"Sexualmoral sorgt für Distanz"
Frage: Pater Entrich, wie bewerten Sie den vatikanischen Fragebogen?
Pater Entrich: Das ist ein ganz wichtiger Schritt. Nicht, dass ich jetzt sofort Umstürzendes erwarten würde. Das, was erfragt wird und bewertet werden soll, ist nicht sensationell. Für mich liegt der Hauptwert darin, dass das überhaupt geschieht. Damit wird die Verantwortung des Vatikan deutlich und wir erfahren, dass die Zentrale in Rom mit der Kirche vor Ort ins Gespräch kommen will.
Frage: Sollten die Fragen ausschließlich von den Bischöfen und ihren Hauptamtlichen beantwortet werden oder von Familien und Eheleuten selbst?
Entrich: Eine Initiative, die alle befragt, ist kaum möglich, aber die Bischöfe nehmen den Fragebogen sehr ernst und reichen ihn an Räte, Verbände und andere Zuständige in der Familienpastoral weiter. Denn das kann kein Bischof allein beantworten; das Thema muss in die Fläche gegeben werden an diejenigen, die näher dran sind und Kompetenzen in der Familienseelsorge haben.
„Sehr viele wissen gar nicht, was die Kirche zur Sexualität sagt; nur das Kondom-Verbot zu kennen, ist zu wenig.“
Frage: Wie reagieren die Menschen Ihnen als Seelsorger gegenüber auf den Fragebogen und welche Themen beschäftigen diejenigen, die Familienberatungsstellen aufsuchen, noch?
Entrich: Ich erlebe ein Erstaunen auf das Angebot "wir fragen euch". Die meisten wissen, dass sich nicht schnell Veränderungen ergeben können. Aber wenn jemand nach einer gescheiterten ersten Ehe 15 Jahre in einer gelungenen zweiten Ehe lebt und ihm bislang nur vermittelt wurde "du bist irregulär", dann erfährt er nun Wertschätzung und weiß, dass das Problem gesehen und um eine Lösung gerungen wird.
Bei der Ehe- oder Familienberatung fragen die kirchlich engagierten wiederverheirateten Geschiedenen: "Gibt es einen Weg, dass wir uns in der Kirche – auch in den Sakramenten – wieder ganz zu Hause fühlen können?" Viele andere sagen leider auch: " Ihr wollt uns nicht , also lassen wir es". Da entsteht ein Abstand, der manchmal auch zum Kirchenaustritt führt. In solchen Situationen ist es ganz schwer, ausschließlich in einer dogmatischen Richtigkeit zu antworten. Bei denen, die die Kirche suchen, ist der Wunsch sehr stark, dass es eine Anerkennung des geglückten zweiten Anlaufs gibt.
Frage: Bekommen Sie persönlich Anfragen von Seiten wiederverheiratet Geschiedener in Bezug auf den Empfang der Eucharistie?
Entrich: Nein, dass mich jemand fragt, ob er zur Kommunion gehen könne, habe ich nur wenige Male erlebt; das passiert eher in akademischen Diskussionen. Wenn, dann entscheiden die Menschen, dass sie kommen und ich weiß nicht, wer vor mir steht. Meine Erfahrung ist es nicht, dass ich als Priester täglich vor der Entscheidung stehe, ob ich die Kommunion reiche oder nicht. Und ich weiß ja auch nicht, wie die Menschen leben. Wenn jemand vor den Altar tritt, dann muss ich davon ausgehen, dass er sein Gewissen erforscht hat und dass muss und will ich so hinnehmen.
Frage: Ist die katholische Lehre zur Ehe, Familie und Verhütung zu weit von der Lebensrealität entfernt?
Entrich: Beide Seiten haben sich sehr weit voneinander entfernt. Ich glaube, sehr viele wissen gar nicht, was die Kirche zur Sexualität sagt; nur das Kondom-Verbot zu kennen, ist zu wenig. Zwischen den Überzeugungen der Kirche und den Realitäten, in denen die Menschen leben, muss eine Brücke gebaut werden. Es muss wieder klar werden, was die Kirche denkt und warum das so ist. Warum ist Manches, das als hart empfunden wird, vom Wesen her angebracht? Hier kann es keine kurzen Antworten geben und der durch den Fragebogen begonnene Dialog könnte auf Dauer eine große Hilfe sein.
Frage: Was akzeptieren die Menschen am wenigsten?
Entrich: Bei der Sexualmoral insgesamt gibt es eine große Distanz zwischen den Überzeugungen der Menschen und dem, was die Kirche lehrt. Und das wird nicht einmal als Problem empfunden. Dabei kann man etwa vom Wort der "Kultur der Liebe" von Papst Johannes Paul II. viel lernen und auf die Bedingungen schauen, unter denen heutzutage Partnerschaft gelingen kann. Es ist ja nicht leicht in einer Gesellschaft zu bestehen, wenn man ein paar Kinder hat, die nicht nur in der Familie sondern auch von der Umwelt erzogen werden. Was – wie die Ehe – auf Dauer gestellt ist, braucht auch Dauerbegleitung. Das ist das Thema der Kirche und da sind alle Gemeinde- und Pastoralreferenten, Priester und Diakone aufgerufen, mit den Familien unterwegs zu sein.
Frage: Was kann die Kirche tun, um Paare und Familien besser zu erreichen?
Entrich: Türen öffnen, Raum geben, Gespräche eröffnen und Wertschätzung ausdrücken. Das fängt schon beim Sonntagsgottesdienst an: Mit Kindern ist es schwierig, wenn es nur eine Messe um 9 Uhr morgens gibt. Und um 11 Uhr werden die, die keine Kinder haben, verwirrt sein, wenn der Gottesdienst sehr kindgemäß ausgerichtet ist. Da ist es eine gute Möglichkeit, wenn die Kinder begrüßt werden und dann zu ihrem eigenen Wortgottesdienst gehen. Da wird dann echter Verkündigungsdienst geleistet – und in der Messe kann es eine Erwachsenenpredigt geben.
Was die Ehe- und Lebensberatung angeht, habe ich leider den Eindruck, dass viele Leute zu spät zur Beratung gehen, wenn die Dinge schon sehr schwierig geworden sind. Wenn sich Störungen aufzeigen, sollte man frühzeitig kommen, denn ich kenne sehr gelungene Beratungsprozesse. Man kann selbstbewusst sagen: Die Kirche will und kann beraten.
Frage: Welches sind die drängendsten Fragen, die die Bischöfe auf ihrer Synode nächsten Herbst in Rom angehen sollten?
Entrich: Es ist ein hoher Druck verbunden mit großen Erwartungen da, dass der Umgang mit wiederverheiratet Geschiedenen auf der Synode besprochen wird. Wie ist Kirche hier präsent und welche Lösungen kann sie anbieten? Das zweite zentrale Thema sollte eine neue Schwerpunktbildung im Bereich Ehe- und Familienpastoral sein, um Ehe und Familie besonders auch als christlichen Lebensentwurf zu unterstützen.
Das Interview führte Agathe Lukassek