Hierarchie dürfe nicht als Herrschaft verstanden oder praktiziert werden

Soziologe fordert klare Führungs- und Kontrollstrukturen in der Kirche

Veröffentlicht am 01.03.2021 um 18:03 Uhr – Lesedauer: 

Mühlheim an der Ruhr ‐ Welche Formen von Partizipation und Gewaltenteilung sind in der katholischen Kirche möglich? Bei einer Online-Tagung wird darüber aktuell diskutiert. Der Soziologe Hans Joas hat dabei globale Zentralität aber auch regionale Spielräume gefordert.

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Für klare Führungs- und Kontrollstrukturen innerhalb der katholischen Kirche spricht sich der Soziologe Hans Joas aus. Sein Ideal wären "Checks and Balances" auf allen Ebenen von der Pfarrgemeinde über die Bistümer bis hin zur Weltkirche, sagte er am Montag bei einer Online-Tagung der katholischen Akademie "Die Wolfsburg" in Mülheim an der Ruhr. Die hierarchischen Strukturen müssten die Handlungsfähigkeit der Kirche im Sinne ihrer Ideale gewährleisten. Sie dürften jedoch nicht als Herrschaft verstanden oder praktiziert werden.

Joas sprach sich für globale Zentralität aus, wenn es um die grundlegenden Lehren des Glaubens gehe. Gleichzeitig brauche es eine Fülle dezentraler Spielräume auf all jenen Gebieten, "in denen doch auch bisher schon das Christentum unverkennbar vom Geist bestimmter Epochen und Kulturen geprägt ist". Dazu gehörten zum Beispiel Fragen von Homosexualität und der Rolle der Frau.

Söding: Menschenrechtsdefizite werden theologisch überhöht

Im Hinblick auf die Einhaltung der Menschenrechte stellte der katholische Theologe Thomas Söding der Kirche eine "bescheidenere" Bilanz aus. Teilweise würden Menschenrechtsdefizite sogar theologisch überhöht, weil sie angeblich dem Unterschied zwischen Staat und Kirche geschuldet seien. Dies sei "schlechte Theologie", so der Professor für Neues Testament an der Ruhr-Universität Bochum. Sie führe zu "jener Sakralisierung von Macht, die sich hinter der Maske der Heiligkeit verbirgt und zu Missbrauch wie zu dessen Vertuschung beiträgt".

Bild: ©KNA (Archivbild)

Rechtshoheit und Weiheamt müssten in der Kirche stärker getrennt werden, fordert der Münsteraner Kirchenhistoriker Norbert Köster. Von 2016 bis 2018 war er Generalvikar im Bistum Münster.

Es sei unterkomplex, so Söding, wenn im Kirchenrecht nur von Gewaltenunterscheidung die Rede sei. Hinreichend sei nur, wenn auch von Gewaltenteilung gesprochen werden könne: "Denn wenn in der Kirche das ganze Leben geteilt wird, der ganze Glaube, dann ja wohl auch die Gewalt, die Vollmacht, die im Namen Jesu ausgeübt wird." Es sei entscheidend, nicht von den Rechten und Pflichten der Kleriker her zu denken, sondern von den Rechten und Pflichten der Laien.

Letztlich gehe es um die Frage nach der Demokratie- und Modernefähigkeit der Kirche überhaupt, erklärte die Professorin für Dogmatik an der Universität Tübingen, Johanna Rahner. "Das zu erkennen und das Ruder noch herumzulegen, dazu wird die Zeit knapp - wenn wir es nicht tun, ist das das Ende der katholischen Kirche, wie wir sie heute kennen." Die Grundprinzipien des modernen demokratischen Staats gehörten zum Kerngeschäft von Kirche und machten ihre strukturellen Defizite umso fataler.

Köster: Rechtshoheit und Weiheamt stärker trennen

Für eine stärkere Trennung von Rechtshoheiten und Weiheamt plädierte der Professor für Mittlere und Neuere Kirchengeschichte an der Universität Münster, Norbert Köster. Vor dem 19. Jahrhundert sei dies selbstverständliche Praxis gewesen. Erst das Zweite Vatikanische Konzil (1962-1965) habe den Bischof an die Spitze der Weiheordnung gesetzt. "Ich glaube, dass die Bischöfe die Delegation der Jurisdiktion weiter verfolgen müssen", sagte der katholische Theologe. So seien zum Beispiel die Kirchenfinanzen schon immer in der Hand der Laien gewesen.

Noch bis Dienstag findet die von der "Wolfsburg" organisierte Fachtagung "Macht, Partizipation und Gewaltenteilung – Was ist in der katholischen Kirche möglich?" mit rund 110 Teilnehmenden statt. Die Veranstaltung ist als internationale Tagung zum Reformprozess der katholischen Kirche in Deutschland – dem Synodalen Weg – konzipiert. (KNA)

01.03., 18.50 Uhr: Ergänzt um Aussage von Theologin Johanna Rahner