Ihr Dienst bestehe im Verrichten von "Bergungsarbeit"

Bischof Meier: Welt kann nicht auf Kirche verzichten

Veröffentlicht am 09.01.2021 um 17:15 Uhr – Lesedauer: 

Dresden ‐ Welche Rolle spielt die Kirche in der Welt von morgen? Der Augsburger Bischof Bertram Meier ist überzeugt, dass die Gesellschaft weiterhin ihre Wirkweisen brauchen werde. Dabei werde sich das Verständnis von Kirche ändern – hin zum ursprünglichen.

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Nach Ansicht des Augsburger Bischofs Bertram Meier wird die Welt auch künftig die Dienste der Kirche benötigen. "Wunden verbinden, Trauernde trösten, den Entrechteten eine Stimme geben und dem unerbittlichen Rad, das Menschen unter sich begräbt, in die Speichen fallen, das sind die Wirkweisen von Kirche, auf die die Welt nicht verzichten kann", sagte Meier laut Redemanuskript am Samstag bei einer Online-Veranstaltung der Katholischen Akademie des Bistums Dresden-Meißen. Ihre Aufgabe bestehe darin, überall dort "Bergungsarbeit" zu verrichten, "wo Menschen körperlich und seelisch in Not geraten sind, wo sie das tröstende Wort, die helfende Tat brauchen", so der Augsburger Bischof, der einen Vortrag zum Thema "Katholizismus morgen. Wie viel Kirche braucht die Welt?" hielt. Anlass waren die Feierlichkeiten zum 100-jährigen Jubiläum des Bistums Dresden-Meißen.

"All das, was Caritas oder Diakonie umfasst, ist unser Beitrag zu einer menschenwürdigen Welt", so Meier weiter. Eine menschenwürdige Welt sei eine solche, "die Leben und Verschiedenheit als Geschenk versteht und endlich mehrheitlich der Monokultur Schranken setzt". Auch Christen hätten in der Vergangenheit ihren Anteil daran gehabt, dass viele Menschen, besonders Frauen, in den meisten Ländern noch immer um ihre "von Gott geschenkte" Würde kämpfen müssten. "Die katholische Kirche war und ist trotz aller Anstrengungen der letzten Jahrzehnte noch viel zu sehr eine Kirche des weißen Mannes", betonte der Augsburger Oberhirte.

Die Welt brauche so viel Kirche, wie sie zum Schutz und zur Entfaltung des Lebens benötige, erläuterte Meier. Gleichzeitig brauche sie so viel, dass jeder Mensch, der in Not sei, in ihr spürbar Hoffnung und Trost erfahre, "weil er in seiner Unverwechselbarkeit, in seiner Würde anerkannt wird und auf Mitmenschen trifft, die sein Leid, seine Not, aber auch seine Freude zu ihrer machen".

Kirche müsse "Gottesermöglicherin" werden

Papst Franziskus habe davon gesprochen, dass sich die katholische Kirche aktuell in einer "Zeitenwende" befinde, sagte Meier. Die Skandale der vergangenen Jahre bieten nach den Worten des Augsburger Bischofs "eine Chance der Reue, der Neubesinnung, der Rückkehr zum Wesentlichen unseres Glaubens, kurz: zum Evangelium, in sich". Die Kirche werde ihre Glaubwürdigkeit erst zurückgewinnen, wenn sie zur "Gottesermöglicherin" und, statt den Blick auf ihn zu verstellen, "zum Medium für sein Licht" werde. Alles, was sie dazu brauche, habe die Kirche schon: "die biblische Offenbarung, das Wort der Schrift, den Reichtum der Tradition und die sakramentalen Gnaden", aber auch das Vorbild von Menschen, die "Lehr- und Lebensmeisterinnen von Glaube, Hoffnung und Liebe" seien. Laut Meier wird die Kirche von Morgen auch danach bemessen werden, wie sehr sie den Glauben an die Auferstehung lebe und die eschatologische Dimension wachhalte.

Das ursprüngliche Verständnis von Kirche als Gemeinschaft der Herausgerufenen werde auch das der nahen Zukunft sein, prognostizierte Meier, "so revolutionär es für uns, die wir mehrheitlich noch in volkskirchlichen Strukturen aufgewachsen und beheimatet sind, klingen mag". Ganz im Sinne des Theologen Karl Rahner (1904-1984) werde der Christ der Zukunft ein Mensch sein, der Gott nicht nur als existent, sondern als Person erfahren habe und aus dieser Erfahrung heraus sein Leben gestalte. Die Gemeinschaft dieser Herausgerufenen wird laut Meier weder eine gesellschaftliche Mehrheit noch eine Führungselite sein. "Senfkorn und Sauerteig sind die entsprechenden biblischen Stichworte für diese Form christlicher Existenz: ein Minderheiten-, ja, wenn Sie so wollen, ein Diaspora-Dasein."

Die Kirche sei je neu im Werden und dem Wandel in Kontinuität ausdrücklich verpflichtet – "kurz: eine ecclesia semper reformanda", unterstrich Meier. Dies müsse auch so sein, wenn die Kirche ihrem vom Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965) bestätigten Auftrag, 'allumfassendes Heilssakrament" zu sein, gerecht werden wolle. "Schon allein deshalb, um nicht der – auch in unserer Zeit in manchen Kreisen virulenten – Versuchung zu erliegen, Menschen den Zugang zu Gott zu versperren." Er befürchte, so Meier, die Kirche vermittele manchmal eher den Eindruck einer "uralten Festung, deren Zugbrücke nur für Eingeweihte herabgelassen wird oder für die Menschen, die sich einem Reglement unterwerfen", das als unveränderlich tradiert werde. "Baustelle Kirche mit der Einladung zum Mitbauen, wo wird dies für den heutigen Menschen sichtbar?", fragte der Augsburger Bischof. Seiner Ansicht nacht spielt die Subsidiarität in der hierarchisch verfassten Kirche noch nicht die Rolle, die ihr zukommen sollte. "Allzu häufig wird Hierarchie mit bloßer Struktur gleichgesetzt, und das 'heilig' im ersten Teil des Wortes macht sie für viele ihrer vehementen Verteidiger zu einem Tabubereich." Struktur sei jedoch nicht nur gewachsen, sondern habe auch eine nachgeordnete Funktion. "Sie muss, will sie gerechtfertigt erscheinen, lebensfördernd sein", so Meier. (mal)