Kolumne: Römische Notizen

Was Corona mit dem Papst macht

Veröffentlicht am 22.02.2021 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Rom ‐ Seit bald einem Jahr herrschen auch im Vatikan strenge Seuchenschutzmaßnahmen. Online-Audienzen, Reiseverzicht, mehr Zeit zum Zuhausesitzen und Grübeln: Was macht die andauernde Corona-Pandemie mit dem Papst und seinem Amt? Darüber schreibt unsere Kolumnistin Gudrun Sailer.

  • Teilen:

HTML-Elemente (z.B. Videos) sind ausgeblendet. Zum Einblenden der Elemente aktivieren Sie hier die entsprechenden Cookies.

Viren respektieren keine Staatsgrenzen, und Religion ist ihnen schnuppe. Was Viren interessiert, ist ein guter Wirt, besser noch: viele gute Wirte. Vor diesem Hintergrund ist der Vatikanstaat im März vergangenen Jahres nach nur kurzem Zögern auf die Linie Italiens eingeschwenkt, alles, was geht, herunterzufahren. Der Lockdown im Frühjahr war extrem, in Rom wie auch im Vatikan. Geschlossene Museen – sei's drum, aber ein geschlossener Petersdom war für viele Gläubige schwer zu verkraften. Nur nebenbei, Corona-Demos hatte der Vatikan trotzdem keine zu registrieren. Zwar wurden sämtliche Entscheidungen zur Eindämmung der Pandemie über die Köpfe von Einwohnern, Angestellten und Gläubigen hinweg getroffen, doch die haben alles ergeben hingenommen. Nun neigt der gemeine Vatikanbürger ohnehin wenig zur Randale, man sah aber auch keine Grüppchen verstörter externer Katholiken vor dem Petersplatz mit Transparenten aufkreuzen, auf denen weiß Gott was angemahnt worden wäre. Und seit der zweiten Corona-Welle im Herbst sind bei uns, im Gegensatz zu Ländern nördlich des Brenners, die Pandemie-Maßnahmen verträglicher als bei der ersten Welle. Dennoch schlagen sie aufs Gemüt.

Der Vatikan ist lokal geworden. Petersdom und Museen stehen offen, aber sie gehören den Römern. Die Fresken in der Sixtinische Kapelle bewundert man nachmittags fast alleine, am Confessio-Altar in der Basilika beten drei Leute statt dreizehn Reisegruppen (und die Sakramentskapelle ist zu). Auf der Weite des Petersplatzes verlieren sich die Passanten, keine Stühle, freie Sicht, die Brunnen hört man plätschern und die Polizeiautos surren. In den Büros des Heiligen Stuhles tut man sein Möglichstes, die Arbeit fortzusetzen. Homeoffice war vor einem Jahr ein Novum für alle, wird aber breit genehmigt und praktiziert, auch weil es den Chef günstiger kommt. Der Vatikan ist auf ein Corona-Loch in seiner Bilanz gefasst, das alle Minuszahlen in normalen Staaten blass aussehen lassen wird. Die Rede ist von minus 25 Prozent, bestenfalls, und diese Schätzung stammt noch vom Anfang der Krise.

"Generalaudienz" steif, höfisch und ein wenig abgehoben

Und Papst Franziskus? Er weiß, dass er schön zu Hause bleiben muss, denn ein Papst, der sich zeigt, sorgt im Nu für einen Auflauf. Deshalb finden das Angelusgebet am Sonntag und die Generalaudienz am Mittwoch nun wieder in rein virtueller Form statt. Ob das dem Anliegen bekommt? Oder wird hier bloß dank Technik die Tradition gewahrt und der Termin respektiert, nach Art eines Platzhalters? Mittwochs um halb zehn sitzt der Papst in der Bibliothek seines Palastes, links und rechts vor sich zwei Reihen Priester aus dem Staatssekretariat, und spricht seine Katechese mitsamt Grüßen in Vatikan-Kameras statt vor Gläubigen aus Fleisch und Blut. Demokratisiert der Livestream die Generalaudienz, weil er die Trennung zwischen physisch anwesenden und bloß zugeschalteten Gästen aufhebt? Oder unterläuft er die Idee der Generalaudienz, weil diese Veranstaltung mit dem Papst nicht für alle, sondern für niemanden zugänglich ist außer einem Dutzend Mitarbeitern in schwarzen Talaren? Agenturen wie KNA meiden inzwischen den Ausdruck "Generalaudienz" und berichten stattdessen über die "wöchentliche Videoansprache", Frau Merkel hat übrigens ein ganz ähnliches Format. Niemand im Vatikan hofft, dass der Mittwochs-Termin noch lange in dieser Gestalt weiterlaufen muss. Es sieht steif aus, höfisch und ein wenig abgehoben. Wie aus der Welt. Aseptisch.

Papst Franziskus spendet auf einem menschenleeren Petersplatz den Segen Urbi et Orbi.
Bild: ©picture alliance/Pressebildagentur ULMER

Vom Reichtum kirchlicher Traditionen schöpfend, hat der Papst aus der Not der ersten Pandemie-Welle heraus Neues geschaffen, Hoffnung und Orientierung gegeben, schreibt Gudrun Sailer. Glaubende und Nichtglaubende hätten nach Rom geschaut – nicht dauernd, aber öfter mal.

Die Isolationshaft im Vatikan setzt dem Papst zu. Franziskus war immer ein geselliger Charakter. Die Begegnung mit jedesmal Hunderten Menschen vor und nach der Generalaudienz mag ungeheuer anstrengend sein, aber als sie zwischendurch letzten Sommer wieder in fast gewohnter Form stattfand, konnte man den Papst aufblühen sehen, wie er mit den Leuten sprach und scherzte und sie segnete und anhörte, verbotenerweise sogar Geschenke annahm (ich erinnere mich an eine Torte). Er zieht Energie aus der Begegnung mit normalen Leuten aus dem Volk Gottes, es erdet ihn, es lässt ihn seinen Dienst tiefer begreifen. Schon deshalb ist die Generalaudienz mehr als eine Katechese, mehr als ein Hören und Gehörtwerden des Papstes (von "audire", hören, kommt das Wort Audienz). Alles, was darüber hinausgeht, kappt der Livestream. Auch wenn wir trotzdem froh sind, Franziskus zumindest am Bildschirm in Aktion zu sehen.

Glaubende und Nichtglaubende sahen in erster Welle nach Rom

Ist es das Fehlen von Begegnung mit Gläubigen, das den Papst auslaugt? Im Frühjahr 2020, während der ersten Pandemie-Welle, ließ er sich jedenfalls einiges einfallen, um der geplagten Welt Trost zu bringen. Seine Morgenmesse potenzierte er damals, feierte sie statt zweimal die Woche nun täglich mit Livestream, und die Klickquoten gingen durch die Decke: Die Welt wollte und brauchte diese Morgenmessen mit dem Papst. Franziskus pilgerte durch eine verlassene Einkaufsstraße Roms zu einem alten Pestkreuz, hielt Gläubige zu organisiertem Gebet an und betete selber mit. Er feierte eine eindrucksvolle Andacht auf dem leeren Petersplatz, erflehte das Ende dieser Seuche, spendete einen eucharistischen Segen "Urbi et Orbi": Vom Reichtum kirchlicher Traditionen schöpfend, schuf er aus der Not heraus Neues, gab Hoffnung und Orientierung. Glaubende und Nichtglaubende sahen nach Rom. Nicht dauernd, aber öfter mal.

Der Papst richtete Corona-Hilfsfonds ein, fuhr lokal und global die Armenfürsorge hoch, rief früh eine vatikanische Task Force ins Leben, die die Folgen der Pandemie für die Schwächsten untersuchen und abmildern sollte. Er vollendete die Enzyklika "Fratelli tutti", ein Best of seines Lehramtes, dem er "de profundis" eine Corona-Perspektive einwob. Seinen Aufruf, die Krise zu Veränderung zu nutzen und endlich geschwisterlich zu handeln, streute er auf allen Kanälen, über eigene Medien und an ihnen vorbei. Vatican News war wieder mal super beschäftigt, die säkulare Konkurrenz aber auch, Franziskus gab dreimal so viele Interviews wie sonst.

Papst Franziskus besteigt ein Flugzeug zum Beginn einer Reise.
Bild: ©picture alliance / dpa/Oliver Weiken

Seit Johannes Paul II. gehören die Auslandsreisen zu den großen Aufmerksamkeits-Generatoren der Päpste. Nach einer Abstinenz von über einem Jahr steht für Franziskus Anfang März die nächste Reise an.

Seit Herbst aber, nach "Fratelli tutti" und dem Papstbuch mit dem imperativen Titel "Wage zu träumen!", ist es still geworden um Franziskus. Seine öffentlichen Morgenmessen hat er nicht wieder aufgenommen, feiert sie seit Mai nur noch privat, womit er eine der Innovationen seines Pontifikates aussetzt, die "Santa-Marta-Messe aus der Kapelle seiner Residenz". Päpstliche Gebetsaktionen und neuartige Andachten wie die letztes Jahr in der Fastenzeit unterbleiben. Viele Pflöcke, die Franziskus in der ersten Pandemie-Welle eingeschlagen hat, stehen, bleiben aber gleichsam unbelastet.

Der Papst braucht dringend Kontakt und Begegnung

Die großen Aufmerksamkeits-Generatoren der Päpste seit Johannes Paul II. sind die Auslandsreisen. Nach einer beispiellosen Abstinenz von einem Jahr und drei Monaten steht nun wieder eine ins Haus, wenn sie denn hält: Anfang März will Franziskus in den Irak reisen, wo nie zuvor ein Papst war. Das ausgeblutete Land braucht dringend gute Nachrichten, Hoffnung und Bestärkung. Der Papst braucht dringend Kontakt zur Außenwelt und Begegnung. Denn Franziskus lernt im Austausch mit einem Gegenüber. Wie wichtig reisende Päpste überhaupt sind, ist so eindrücklich erst in der Pandemie zutage getreten, die Reisen verbietet, weil Bewegung und Berührung ein öffentliches Gesundheitsrisiko darstellen.

Klar ist freilich auch, dass ein Pontifikat sich nicht daran messen lässt, wie viel es derzeit von sich reden macht. Franziskus hat in diesen acht Jahren für reges Interesse gesorgt, innerhalb seiner Kirche wie außerhalb. Er tritt als Weltgewissen auf, scheut nicht zurück vor sozialpolitisch deutlichen Ansagen und appelliert an Mächtige bis an die Grenze des Sich-Einmischens, kurz: Franziskus hat kein Problem damit, als politischer Papst wahrgenommen zu werden. Zugleich hat sich in der ersten Phase der Pandemie seine geistliche Führungsstärke neu herausgeschärft. Dass die spirituelle wie auch die "öffentliche" Seite seines Pontifikats im Moment unterbelichtet bleiben, fällt auf Dauer nicht ins Gewicht, dazu braucht es auch keinen Verweis auf Johannes Paul II., dessen letzte Lebensphase in Krankheit und Leid sein kraftvolles Pontifikat nicht schmälerte, sondern ergänzte. Je länger die Pandemie anhält, desto deutlicher zeigt sich, dass dem Diktat ihrer Wellenbewegungen auch ein Papst unterworfen ist. Jetzt ist die Zeit des inneren Reifens. Corona lässt sich als geistliche Erfahrung lesen. Als Fastenzeit.

Von Gudrun Sailer

Kolumne "Römische Notizen"

In der Kolumne "Römische Notizen" berichtet die "Vatikan News"-Redakteurin Gudrun Sailer aus ihrem Alltag in Rom und dem Vatikan.