Himmelklar – Der katholische Podcast

Thillainathan: Interesse am Papstanruf war mir "nicht so recht"

Veröffentlicht am 18.11.2020 um 00:30 Uhr – Lesedauer: 

Köln ‐ Dass Pfarrer Regamy Thillainathan von einem Papst-Anruf überrascht wurde, bewegte ganz Deutschland. Er erzählt, wie er das erlebt hat – und warum er denkt, dass wir auch ohne dunkel gefärbten König in der Krippe noch weit von einer gerechten Welt ohne Rassismus entfernt sind.

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Der Papst ruft an. Diese Geschichte von Pfarrer Regamy Thillainathan hat letzte Woche ganz Deutschland bewegt. Der Priester hat aber noch mehr zu erzählen: Vom Toilettenputzen in Indien über die Arbeit auf einem Rettungsboot im Mittelmeer setzt er sich für die Armen ein. Außerdem fragt er sich: Ist der Rassismus wirklich beseitigt, wenn wir den dunkel gefärbten König aus der Krippe nehmen?

Frage: Wo erreiche ich Sie gerade?

Pfarrer Regamy Thillainathan: Sie erreichen mich gerade in Rom. Ich bin auf dem Weg nach Albanien, bin hier aber nochmal zwischengelandet, weil ich aus Rom noch einige Sachen mitnehmen muss, um in Albanien den Missionarinnen der Nächstenliebe, also den Ordensschwestern von Mutter Teresa, Unterstützung mitzubringen und ihnen auch die Exerzitien zu geben.

Frage: Das ist ein ganz wichtiges Thema für Sie, arme Menschen zu unterstützen, Menschen, die es nicht so leicht haben. Wo kommt diese Motivation her?

Thillainathan: Meine Berufungsgeschichte als Priester ist eng mit den Ärmsten der Armen verbunden. Ich fühle mich der Spiritualität von Mutter Teresa und auch der Spiritualität der Schwestern sehr verbunden. Ich persönlich gehöre ja auch als Diözesanpriester vom Erzbistum Köln einer Priesterbewegung an, der Corpus Christi-Bewegung, die von Mutter Teresa gegründet worden ist. Und wir versuchen in der Gemeinschaft das umzusetzen, was Mutter Teresa vorgelebt hat, ins eigene Leben hinein. Für uns bedeutet das eine selbstlose Hingabe für diesen Dienst an den Ärmsten der Armen. Und dem versuche ich, so gut es geht, in meiner Realität im Erzbistum Köln auch gerecht zu werden.

Frage: Das heißt in der Praxis: Was machen Sie da?

Thillainathan: In der Praxis bedeutet das, dass wir einerseits versuchen, selbst ein einfaches Leben zu führen, wo wir verfügbar sind für die Menschen, die mit uns das Leben gestalten. Es sind so kleine Schritte, die aber für mich entscheidend sind. Zum Beispiel lebe ich nicht allein, sondern in einer Wohngemeinschaft. Ich habe sozusagen das Pfarrhaus dahingehend geöffnet, dass auch andere Menschen mit mir im Pfarrhaus leben können. Und ich begnüge mich mit einem Zimmer und einem Bad. Das reicht für mich. Ich sage nicht, dass alle so leben müssen. Aber für mich ist es stimmig, so zu leben. Und ich versuche schon, diese Einfachheit konsequent umzusetzen.

Andererseits ist unsere Gemeinschaft auch überall da aktiv, wo die Schwesterm unterwegs sind, tätig sind, um unterstützend einzugreifen. Das bedeutet, dass ich in Absprache mit unserem Erzbischof Kardinal Woelki regelmäßig Auslandseinsätze wahrnehme, um zum Beispiel  Exerzitien zu geben, an Projekten mitzuarbeiten und mit dem Geld, was ich verdiene, die Schwestern auch finanziell zu unterstützen.

Frage: In Indien haben Sie auch mal eine Zeit verbracht, ein halbes Jahr im Studium. Ich stelle mir das unglaublich schwierig vor, weil man ja dauernd mit einem Leid konfrontiert ist und von Menschen umgeben ist, die es so schwierig haben. Wird man da nicht depressiv?

Thillainathan: Um ehrlich zu sein, ich habe während meiner Zeit in Indien nach wenigen Wochen entschieden, das abzubrechen und zurückzufahren. Ich hatte das schon alles in die Wege geleitet. Damals gab es noch keine so gute Ausstattung mit Smartphones. Ich habe dann telefonisch versucht, mich mit Menschen zu beraten. Und mein geistlicher Berater hat mir empfohlen, die vier Wochen bis zum Rückflug ganz bewusst zu leben. Und als mir klar war, dass ich in vier Wochen wieder zurück kann, änderte sich plötzlich meine ganze Einstellung zu den ganzen Herausforderungen. Am Ende habe ich den Flug abgesagt und bin dann länger geblieben.

Ich glaube, es war wirklich ein Schock, auch ein Kulturschock, weil ich in Neuss aufgewachsen bin und zum ersten Mal sowohl mit dieser indischen Kultur, der Realität, aber auch vor allem mit dieser unglaublichen Armut und dem ganzen Leid konfrontiert worden bin. Und meine erste Reaktion war – vielleicht eine allzu menschliche Reaktion – weglaufen, flüchten, wegsehen. Man kann es nennen, wie man will, aber am Ende läuft es aufs Gleiche hinaus.

Frage: Jetzt mache ich mal einen ganz großen logischen Sprung: Kann man da irgendwie eine Parallele zu der Krise finden, in der wir jetzt stecken?

Thillainathan: Das ist überhaupt kein Sprung. Das ist genau das. Ich glaube, wir versuchen in vielen Dingen, in unserer Gesellschaft eben wegzulaufen, wegzusehen, wegzulöschen. Es beginnt mit eben solchen Krisen wie der Corona-Pandemie. Aber auch in verschiedenen anderen großen Diskussionen, die wir heute in der Gesellschaft führen, erlebe ich immer wieder, dass wir in dem, was wir sozusagen "Cancel Culture" nennen, ziemlich gut sind. Wenn man irgendetwas wegradiert, weglöscht, wenn man wegsieht, weghört, dann existiert es nicht mehr. Das ist unsere große Hoffnung. Aber die Welt wird so nicht funktionieren. Und das ist, glaube ich, die große leidvolle Erfahrung, die wir als Menschen machen müssen, wenn wir feststellen: Naja, so einfach wie wir es uns vorstellen, funktioniert die Welt nicht.

„Wenn wir den dunkel gefärbten König aus der Krippe nehmen, sind wir dann nicht mehr rassistisch? Auf dem Weg zu einer gerechten Welt? Ganz ehrlich: Davon sind wir noch ganz weit entfernt, wenn wir nur diese Schritte unternehmen würden.“

—  Zitat: Pfarrer Regamy Thillainathan

Frage: Das ist ein sehr interessanter Punkt: mit Standpunkten, Meinungen und Menschen uns auseinandersetzen, wo wir eigentlich im ersten Moment sagen würden: Damit will ich nichts mehr zu tun haben.

Thillainathan: Absolut. Die ganze Rassismus-Debatte ist auch davon geprägt. Wenn wir Straßennamen umbenennen, wenn wir nicht mehr "Negerküsse" sagen, wenn wir "Mohrengassen" nicht mehr benutzen, wenn wir den dunkel gefärbten König aus der Krippe nehmen. Sind wir dann nicht mehr rassistisch, auf dem Weg zu einer gerechten Welt? Ganz ehrlich: Davon sind wir noch ganz weit entfernt, wenn wir nur diese Schritte unternehmen würden.

Frage: Sie sind in Neuss geboren und aufgewachsen, aber Ihre Eltern kommen aus Sri Lanka. Wie nehmen Sie denn Rassismus in Deutschland wahr?

Thillainathan: Mir war gar nicht bewusst, dass ich anders bin, bis ich damit konfrontiert worden bin. Es begann eigentlich recht früh, wenn Leute mich gefragt haben: Wo kommst du denn her? Und dann sagt man: Neuss. Und dann schauen dich die Leute an, als hättest du ihnen von deiner Vision von Aliens berichtet. Da merkte ich dann schon irgendwann ganz schnell, na gut, diese Antwort passt nicht in diese Vorstellung von diesen Leuten, wie die Welt nun mal ist. Das mache ich diesen Menschen nicht zum Vorwurf. Aber das ist auch die Herausforderung, die wir in Deutschland haben, dass uns bewusst werden muss, dass wir längst eine Gesellschaft sind, in der Menschen in der dritten und vierten Generation leben und sich beheimatet fühlen, die anders aussehen, die andere Sprachen sprechen, die vielleicht auch eine andere Kulturzugehörigkeit vorweisen, aber sich immer als Deutsche bezeichnen würden. Während diese Realität existiert, ist es aber in den Köpfen noch so, dass wir unsere Schubladen schön geordnet lassen wollen und da kommt es dann immer wieder zu teilweise heftigen Begegnungen.

Frage: Auch hier sagen Sie, das Unangenehme nicht wegschieben, nicht so tun, als wäre alles gut, sondern sich mit solchen Dissonanzen auseinandersetzen.

Thillainathan: Wir müssen uns mit diesen Themen auseinandersetzen. Aber was ich immer wieder beobachte ist, dass wir uns von solchen Themen immer wieder so schnell bewegen lassen, uns vor diesen Themen hertreiben lassen, dass wir sehr bemüht sind, schnelle Lösungen zu finden. Diese Themen, diese Auseinandersetzung können wir nicht schnell lösen. Das ist unmöglich. Es hat nämlich etwas mit Haltungsveränderung zu tun und das schafft man nicht über Nacht. Da muss man dranbleiben, sich immer wieder auseinandersetzen und darf der Reibung nicht ausweichen. Das ist, was mich bei all diesen Debatten am meisten stört: Plötzlich taucht ein Thema auf, plötzlich meinen viele Menschen, die guten Willens sind, wir müssen jetzt ganz schnell handeln, und dann wird eine schnelle Lösung präsentiert. Und dann machen wir genau da weiter, wo wir schon aufgehört haben, nur an einer kleinen Stellschraube haben wir etwas gedreht. Das ist keine Auseinandersetzung.

Frage: Genau das gleiche kann man ja über die Flüchtlingskrise sagen. Sie haben vor drei Jahren eine Zeit lang auf dem Mittelmeer auf dem Flüchtlingsboot verbracht und mitgeholfen. Wie war das?

Thillainathan: Ich war nicht nur als Priester dort, sondern hauptsächlich auch als Sanitäter, und habe in allen anderen Bereichen mitgearbeitet, wo es etwas zu tun gab und wo ich nicht im Weg gestanden bin. Ich habe da unglaublich beeindruckende Dinge erlebt und unglaublich erschütternde Dinge. Beeindruckend war die Leidenschaft der Freiwilligen, die auf dem Schiff arbeiteten. Erschütternd war, wieviel Leid diese Freiwilligen miterlebt haben, vor allem aber das Leid der Flüchtlinge selbst. Dieser Menschen, die mit viel Hoffnung aufgebrochen sind, die monatelang unterwegs waren, die unterwegs liebgewordene Menschen verloren haben, selber Leid am eigenen Leib erfahren haben – von Folter bis Vergewaltigung war alles mit dabei. Und natürlich war es erschütternd, wenn man Menschen nur noch tot bergen kann. Vor allem, wenn es dann um Kinder geht. Das waren und sind immer noch Erlebnisse, die mich begleiten.

Pfarrer Regamy Thillainathan
Bild: ©Erzbistum Köln

Eine Zeit lang half Regamy Thillainathan auf einem Flüchtlingsboot im Mittelmeer.

Frage: Das ist drei Jahre her. Wie hat sich denn langfristig Ihr Blick auf das Thema und auch auf die Diskussion, die dahinter steckt, verändert?

Thillainathan: Solche Erfahrungen verändernd grundsätzlich. Dagegen kann man sich gar nicht wehren. Das, was mir auffällt und was mich persönlich immer wieder herausfordert, ist wieder die Realität der "Cancel Culture". Dadurch, dass wir die Türkei und Griechenland als Pufferzonen eingerichtet haben, meinen wir, dieses Thema wäre jetzt beendet. Und das finde ich fatal. Wie wir feststellen können, sind in der letzten Woche wieder über 70 Menschen ertrunken. Es ist eine Realität vor unserer Haustür und wir versuchen, diese Dinge auszublenden, weil wir meinen, damit wäre ein Problem gelöst. Und früher oder später wird uns das einholen, sowohl gesellschaftlich, aber auch moralisch. Aber wir müssen uns daran messen lassen, wie wir mit diesen Menschen umgegangen sind.

Frage: Wenn ich etwas aus dem Gespräch mitnehme, ist es dieser Grundsatz, vor Problemen, Dissonanzen und Unangenehmem nicht die Augen zu verschließen, sondern tatsächlich damit umzugehen. Wir müssen aber tatsächlich nochmal über die wunderbare Geschichte sprechen, über die letzte Woche ganz Deutschland gesprochen hat. Sie haben mit dem Papst telefoniert. Wie waren da die Reaktionen?

Thillainathan: Ich habe es bewusst erst mal im kleinen Kreis gehalten. Ich habe schon dem Erzbischof Kardinal Woelki direkt Bescheid gegeben. Ist ja auch, glaube ich, verständlich, auch weil der Papst ihm Grüße bestellen ließ. Dann habe ich meinen engen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von diesem Gespräch erzählt und meiner Familie. Deshalb hat es auch einige Tage gedauert, bis es in den Medien auftauchte.

Dann hat sich das rumgesprochen. Da war dann zwischen Unglauben, Verwunderung bis hin zu Faszination alles dabei. Dass es jetzt so etwas auslösen würde, habe ich nicht erwartet und ist mir auch ehrlich gesagt nicht so recht. Aber mit Dingen, die man nicht kontrollieren kann, muss man auch leben können.

Frage: Aber positiv gesehen: In einer Woche, die für uns als Kirche und für uns als Gesellschaft mit Meldungen von Missbrauch und Corona nicht einfach gewesen ist, war das eine Meldung, die vielen Menschen Freude bereitet hat.

Thillainathan: Es kann wirklich sein, dass diese Nachricht wirklich eine kurze Atempause gegönnt hat. Sowohl uns in dieser Gesellschaft mit all den Herausforderungen als auch in der Kirche. Aber sowohl dieses Telefonat als auch der Hintergrund des Telefonats beziehen sich darauf, dass wir vor Herausforderungen stehen, die wir anpacken müssen. Und das ist auch, was der Heilige Vater letztendlich gesagt hat: wir müssen mutig sein und im Gottvertrauen die Schritte gehen, die nun anstehen. Und das ist letztendlich das, was für mich zählt. Atempausen sind wichtig, keine Frage. Aber diese herausfordernden Zeiten haben immer eine große Gefahr, nämlich das wir – und da komme ich wieder zurück zum Anfang – wegsehen, weghören, wegschieben und meinen, damit wären die Probleme gelöst.

Frage: Was bringt Ihnen Hoffnung im Moment?

Thillainathan: Hoffnung ist für mich nicht die Sicherheit, dass alles so irgendwie funktionieren und geschehen wird, wie ich es mir wünschen würde. Aber dass in alldem für mich ganz klar ist, dass Gott mitgeht und dass Gott all dem auch einen Sinn gibt. Auch wenn ich das persönlich momentan nicht erkennen und entdecken kann und vielleicht auch Zeit meines Lebens nicht entdecken kann. Aber das ist meine Grundüberzeugung, dass Gott diese Welt nicht alleine gelassen hat und nicht allein lassen wird und dass die Worte Jesu wahr sind: "Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt." Das ist für mich die Motivation, immer wieder die Dinge anzupacken und auch leidvolle Erfahrungen anzunehmen, weil ich weiß, dass tue ich nicht allein. Da ist jemand, der mitgeht, der vor und nach mir dieser Welt einen Sinn gegeben hat und ich darf da, wo ich jetzt bin, meinen Beitrag leisten, damit dieses Reich Gottes auf Erden, wofür ich eigentlich brenne, auch Realität werden kann.

Von Renardo Schlegelmilch