Auch Kirchenverantwortliche seien nicht unschuldig an Attraktivitätsverlust des Glaubens

Bischof Kohlgraf spekuliert über "letzte Christen" in Deutschland

Veröffentlicht am 26.12.2020 um 10:49 Uhr – Lesedauer: 

Mainz ‐ Christliche Kirchen im Nahen Osten haben sich trotz langer Tradition fast gänzlich aufgelöst. Der Mainzer Bischof Peter Kohlgraf sieht darin Parallelen zu den Christen in Deutschland. Auch "Verantwortliche in der Kirche" seien nicht unschuldig daran.

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Der Mainzer Bischof Peter Kohlgraf hat die Christen in Deutschland dazu aufgerufen, sich stärker auf die Wurzeln ihres Glaubens zu besinnen. Sonst bestehe die Möglichkeit, dass sie zu den "letzten Christen" hierzulande würden, sagte Kohlgraf am zweiten Weihnachtsfeiertag in der Mainzer Kirche Sankt Quintin laut Manuskript. Dass die Hälfte der Deutschen die Präsenzgottesdienste an Weihnachten ablehnten, habe "bei nicht wenigen wohl nicht in erster Linie mit der Pandemie zu tun, sondern mit einer grundsätzlichen Ablehnung der Kirche", so Kohlgraf.

"Wir sollten aus unseren großen christlichen Quellen freimütig schöpfen, und uns dankbar unserer Wurzeln erinnern", riet der Bischof. Er sei davon überzeugt, "dass Gott uns auch hierzulande die Kraft schenkt, eine lebendige Gemeinschaft des Glaubens zu sein, und nicht das letzte Aufgebot".

Kohlgraf bezog sich auf das Buch "Die letzten Christen" von Andreas Knapp über die Situation der christlichen Gemeinden im Nahen Osten. Seit dem Erscheinungsjahr 2016 des Buches habe sich dort die "furchtbare Situation" der Christen nicht gebessert, im Gegenteil. "Christliche orientalische Kirchen mit einer großen Tradition haben sich fast zur Gänze aufgelöst, die Mitglieder der Gemeinden haben sich in alle Welt zerstreut." Bürgerkriege und der islamistische Terror hätten ihnen das Leben in ihrer Heimat unmöglich gemacht.

Viele der Geflüchteten lebten nun auch in Deutschland und brächten "eine reiche Tradition und einen oft starken Glauben mit". Sie kämen "in eine Welt, in der es auch die 'letzten Christen' geben wird, in der die 'letzten Christen' aus einem anderen Grund zu einer immer kleineren Gruppe werden", so Kohlgraf. Denn "der Zusammenhang zwischen unserer Kultur und der christlichen Tradition ist weitgehend zerbrochen", so der Mainzer Bischof.

Kohlgraf: Auch Verantwortliche in der Kirche nicht unschuldig

Der Prozess der Säkularisierung sei nicht aufzuhalten. "Wir können nicht mehr nur auf Dogmen setzen, die geglaubt werden müssen", betonte Kohlgraf. Das sei aber grundsätzlich nicht nur negativ zu bewerten: "Denn es tut der Kirche und ihrer Verkündigung gut, den Kern unserer Botschaft überzeugend und aktuell verkündigen zu müssen und uns nicht auf bloße Formeln zurückzuziehen, die es zu glauben gilt."

Auch die "Verantwortlichen in der Kirche" seien nicht unschuldig daran, dass Christsein an Attraktivität verloren habe und weiter verliere, so Kohlgraf. "Die persönliche Glaubwürdigkeit bleibt die wichtigste Voraussetzung für die Verkündigung der Frohen Botschaft."

"'Letzte Christen' werden wir – auch das darf man ohne Vorwurf sagen – wegen einer schwächer werdenden Bindung an Kirche und Glaube", so der Bischof. "Wir verlieren unsere Wurzeln." Dagegen sei für die Christen aus dem Nahen Osten der Glaube oft der letzte Halt und ihr tragfähiges Fundament. "Wir sollten uns ihr Lebens- und Glaubensbeispiel gut anschauen."

Am zweiten Weihnachtstag begehen Katholiken hierzulande den "Gebetstags für verfolgte und bedrängte Christen". Bereits im Vorfeld hatte die Deutsche Bischofskonferenz zu Solidarität mit den verfolgten Christen weltweit aufgerufen und besonders auf die Lage der Christen in Syrien und dem Irak hingewiesen. Am 26. Dezember wird in der katholischen Kirche das Fest des heiligen Stephanus, des ersten christlichen Märtyrers, gefeiert. (cbr/KNA/epd)