Deutsche Bischofskonferenz widerspricht der Position

Ranghohe Protestanten wollen Suizidbeihilfe ermöglichen

Veröffentlicht am 10.01.2021 um 15:19 Uhr – Lesedauer: 

Frankfurt/Bonn ‐ Neben medizinischer Versorgung könne es eine Aufgabe kirchlicher Einrichtungen sein, "Rahmenbedingungen für eine Wahrung der Selbstbestimmung bereitzustellen", schreiben die protestantischen Theologen. Die Deutsche Bischofskonferenz sieht das anders.

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Führende protestantische Theologen plädieren dafür, in Deutschland einen assistierten professionellen Suizid zu ermöglichen. In einem Gastbeitrag der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" (Montag) betonen der Vorsitzende der Kammer für öffentliche Verantwortung der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Reiner Anselm, und der Präsident des evangelischen Wohlfahrtsverband Diakonie, Ulrich Lilie, kirchliche Einrichtungen sollten sich dem Suizid nicht verweigern.

Angesichts der Tatsache, dass das Bundesverfassungsgericht die Selbstbestimmung am Lebensende nachdrücklich betont habe, könne es eine Aufgabe kirchlich-diakonischer Einrichtungen sein, neben medizinischer und pflegerischer Versorgung auch "Rahmenbedingungen für eine Wahrung der Selbstbestimmung bereitzustellen", so die Autoren. Dies könne bedeuten, "abgesicherte Möglichkeiten eines assistierten Suizids in den eigenen Häusern anzubieten oder zumindest zuzulassen und zu begleiten".

Selbstbestimmung müsse auch im Sterben gelten

Das Bundesverfassungsgericht hatte im Februar 2020 den Strafgesetzbuch-Paragrafen 217 für nichtig erklärt und damit das 2015 vom Bundestag beschlossene Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung aufgehoben. Die Richter betonten, es gebe ein umfassendes Recht auf selbstbestimmtes Sterben. Darin sei die Freiheit eingeschlossen, die Hilfe Dritter in Anspruch zu nehmen.

Lilie und Anselm betonen, dass "alle berechtigten Einwände" nicht daran vorbeikämen, dass die Selbstbestimmung auch im Sterben gelten müsse. "Die Einsicht, dass die besondere Würde der Person als Fundament der liberalen Kultur keinen Widerspruch zu den eigenen Traditionen darstellt, gehört zu den entscheidenden Lernerfahrungen der christlichen Ethik der Gegenwart – im Protestantismus ebenso wie im Katholizismus", so die Autoren. Hinsichtlich der Achtung des Individuums und seiner Selbstbestimmung gebe "es keine Differenz zwischen dem Urteilstenor des Verfassungsgerichts und der Position der evangelischen Ethik".

Für die konkrete Fragestellung des assistierten Suizids gelte es, sicherzustellen, dass es sich um eine freie und verantwortliche Entscheidung handle.

Bild: ©KNA (Symbolbild)

"Respekt vor der Selbstbestimmung bedeutet in diesen Situationen gerade nicht, den Wunsch oder die Entscheidung zum Suizid unhinterfragt hinzunehmen oder den Suizid als normale Form des Sterbens auszuweisen", sagt DBK-Sprecher Matthias Kopp.

Die katholische Deutsche Bischofskonferenz widersprach der Position der Autoren. "Respekt vor der Selbstbestimmung bedeutet in diesen Situationen gerade nicht, den Wunsch oder die Entscheidung zum Suizid unhinterfragt hinzunehmen oder den Suizid als normale Form des Sterbens auszuweisen", sagte Konferenz-Sprecher Matthias Kopp der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) in Bonn. "Wir sind daher der Überzeugung, dass die Ermöglichung des assistierten Suizids nicht die richtige Antwort auf die Lebenssituationen von Menschen ist, die Suizidwünsche entwickeln oder Suizidabsichten haben." Die Unterstützung bei der Entwicklung von Lebensperspektiven sei in diesen Situationen geboten.

Ein subtiler Druck, dem assistierten Suizid zuzustimmen, um am Ende des Lebens anderen nicht zur Last zu fallen, sei eine große Gefahr. "Wir glauben, dass dieser Druck sich von Kranken und Sterbenden nicht mehr fernhalten ließe, wenn der assistierte Suizid zu einem Normalmodell des Sterbens würde, das bis in kirchliche Einrichtungen hinein Anwendung fände. Das darf nicht geschehen!", betonte Kopp.

Gemeindepfarrer könnten "Druck aus dem nahen Umfeld" entgegenwirken

Die Autoren des Gastbeitrages argumentieren hingegen, kirchliche Einrichtungen könnten sichere Orte sein, weil sie Sterbewilligen unter kontrollierten Rahmenbedingungen in einem aus dem christlichen Glauben entspringenden Respekt vor der Selbstbestimmung Beratung und Begleitung anbieten könnten. Dabei könnten Gemeindepfarrer gegebenenfalls einem von Suizidwilligen empfundenen "Druck aus dem nahen Umfeld" entgegenwirken, schreiben Lilie und Anselm. Zudem könnten sie Sterbehilfeorganisationen die Grundlage entziehen, heißt es in der Stellungnahme, die von Hannovers Landesbischof Ralf Meister, dem Mitglied des Rates der EKD, Jakob Joussen, sowie den Theologen Isolde Karle und Friedemann Nauck mitgezeichnet wurde.

DBK-Sprecher Kopp entgegnete jedoch, dass kirchliche Einrichtungen mit der christlichen Hoffnungsbotschaft der Förderung des Lebens verpflichtet seien. "Das Ermöglichen von Angeboten des assistierten Suizids in diesen Einrichtungen wäre mit deren Wesenskern nicht vereinbar."

Auch die EKD distanzierte sich von der Position der protestantischen Theologen. "Jede organisierte Hilfe zum Suizid, die dazu beiträgt, dass die Selbsttötung zur Option neben anderen wird, lehnt die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) ausdrücklich ab", teilte ein EKD-Sprecher auf KNA-Anfrage am Sonntagabend mit. Die EKD setze sich für den Schutz des Lebens ein und stehe dabei auch an der Seite derer, die aufgrund von Erkrankung oder einer anderen Notsituation keinen anderen Ausweg als die Selbsttötung sähen. "Dass Menschen nur noch die Möglichkeit des Suizids sehen, ist immer eine tragische Grenzsituation, die die EKD und ihre Diakonie durch die Bereitstellung palliativer Versorgung, Seelsorge, Beratung und die Arbeit der Hospize zu verhindern versuchen", so der Sprecher. (tmg/KNA)

11.1., 9:25 Uhr: Ergänzt um EKD-Sprecher.