Offermann: "Das hat mich als Katholiken sehr mitgenommen"

Dieser Puppendoktor will die geköpfte Madonna aus Straubing retten

Veröffentlicht am 20.11.2020 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Straubing/Neuss ‐ Eine geköpfte Marienstatue im Bistum Regensburg hat Ende Oktober für große Aufregung gesorgt. Wer die Statue beschädigt hat, ist bisher noch unbekannt. Dafür ist jetzt klar, wer sie reparieren wird. Im katholisch.de-Interview spricht der Puppendoktor Marcel Offermann darüber, wie der Kontakt zustande kam.

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"Die Hauptprotagonisten der Bibelgeschichten haben wir alle schon gehabt", sagt Puppendoktor Marcel Offermann. Seine neueste Patientin – eine enthauptete Marienstatue aus Straubing im Bistum Regensburg – ist allerdings auch für ihn ein Novum. Im katholisch.de-Interview erklärt er, worauf man bei der Restauration sakraler Figuren achten muss und wie er zu seinem seltenen Beruf kam.

Frage: Herr Offermann, Sie arbeiten als Puppenrestaurator in Neuss. Wie kommt es, dass Sie die enthauptete Marienstatue aus dem Bistum Regensburg reparieren?

Offermann: Die erste Meldung über den Fall habe ich in der Online-Ausgabe der "Bild" und auf der Facebook-Seite von katholisch.de gelesen. Das hat mich als Katholiken sehr mitgenommen. Ich habe darum Monsignore Johannes Hofmann kontaktiert, den Pfarrer der Gemeinde Sankt Jakob in Straubing, zu der die Marienstatue eigentlich gehört. Wir haben lange telefoniert und sind jetzt im engen Austausch. Er war sehr erleichtert, dass ich mich bereiterklärt habe, die Figur zu reparieren. Seit über 20 Jahren restaurieren und reparieren wir in der Puppenklinik auch Krippen oder sakrale Figuren aus dem Erzbistum Köln und auch darüber hinaus. Für mich ist das eine Gewissensaufgabe, wenn man so will. Vor Weihnachten werde ich die Muttergottes in Straubing abholen und dann zu uns bringen. Ich denke, dass wir die Figur Anfang des kommenden Jahres fertiggestellt haben.

Frage: Sie holen die Figur also selbst in Straubing ab?

Offermann: Ja. Ich denke, dass wir in den kommenden Wochen nach Bayern fahren, um die Marienfigur zu holen. Der Kopf ist mittlerweile von der Kriminalpolizei freigegeben. Zur Spurensicherung war er bis Ende vergangener Woche noch dort. Es ist wichtig, dass der Transport in einem angemessenen Rahmen erfolgt. Man kann die Figur nicht einfach auf einen Anhänger werfen, sondern man muss aufpassen, dass nicht noch mehr kaputtgeht. 

Frage: Worauf muss man noch achten, wenn man eine sakrale Figur repariert?

Offermann: Nahezu alle sakralen Statuen haben das gleiche Leiden: Feuchtigkeitseinfluss. Kirchen sind selten gut geheizt, sondern es ist eher ein bisschen klamm. Diese Feuchtigkeit zieht dann ins Material ein. Das offenbart sich immer dann, wenn irgendwo Teile abbrechen, oder – wie in diesem Fall – bewusst abgeschlagen werden. Das ist aber ein Problem, mit dem man arbeiten kann. Der Werkstoff, aus dem die Muttergottes gefertigt wurde, ist ein sehr gängiges Material. Für den Laien sieht die Beschädigung verheerend aus und man denkt nicht, dass sich das noch einmal ausbessern lässt. Es ist nicht damit getan den Kopf einfach draufzusetzen und ein bisschen Uhu dranzukleben. Das Ziel ist es, dass man im Nachhinein nichts mehr von der Beschädigung sieht und die Madonna im alten Glanz erstrahlt.

Geköpfte Marienstatue in Straubing
Bild: ©Bistum Regensburg/Ulli Scharrer

"An einen schiefgelaufenen Dummejungenstreich mag ich nicht recht glauben", sagt Marcel Offermann. Die Marienstatue aus der Jesuitenkirche in Straubing (Bistum Regensburg) wurde im Oktober von Unbekannten enthauptet.

Frage: Wie werden Sie konkret bei der Restaurierung vorgehen?

Offermann: Zunächst müssen wir die Figur trockenlegen. Dafür kommt die Muttergottes für etwa eine Woche in eine Wärmekammer, um die Feuchtigkeit aus dem Material zu entfernen. Danach entfernen wir die gröbsten Absplitterungen und schleifen die einzelnen Teile. Dann werden wir den Kopf wieder gerade aufsetzen und mit Metallstiften fixieren. Offene Stellen gleichen wir mit einer Gipsmasse aus. Die verfüllten Stellen werden dann abgeschliffen und die Struktur beispielsweise vom Gewand der Maria wird nachgearbeitet. Manchmal braucht es 30 bis 40 Durchgänge, bis man die Struktur korrekt wiederhergestellt hat. Anschließend tragen wir noch eine Grundierung und nach dem Trocknen zwei bis drei Farbschichten auf, die wir selbst anmischen. Den Abschluss bildet eine abriebfeste Lasur.

Frage: Sie arbeiten in erster Linie als Puppendoktor. Wie sind Sie dazu gekommen, auch sakrale Statuen und Krippenfiguren zu reparieren?

Offermann: An das Restaurieren von Krippen sind wir erst im Laufe der Jahre gekommen, weil wir immer mehr Anfragen von Pfarrgemeinden und Privatleuten mit großen Krippen bekommen haben. Sakrale Figuren und Krippenfiguren sind aus zwei Standardmaterialien: Holz oder gebrannter Ton. Dazwischen findet sich selten etwas. Holz ist ein sehr dankbares Material, das den einen oder anderen Fehler verzeiht, bei Ton sieht das anders aus. Bei antiquarischen Porzellanpuppen ist die Herangehensweise an das Material noch eine Spur anspruchsvoller.

Frage: Im Internet und in den sozialen Netzwerken gab es eine große Aufregung um die zerstörte Statue. Wie haben Sie das wahrgenommen?

Offermann: An einen schiefgelaufenen Dummejungenstreich mag ich nicht recht glauben. Dann hätte man dem abgeschlagenen Kopf keinen Mundschutz aufgesetzt. Ich glaube, dass sich irgendeine verwirrte Seele hier in etwas hineingeflüchtet hat. Offensichtlich wurden politische Motive mit kirchlichen vermengt. Ich bin Notfallmediziner und Leiter eines Rettungsdienstbereichs. Wir haben täglich Menschen im Rettungswagen, die wegen Covid-19 buchstäblich aus dem letzten Loch pfeifen. Ich habe deswegen eine sehr deutliche Meinung zu Menschen, die denken, Masken seien überflüssig und das sei alles nur eine große Verschwörung. Man kann vielleicht anderer Meinung sein, das muss man aber nicht an der Muttergottes auslassen.

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Frage: Bekommen Sie häufiger Aufträge, solche zerstörten Heiligenfiguren zu restaurieren?

Offermann: Eine Figur, die aus blinder Zerstörungswurt verknüpft mit einem politischen Motiv zerstört wurde, ist für uns tatsächlich ein Novum. Wir haben aber viele arg beschädigte Exponate in den letzten Jahren bekommen. Das hatte aber meistens mit Nachlässigkeit zutun und nicht mit bewusster Zerstörungswut.  

Fragen: Welche sakralen Figuren restaurieren Sie am häufigsten?

Offermann: Den heiligen Christophorus haben wir schon mehrfach restauriert. Auch Josephs- und Marienstatuen haben wir schon häufiger instandgesetzt. Man kann sagen: Die Hauptprotagonisten der Bibelgeschichten haben wir alle schon gehabt.

Frage: Puppenrestaurator ist ein eher seltener Beruf. Wie sind sie dazu gekommen?

Offermann: Ich habe seit jeher ein Faible für Krippenfiguren. In meinem Elternhaus stand eine Krippe aus Südtirol. Meine Eltern haben sich jede Figur vom Mund abgespart und sie sukzessive erweitert. So wächst man dort hinein. Krippen oder Heiligenfiguren zu restaurieren ist eine sehr erfüllende Arbeit, wenn man selbst gläubig ist. Später habe ich Medizin studiert und während des Studiums mit der Restauration von Puppen und Figuren mein Geld verdient. Ich bin dabei geblieben, weil ich gemerkt habe, dass das eine Marktlücke ist. Jetzt bin ich beides: Mediziner und Puppendoktor.

Frage: Wie passt das zusammen?

Offermann: Oft sagen Menschen: "Witzig, Sie sind nicht nur Puppendoktor, sondern heilen auch wirklich Menschen." Beides sind natürlich völlig gegensätzliche Berufe, bei denen konzentriertes Arbeiten gefordert ist, das selten Fehler verzeiht. Ich mag Drucksituationen. Das wird durch den Rettungsdienst und die Notfallmedizin bedient. Ich habe aber auch eine eher kreative Seite. In den vergangenen Jahren habe ich auch selbst Puppen hergestellt, zum Beispiel eine von Papst Benedikt XVI. oder Satirepuppen von Donald Trump oder Erdogan. Bei solchen Dingen muss ich mich dann mehrere Tage zurückziehen und brauche Ruhe. Danach komme ich mit einer fertigen Idee wieder aus meinem Refugium heraus. Insofern sind das Gegensätze, die ich sehr gut unter einen Hut bekomme.

Von Christoph Brüwer