnt: Synodaler Weg ist mit Hoffnungen überfrachtet
Der Berliner Dogmatikprofessor Georg Essen warnt vor einem Scheitern des Reformdialogs der katholischen Kirche in Deutschland. "Auch wenn ich die Ziele aufrichtig unterstütze, bleibe ich skeptisch", sagte er in einem am Dienstag veröffentlichten Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). "Der Synodale Weg wird mit Erwartungen überfrachtet, die kaum eingelöst werden können", erklärte der geschäftsführende Direktor des Instituts für Katholische Theologie an der Berliner Humboldt-Universität.
So könnte der Reformdialog "im Ergebnis zu noch mehr Ratlosigkeit, Frustration und Resignation führen, was bitter wäre", betonte der Professor für Systematische Theologie. "Es werden ja alle Themen aufgegriffen, die seit den 1970er Jahren aufgeschoben und ausgesessen werden, und das heute bei wesentlich stärkerer Polarisierung der Positionen."
"Zugleich immunisiert sich das kirchliche Lehramt gegenüber allen Reformbewegungen", kritisierte Essen. Im Synodalen Weg spiegle sich die "Sackgasse der römisch-katholischen Kirche" wider. "Sie hat sich im 19. Jahrhundert ein dogmatisches und rechtliches Gerüst gegeben, das sie vollständig blockiert, weil sie über ihre eigenen versteinerten Traditionen nicht mehr hinweg kann", sagte Essen. Er bedauerte "eine latente Wissenschaftsfeindlichkeit des römischen Lehramtes der Theologie gegenüber, wenn es sich etwa seit 100 Jahren abkoppelt von wissenschaftlichen Erkenntnissen zum Beispiel mit Blick auf Sexualität".
Vorwurf fehlenden theologischen Tiefgangs ist "Dreistigkeit"
Essen wies den Vorwurf, der Synodale Weg habe zu wenig theologischen Tiefgang, als "Dreistigkeit" zurück. "Wer dies behauptet, sollte eigentlich sagen, dass es nicht die Theologie ist, die er selbst für richtig hält." Tatsächlich engagierten sich beim Synodalen Weg "viele unserer profiliertesten Theologinnen und Theologen".
Zur Frage des Missbrauchsskandals, der ein Anlass für den Reformdialog des Synodalen Wegs war, sagte Essen, der Missbrauch und dessen Vertuschung durch Amtsträger sei "eine Beschädigung des katholischen Selbstverständnisses, von der wir noch nicht wissen, wie wir weiter damit umgehen können". Das gebe der Missbrauchskrise "ein dramatisches Ausmaß". Der Kirche drohe "ein Legitimationszerfall, wie wir ihn bislang noch nicht kannten".
Ein Jahr nach der Eröffnung sieht Essen das Institut für Katholische Theologie an der Berliner Humboldt-Universität trotz Corona auf einem guten Weg. Zwar habe sich die Pandemie auf den Aufbau "massiv" ausgewirkt. "Die Vernetzungen, die wir schon begonnen hatten, liegen zum Teil brach", erklärte der Dogmatikprofessor. Andererseits habe ein kleines Institut auch Vorteile, betonte Essen. So habe er per Internet eine Konferenz mit allen Lehrenden und den rund 60 Studierenden abhalten können. Zudem sei es gelungen, das komplette Lehrangebot digital anzubieten. "Der große Nachteil ist: Für uns Lehrende ergaben sich im Sommersemester so gut wie keine Kontakte zu Studierenden", räumte der Professor für Systematische Theologie ein.
Kooperation mit dem Institut für Islamische Theologie
Mit dem zeitgleich eröffneten und im selben Haus untergebrachten Institut für Islamische Theologie kooperiere das katholische Institut dennoch bereits bei einem "großen Ethik-Projekt", so Essen weiter. Mit dem Islam-Institut und der "School of Jewish Theology" in Potsdam arbeite er mit seinen Institutskollegen überdies an einem gemeinsamen Forschungsprogramm über die unterschiedlichen Konzepte von Theologie. "Selbstverständlich kooperieren wir auch eng mit der evangelischen Theologischen Fakultät der Humboldt-Universität", hob der Institutsleiter hervor. Ein weiterer wichtiger Partner sei die Katholisch-Theologische Fakultät der Universität Erfurt.
Die sechs Professorinnen und Professoren des Instituts seien zudem gefragte Gesprächspartner bei Medien, Akademien und politischen Stiftungen, sagte Essen. Auch in säkularen und pluralen Gesellschaften stelle sich die Frage nach der Bedeutung von Religion. Als Beispiel nannte er die Kontroverse über das Kreuz auf dem wiedererrichteten Stadtschloss, dem neuen Humboldt-Forum. "Die Debatte pro und contra zeigt, dass auch die säkulare Gesellschaft sich mit den Traditionen auseinandersetzen muss, aus denen sie gewachsen ist", sagte Essen. "Hier ist die Expertise gerade der konfessionsgebundenen Theologien unverzichtbar." (tmg/KNA)