Missbrauchsgutachten: Berliner Regens zieht sich aus Kommission zurück
Der Berliner Domvikar und Regens Matthias Goy hat sich aus der neu gegründeten Kommission, die das Ende Januar vorgestellte Missbrauchsgutachten des Erzbistums Berlin bewerten und mögliche Konsequenzen vorgeschlagen soll, bereits während der ersten Sitzung zurückgezogen. Goy werde im nicht-veröffentlichten Teil des Gutachtens "am Rand" erwähnt und wolle durch seinen Schritt dazu beitragen, dass "der Kommission durch seine Mitarbeit keine von Außenstehenden und der Öffentlichkeit befürchtete Beeinflussung vorgeworfen werden kann", teilte das Erzbistum Berlin am Donnerstag mit.
Die Kommission, deren Mitglieder sich bisher zweimal getroffen hätten, habe sich aufgrund des Rückzugs von Goy noch nicht konstituiert, so das Erzbistum weiter. Der Priesterrat, der den Domvikar und Regens in das Gremium entsandt hatte, werde auf seiner Sitzung am kommenden Donnerstag einen Nachfolger benennen. Laut der Erzdiözese dankten die fünf restlichen Mitglieder der Kommission – Johanna Jungbluth, Kristin Wedekind, Daniel Schade, Winfried Onizazuk und Martin Kalinowski – Goy für "die klare Kommunikation". Zugleich hätten sie sein Ausscheiden als "unvermeidlich" bedauert.
Kommission soll mit dem Gutachten weiterarbeiten
Die Kommission war bei der Vorstellung des Missbrauchsgutachtens Ende Januar vom Berliner Erzbischof Heiner Koch und seinem Generalvikar Manfred Kollig angekündigt worden. Das Gremium solle mit dem Gutachten weiterarbeiten, hieß es damals. Aufgabe sei es, zu bewerten, wo im Rahmen der Bearbeitung der Missbrauchsfälle im Erzbistum Berlin nachlässig oder nicht ordnungsgemäß gehandelt oder gar bewusst verschleppt oder vertuscht worden sei. Zudem solle die Kommission, deren Mitglieder jeweils zur Hälfte vom Diözesanrat und vom Priesterrat entsandt wurden, mögliche Konsequenzen benennen.
Das Gutachten bescheinigt dem Erzbistum zahlreiche Versäumnisse im Umgang mit Missbrauchsfällen seit 1946. Wörtlich heißt es in dem 669-seitigen Papier der Rechtsanwälte Peter-Andreas Brand und Sabine Wildfeuer: "Aus der Untersuchung der Personalakten ergibt sich eine Vielzahl von Missständen, die bereits für sich genommen, insbesondere aber in der Kumulation geeignet sind, die Verhinderung von sexuellem Missbrauch durch Kleriker zu erschweren, die Aufklärung zu verhindern und notwendige Schlüsse für Intervention und Prävention unmöglich zu machen."
Das Gutachten listet 61 anonymisierte Beschuldigte auf, denen 121 Betroffene gegenüberstehen. Laut Anwältin Wildfeuer sind 37 der Beschuldigten bereits verstorben, 18 befänden sich im Ruhestand. In 49 Fällen handele es sich um sexuellen Missbrauch von Minderjährigen, in fünf Fällen um eine sogenannte Grenzüberschreitung, in einem Fall um Kinderpornografie. Drei Fälle könnten nicht eindeutig zugeordnet werden. Das sei aber nur eine "Momentaufnahme aus den Akten", so die Rechtsanwältin: "Wir gehen von einer erheblichen Dunkelziffer aus."
Kritisiert wurde nach der Veröffentlichung des Gutachtens vor allem die Entscheidung des Erzbistums, das Dokument vorerst nicht vollständig zu veröffentlichen. Die Erzdiözese begründete diese Entscheidung mit dem Persönlichkeitsrechtsschutz und der Gefahr der Retraumatisierung der Betroffenen. Außerdem solle eine voyeuristische Darstellung der Fälle vermieden werden.
Das Erzbistum Berlin, die Bistümer Dresden-Meißen und Görlitz sowie das Katholische Militärbischofsamt kündigten am Donnerstag auch den Start ihrer Kooperation bei der Aufarbeitung von sexuellen Missbrauchsfällen an. Dazu rufen sie Opfer von sexuellem Missbrauch aus ihren Zuständigkeitsbereichen zur Mitwirkung an einem gemeinsamen Betroffenenbeirats auf. Die Ausschreibung findet sich auf den Internetseiten der Diözesen und der Militärseelsorge, deren Zentrale in Berlin angesiedelt ist. Über die Auswahl der Beiratsmitglieder entscheidet ein Gremium, dem vier Personen im kirchlichen Dienst, vier unabhängige Experten und eine Betroffene angehören. Missbrauchsopfer sollen so am Aufarbeitungsprozess "maßgeblich beteiligt" werden, erklärten die Bistümer. Aufgrund ihrer Erfahrungen könnten sie auch die Arbeiten im Bereich Prävention und Intervention wirksam begleiten.
Kooperationen auch zwischen anderen Diözesen
Geplant ist auch eine Kommission zur Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs. Ihr sollen – neben entsandten Mitgliedern des Betroffenenbeirats – Experten aus Wissenschaft, Fachpraxis, Justiz und öffentlicher Verwaltung sowie Vertretern der beteiligten Institutionen angehören. Die für den jeweiligen Bereich der (Erz-)Bistümer zuständigen Landesregierungen werden demnach gebeten, Experten zu entsenden, um die Unabhängigkeit der Kommission zu gewährleisten. Ziel sei es, einen "stringenten Prozess der Aufarbeitung" zu ermöglichen und durchzuführen.
Kooperationen bei den Betroffenenbeiräten gibt es auch zwischen anderen Diözesen. Einen ähnlichen Aufruf zur Mitwirkung starteten im Januar das Erzbistum Hamburg mit den Bistümern Hildesheim und Osnabrück sowie vor zwei Wochen die Bistümer Fulda, Limburg und Mainz. Für das Ausschreibungs- und Besetzungsverfahren hatte die Deutsche Bischofskonferenz in Abstimmung mit dem Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM) im vergangenen Jahr eine Rahmenordnung entwickelt. (stz)