Das wichtigste Gebot ist die Liebe
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Impuls von Schwester Anne Kurz
Eine Szene tritt mir vor Augen: Der zwölfjährige Jesus im Tempel, unter den Schriftgelehrten sitzend. Er ist mit ihnen ins Gespräch vertieft über die Schrift und das Gesetz. Ich sehe sie förmlich vor mir, wie sie fasziniert sind von der Schrift, wie sie Fragen stellen zu den Geboten, verstehen wollen und selbst sprechen. Zusammengehörigkeit und Nähe geschehen – eine Gemeinschaft des Lernens.
Das heutige Evangelium zeigt Jesus ebenfalls im Gespräch mit den Schriftgelehrten. Die Vorzeichen aber stehen anders. Es gibt ein Vorhaben: Sie wollen Jesus versuchen. Verfangen soll er sich in seinen Antworten, damit sie selbst dann als die wahren Lehrer dastehen. Fangfragen stellen sie ihm das ganze Kapitel hindurch. Vergangenen Sonntag ging es um die Auferstehung, heute um die Frage nach dem wichtigsten Gebot.
Das wichtigste Gebot ist die Liebe zu Gott, zum Nächsten und zu sich selbst. Die Antwort Jesu ist auch in den Augen der Schriftgelehrten richtig.
Eine Frage bleibt allerdings: Was machen wir jetzt mit diesem Wissen? Das Gebot auswendig lernen? Es in Schönschrift aufschreiben? Es für "richtig" halten? Die Antwort auf diese Frage kann nur unser Leben sein. Oft weniger eindeutig als uns lieb ist. Mit Zweifeln verwoben und mit Risiken behaftet. Liebe beginnt, wo wir zur Einmaligkeit des eigenen Herzens Zutrauen fassen und es einsetzen. Sie ist Wagnis. Aber so ist die Zukunft offen, in der wir zu uns selbst kommen. Ganz.
Im Laufe des Lebens lernen wir nur langsam, was Liebe bedeutet. Manchmal schämen wir uns für unsere Form zu lieben. Es betrübt uns, dass wir verletzen und verletzt sind, dass Eifersucht oder Machtgelüste in uns lodern. Aber wie sollten wir sonst in Kontakt mit dieser Wirklichkeit in uns kommen? Wir würden sonst in der Haltung des Pharisäers verharren, der zwar die richtige Antwort weiß, aber blind bleibt für die Bosheit seiner Fangfragen.
Lehrer und Lehrerinnen auf dem Weg der Gebote ermutigen und eröffnen Freiheit. Vor langen Jahren beichtete ich bei einem alten Jesuiten. Ich sagte ihm, dass ich eigenwillig bin und nicht gut den Gehorsam leben kann. Seine Antwort war: "Junge Frau, seien sie dankbar für ihren starken Willen – den werden sie noch brauchen in ihrem Leben. Den Gehorsam aber kann keiner von uns leben. Alle lernen wir ihn. Alle beten wir das Psalmwort: 'Lehre mich, Herr, deinen Willen zu tun'."
Ernst Barlach schuf die Skulptur eines Lehrenden, die zeigt: Das Zentrum eines/einer Lehrenden ist nicht der Kopf, sondern die Offenheit des Wesens. Jesus hat die richtigen Antworten nicht "gehabt", sondern sie gelebt, gelernt und gelehrt.
Evangelium nach Matthäus (Mt 22,34-40)
In jener Zeit, als die Pharisäer hörten, dass Jesus die Sadduzäer zum Schweigen gebracht hatte, kamen sie am selben Ort zusammen.
Einer von ihnen, ein Gesetzeslehrer, wollte ihn versuchen und fragte ihn: Meister,36welchesGebot im Gesetz ist das wichtigste?
Er antwortete ihm: Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit deinem ganzen Denken.
Das ist das wichtigste und erste Gebot.
Ebenso wichtig ist das zweite: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.
An diesen beiden Geboten hängt das ganze Gesetz und die Propheten.