Empörung über Woelki habe "gewissen Sündenbock-Charakter"

Ex-Bundesrichter Fischer: Debatte um Vertuschung in Köln ist hysterisch

Veröffentlicht am 12.02.2021 um 10:30 Uhr – Lesedauer: 

Köln ‐ Für den ehemaligen Bundesrichter Thomas Fischer sind die Schuldzuweisungen an Kardinal Woelki wegen der stockenden Missbrauchsaufarbeitung eine Generalabrechnung mit der Kirche. Er macht in der Gesellschaft hierbei eine "Hysterisierung" aus.

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Der frühere Bundesrichter Thomas Fischer hat die öffentliche Diskussion über die Missbrauchsaufarbeitung in der katholischen Kirche und speziell im Erzbistum Köln kritisiert. Im Interview des kirchlichen Kölner Internetportals domradio.de sprach er am Donnerstagabend von einer "Hysterisierung". Natürlich bestehe kein Zweifel daran, dass die Taten von staatlicher Seite verfolgt werden müssten und bei Verjährung zumindest moralisch aufzuarbeiten seien, "allerdings scheint mir zurzeit in der Öffentlichkeit teilweise eine Generalabrechnung mit der katholischen Kirche stattzufinden".

Die Empörung habe für ihn "einen gewissen Sündenbock-Charakter", erklärte der Jurist, der sich selbst als kirchlich "Außenstehender" bezeichnete: "Man sucht sich einen raus, der sich nicht besonders geschickt und sehr defensiv verteidigt." Er wundere sich schon über den Grad der Empörung, vor allem "wenn man das mit dem organisierten Sport, mit Schulen, oder mit psychotherapeutischen Praxen und vielen anderen Strukturen, in denen ja auch massenhaft Missbrauch vorgekommen ist, vergleicht".

Die "Zeit-Taktung der Empörungen, der Skandalisierung", so Fischer weiter, sei inzwischen "dermaßen eng geworden, dass die Öffentlichkeit und die Medien, die diese Öffentlichkeit bedienen, mit ihren Nachrichten kaum noch Zeit haben, länger als zwei Wochen zu warten, bis mal endlich irgendwas abgeschlossen ist".

Kritik von Anwaltskanzlei an Kardinal sei "sehr übertrieben"

Nach den Worten des Ex-Bundesrichters sollte die Gesellschaft zunächst froh darüber sein, wenn der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki versichere, dass er nach besten Kräften eine Aufklärung anstrebe: "Warum soll man dem nicht mal zunächst glauben und auch seinen Handlungen vertrauen?". Da seien doch nicht "lauter Verschwörer am Werke in Rechtsanwaltskanzleien und Universitätslehrstühlen, die sich mit dem Kardinal oder dem Generalvikar verschworen haben, Verbrechen in Köln zu vertuschen".

Woelki steht unter öffentlichem Druck, weil er eine bei der Münchner Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl (WSW) in Auftrag gegebene Untersuchung über den Umgang aktueller und früherer Bistumsleitungen mit Fällen sexualisierter Gewalt nicht zur Veröffentlichung freigibt. Dabei beruft er sich auf andere Juristen, nach deren Einschätzung das Papier "methodische Mängel" hat. Der von ihm neu beauftragte Strafrechtler Björn Gercke soll am 18. März ein Gutachten über das Verhalten der Bistumsverantwortlichen vorlegen.

Für "sehr übertrieben" hält Fischer die Kritik von WSW an Woelki. Wenn die Kanzlei wörtlich von einem "Gewaltangriff" spreche, weil der Kardinal ihr Gutachten unter Verschluss hält, sei dies eher ein "emotionaler Ausdruck von Missstimmung als eine objektive Beschreibung". Das solle einer bekannten Anwaltskanzlei eigentlich nicht passieren, so der ehemalige Bundesrichter.

Bild: ©KNA/Harald Oppitz

Kölns Kardinal Rainer Maria Woelki steht wegen der Nichtveröffentlichung eines vom Erzbistum in Auftrag gegebenen Gutachtens zu sexuellem Missbrauch in der Kritik. Außerdem wird ihm Vertuschung vorgeworfen.

Gleichzeitig kündigte der Kölner Anwalt Björn Gercke an, das neue Gutachten über die Aufarbeitung von Missbrauch im Erzbistum Köln soll "Namen von Verantwortlichen und auch systemische Ursachen benennen" - und das "ohne Kompromisse im Rahmen des rechtlich Möglichen". Dieses Versprechen erneuerte Gercke in einem Interview für die "Kölnische Rundschau" und den Bonner "General-Anzeiger" am Freitag. Gercke will bis zum 18. März ein neues Gutachten vorlegen, das Kardinal Rainer Maria Woelki bei ihm in Auftrag gegeben hat.

Gercke erklärte, man habe die Auswertung und Analyse des sehr umfangreichen Aktenmaterials abgeschlossen, ebenso die Befragung aller potenziell Verantwortlichen sowie weiterer Auskunftspersonen: "Wir stehen jetzt mitten in der Phase der rechtlichen Bewertung, wir sind also auf der Zielgeraden." Sein Gutachten greife alle Fälle aus der WSW-Untersuchung auf und gehe mit vielen zusätzlichen Fällen sogar weit darüber hinaus. Inhaltlich wolle er sich über die Arbeit von WSW und die Kritik daran aber nicht mehr äußern.

Sein Gutachten solle auf alle Fälle ein "gerichtsfestes Werk" werden, ergänzte der Anwalt: "Wir sehen etwaigen rechtlichen Angriffen durch Personen, die von uns benannt werden und denen unsere Bewertung nicht gefällt, jedenfalls gelassen entgegen."

Gercke: Werden bei Aufarbeitung weitergehen als andere Bistümer

Zur Kritik an einer möglichen "Verengung auf juristische Fragestellungen" sagte Gercke, Juristen könnten und sollten nur juristische Fragestellungen beantworten. Er werde aber auch von den beiden Kirchenrechtlern Helmut Pree und Stefan Korta unterstützt: "Ich denke, die juristische Bewertung kann nur ein Teil der Aufarbeitung bei dem Missbrauchsskandal sein. Es gibt auch andere Ansätze - etwa eine historische oder sozialwissenschaftliche - mit gleicher Berechtigung."

Bei all diesen Ansätzen gebe es kein "besser" oder "schlechter". Sie lieferten unterschiedliche Antworten auf unterschiedliche Fragen: "Ich bin überzeugt, dass unser Gutachten nicht dazu führt und auch nicht dazu führen darf, dass ein Schlussstrich unter den Umgang mit dem Missbrauch im Erzbistum Köln gezogen wird."

Bei den äußerungsrechtlichen Fragen, so Gercke, stehe man im ständigen Austausch mit den Rechtsanwälten, die vom Erzbistum diesbezüglich beauftragt worden seien: "Ich bin überzeugt, dass wir ein Gutachten präsentieren, dass insoweit unangreifbar ist. Das heißt natürlich nicht, dass Verantwortliche sich nicht dagegen wehren werden. Aber ich habe Vertrauen in die Kollegen aus dem Äußerungsrecht, dass wir uns da auf sicherem Terrain bewegen."

Mit Blick auf Gutachten für Aachen, wo nur die Namen von Bischöfen und Generalvikaren genannt seien, und für Berlin, wo ein Großteil mit Namensnennung nicht veröffentlicht sei, erklärte der Jurist: "Wir werden weitergehen. Lassen Sie sich überraschen." (rom/KNA)