Missbrauch: Vatikan bestraft polnischen Kardinal Gulbinowicz
Der Vatikan hat Disziplinarstrafen gegen den des sexuellen Kindesmissbrauchs beschuldigten polnischen Kardinal Henryk Gulbinowicz (97) verhängt. Der frühere Erzbischof von Breslau (Wroclaw) darf keine Gottesdienste mehr zelebrieren oder an öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen, erklärte die Vatikanbotschaft am Freitag in Warschau. Zudem wurde ihm die Nutzung von Bischofsinsignien verboten und ausgeschlossen, dass es nach seinem Tod in der Kathedrale eine Trauerfeier für ihn gibt und er dort beigesetzt wird.
Der Kardinal muss der von der Polnischen Bischofskonferenz für Betroffene von sexueller Gewalt gegründeten "Sankt-Josef-Stiftung" eine "angemessene" Spende zahlen, so die Apostolische Nuntiatur. Die Stiftung bietet seit diesem Jahr Unterstützung durch Psychologen, Pädagogen, Juristen und Priester an und engagiert sich in der Prävention. Die Vatikanbotschaft nennt in ihrer Mitteilung kein konkretes Vergehen des Kardinals. Sie teilte nur mit, die Disziplinarentscheidung sei das Ergebnis einer Untersuchung der gegen Gulbinowicz erhobenen Vorwürfe und der Analyse weiterer Vorhaltungen gegen ihn aus der Vergangenheit.
Der Sprecher des Erzbistums Breslau nannte die Entscheidung des Vatikan "für uns als Breslauer Kirche insofern schmerzhaft, weil sie zeigt, dass in der Vergangenheit sicherlich Personen von dem Geistlichen verletzt wurden, der unsere Diözese leitete". Diese Menschen verdienten das Wort "Entschuldigung". "Wir drücken unseren Respekt für sie aus und erklären unsere Bereitschaft, sie zu unterstützen und ihnen zu helfen", fügte der Sprecher hinzu. Polnische Kommentatoren sprachen von einem "Erdbeben". Kein Bischof könne "mehr ruhig schlafen", wenn er ein Kind sexuell missbraucht habe, so die Online-Ausgabe der "Rzeczpospolita".
Missbrauch in der Kurie
Der Breslauer Dichter Karol Chum hatte den Kardinal im Mai 2019 öffentlich beschuldigt, ihn im Januar 1990 als Priesterseminarist kurz nach seinem 16. Geburtstag in Breslau sexuell missbraucht zu haben. Darauf leitete das Erzbistum Breslau eine Untersuchung ein. Gulbinowicz wies die Anschuldigung zurück. Sein Anwalt warnte im Mai 2019 vor der "Verbreitung von Unwahrheiten" über Gulbinowicz und drohte mit juristischen Schritten.
Chum, der mit bürgerlichen Namen Przemyslaw Kowalczyk heißt, wurde von September 1989 bis Januar 1990 im Vorseminar im schlesischen Legnica (Liegnitz) unterrichtet. Von dessen Rektor war Chum nach eigenen Worten zu Gulbinowicz geschickt worden, um dessen Korrespondenz abzuholen. Als er in der Kurie in einem Zimmer übernachten sollte, habe ihn der Kardinal besucht und ihn mit der Hand missbraucht.
Gulbinowicz, heute zweitältester Kardinal der katholischen Kirche, war von 1976 bis 2004 Erzbischof von Breslau. 1985 machte ihn Papst Johannes Paul II. (1978-2005) zum Kardinal. Er wurde am 17. Oktober 1923 im damals polnischen und heute litauischen Szukiszki geboren. 1950 wurde er zum Priester geweiht. Während des von 1981 bis 1983 von den kommunistischen Machthabern über Polen verhängten Kriegsrechts zählte er zu den Verteidigern der Freiheits- und Gewerkschaftsbewegung "Solidarnosc". Er bot in seiner Bischofsresidenz Dissidenten Unterschlupf und versteckte 90 Millionen polnische Zloty vor dem Staatsapparat. Das Geld hatte "Solidarnosc" vor der drohenden Beschlagnahmung durch den Geheimdienst von ihrem Bankkonto abgehoben.
Erst vor wenigen Tagen war bekannt geworden, dass der Vatikan den Warschauer Kardinal Kazimierz Nycz mit einer Untersuchung zu Vertuschungsvorwürfen gegen den früheren Danziger Erzbischof Slawoj Leszek Glodz (75) beuftragt hat. Dieser soll Maßnahmen gegen sexuellen Kindesmissbrauch vernachlässigt haben. Im Oktober 2019 hatten sich 16 Priester des Erzbistums Danzig (Gdansk) in einem gemeinsamen Schreiben an den päpstlichen Botschafter in Warschau unter anderem darüber beschwert, dass der damalige Ortsbischof Anzeigen wegen sexueller Belästigungen gegen Priester vertuscht habe. (tmg/KNA)
07.11.2020, 14.30 Uhr: ergänzt um Reaktion des Bistums