Austrittswelle in Köln – Brandbriefe von Pfarrern an Kardinal Woelki
Das Amtsgericht Köln verzeichnet eine Welle von Kirchenaustritten in noch nie da gewesenem Ausmaß. Wie der "Kölner Stadt-Anzeiger" (Donnerstag) unter Berufung auf Angaben der Behörde berichtet, liegt die Zahl derzeit bei mehr als 1.000 im Monat. Im Normalfall biete die Behörde monatlich rund 640 Termine für den Austritt an, sagte Sprecher Maurits Steinebach der Zeitung. Zusätzlich zu diesen bis Ende März ausgebuchten regulären Terminen gebe es seit dem 22. Januar pro Woche 100 weitere Termine. Diese seien binnen weniger Tage ebenfalls ausgebucht gewesen. Aufs Jahr hochgerechnet entspräche dies einer Zunahme von 70 Prozent. 2020 hatten nach Angaben des Landesjustizministeriums 6.960 Christinnen und Christen beider Konfessionen im Bereich des Amtsgerichtsbezirks Köln, des größten in NRW, die Kirche verlassen.
Mehr als 50 Priester schreiben Brandbriefe an Kardinal Woelki
Unterdessen wandten sich zwei Gruppen von katholischen Priestern mit Brandbriefen an die Leitung des Erzbistums Köln. In einem von 34 Pfarrern unterzeichneten Schreiben kritisieren diese "die misslingende Missbrauchsaufarbeitung" des Erzbistums. Die Entwicklungen der vergangenen Monate hätten ihre Fähigkeit zur gewiss notwendigen dienstlichen Loyalität gegenüber den Spitzen der Erzdiözese sehr stark strapaziert, heißt es in dem der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) vorliegenden Papier. Wie aus Kirchenkreisen verlautete, beklagen rund 20 Geistliche in einem weiteren Schreiben einen Glaubwürdigkeitsverlust. Auch sie sprechen von einem Loyalitätskonflikt und suchen daher das Gespäch mit der Bistumsleitung.
"Wir fühlen uns der Kirche zutiefst verbunden, können uns aber nicht mit dem aktuellen Management der gegenwärtigen Vertrauenskrise in unserem Erzbistum identifizieren", heißt es in dem Schreiben der 34 Pfarrer, das an Kardinal Rainer Maria Woelki, Generalvikar Markus Hofmann und die Kölner Weihbischöfe gerichtet ist. Dies führe zu einer immer stärkeren inneren Distanzierung vom Erzbistum: "Deutlich wird hier eine sich ausbreitende Atmosphäre des Misstrauens, der Verdächtigung und des resignativen Rückzugs."
Immer mehr Gläubige distanzierten sich von der Kirche, so die Verfasser, unter ihnen der Sekretär des Kölner Priesterrats, Jochen Thull. Auch erschwere die aktuelle Lage Kindern und Jugendlichen einen Zugang zur Kirche, weil den Seelsorgerinnen und Seelsorgern in kirchlichen und anderen Einrichtungen kein Vertrauen mehr geschenkt werde. "Wir sind nicht bereit, bei dieser Entwicklung still resignierend zuzuschauen", betonen die Geistlichen. Die katholische Kirche dürfe sich nicht "zur Sekte entwickeln".
Die Kommunikationsstrategie um das nicht veröffentlichte Missbrauchsgutachten der Münchner Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl (WSW) habe zu breitem Unverständnis geführt - nicht nur unter den der Kirche Fernstehenden, sondern auch bei vielen, die der Kirche noch die Treue hielten: "Ein Ausweg aus dieser Not kann nur in einem wahrhaftigen und transparenten Umgang mit eigenen Fehlern sowie der Erkenntnis strukturellen Versagens in Vergangenheit und Gegenwart bestehen."
Woelki hatte Ende Oktober die geplante Veröffentlichung des WSW-Gutachtens über den Umgang von Bistumsverantwortlichen mit Missbrauchsfällen abgesagt und dies mit "methodischen Mängeln" begründet. Dieses Vorgehen stößt inner- und außerhalb der Kirche auf heftige Kritik. Der Kölner Strafrechtler Björn Gercke soll bis 18. März eine neue Untersuchung vorlegen. Über das neue Schreiben der Pfarrer hatten zuerst die "Bild"-Zeitung und der "Kölner Stadt-Anzeiger" berichtet. (tmg/KNA)
28.1., 16:20 Uhr: Ergänzt um weitere Informationen und zweiten Brief.