Betroffene von Missbrauch in der Kirche fordern Hilfe von Politik
Betroffene von sexuellem Missbrauch in der katholischen Kirche fordern in einem offenen Brief mehr Unterstützung von der Politik. Die Thematik der Aufarbeitung, Hilfe und Entschädigung der Opfer sexuellen Kindesmissbrauchs gehöre ins Parlament. "Wir brauchen Hilfe, trotz der Erfolge der letzten Jahre", schreiben die beiden zurückgetretenen Mitglieder des Betroffenenbeirats im Erzbistum Köln, Patrick Bauer und Karl Haucke, sowie der Sprecher der Initiative Eckiger Tisch, Matthias Katsch, in einem Beitrag der "Zeit"-Beilage "Christ & Welt" (Donnerstag).
Sie fordern die Einsetzung einer Wahrheits- und Gerechtigkeitskommission durch das Parlament, die "den Aufarbeitungsprozess für das jahrzehntelange systematische institutionelle Versagen in den Kirchen" begleiten solle. "Die Kirche kann es nicht allein", so die Autoren. Auch die Stärkung, Vernetzung und juristische Beratung von Betroffenen müsse finanziell unterstützt werden. Zugleich brauche es eine unabhängige Anlaufstelle. Die Autoren schlagen zudem die Gründung eines "Opfergenesungswerks" vor, das von den Kirchen finanziert werden solle, aber unabhängig operiere.
Trotz verbesserter Anerkennungsleistungen der katholischen Kirche fordern die Betroffenen, dass die Opfer der Missbrauchsverbrechen und der Vertuschung durch kirchliche Leitungs- und Personalverantwortliche angemessen entschädigt werden müssten. "Das Parlament sollte klären, wie angemessene Entschädigungen aussehen sollten", heißt es. Auch für die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) müsse eine klare institutionelle Verantwortungsübernahme durchgesetzt werden, "statt intransparent festgelegter 'individueller Leistungen'".
Kirche verstehe nicht, "dass sie als Institution schuldig geworden ist"
"Bis heute hat Kirche nach unserer Beobachtung nicht akzeptiert und verstanden, dass sie als Institution schuldig geworden ist und für die Folgen haften muss", so die Autoren: "Eine Großinstitution mit moralischem Anspruch und eigenem Rechtscharakter in unserer Gesellschaft hat systematisch Kindesmissbrauch durch ihr Personal vertuscht und gehofft, irgendwie damit durchzukommen, weil sie in großen Teilen das Wohl der Institution über das Wohl von Kindern und Jugendlichen gestellt hat." Katsch, Bauer und Haucke kritisierten zudem ein "wenig opferfreundliche Rechtssystem in Deutschland".
Die drei Betroffenen-Vertreter zeigen sich enttäuscht über die bisherige Rolle der Politik: "Es entsteht der Eindruck, man wünscht in einer neutralen Rolle zu bleiben, weil Kirche und Staat in vielen Feldern Partner sind", so Katsch, Bauer und Haucke. Ihnen zufolge gibt es Betroffene, die sich fragen: "Schont die Politik etwa die Kirchen, weil man genau um die gemeinsamen Leichen im Keller weiß, etwa beim dunklen Kapitel der Heimerziehung?"
Zum Ende des offenen Briefes, den die Autoren anlässlich der Frühjahrsvollversammlung der deutschen Bischöfe (23. bis 25. Februar) veröffentlichten, kündigten die Betroffenen den Start einer Online-Petition auf der Plattform WeAct am Freitag an. Die Betroffenen-Vertreter appellierten zugleich an den Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki, Verantwortung "für die Instrumentalisierung der Betroffenen und seinen Umgang mit Fällen sexuellen Missbrauchs in der Vergangenheit" zu übernehmen. Das selbe gelte auch für den jetzigen Hamburger Erzbischof und vormaligen Generalvikar von Köln, Stefan Heße. (KNA)