Rörig: Katholische Kirche in Vorreiterrolle bei Missbrauchsaufarbeitung
Der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Johannes Wilhelm Rörig, sieht die katholische Kirche in einer Vorreiterrolle bei der Aufarbeitung von Missbrauch in Deutschland. "Im Hinblick auf eine strukturierte unabhängige Aufarbeitung ist es tatsächlich so, dass die katholische Kirche in einer Vorreiterrolle ist", sagte er wörtlich am Sonntag im WDR. Das sei zwar durch die "Kölner Tragödie um das Gutachten und den Kölner Kardinal ein wenig alles verdeckt worden", aber er wisse, dass die Bistümer derzeit engagiert an der Umsetzung der Vereinbarung mit der Bundesregierung arbeiteten. Dabei seien sie auch in enger Abstimmung mit Betroffenen und mit den Landesregierungen.
Mit der evangelischen Kirche zum Beispiel verhandle er derzeit noch über eine entsprechende Vereinbarung, wie er sie mit der katholischen Kirche im vergangenen Jahr abgeschlossen habe, ergänzte Rörig. Er sei optimistisch, dass "spätestens zum Spätsommer" in so gut wie allen 27 Bistümern die vereinbarten unabhängigen Aufarbeitungskommissionen ihre Arbeit aufgenommen haben.
"Wahrheitskommission" nicht nötig
Die vereinbarte Struktur der Aufarbeitung sei auf maximale Unabhängigkeit ausgerichtet, so dass man aus seiner Sicht eine staatliche "Wahrheitskommission" nicht brauche, wie sie von einigen angeregt werde, betonte der Missbrauchsbeauftragte.
Der Staat habe den Auftrag, noch nicht verjährten Missbrauch konsequent zu verfolgen und zu ahnden. Dafür seien die Staatsanwaltschaften zuständig, und da gebe es auch "kein Kirchenprivileg für sexuellen Missbrauch". Das sei in beiden Kirchen inzwischen auch kirchenrechtlich klar geregelt.
Rörig räumte zugleich ein, dass es in Deutschland noch großen Nachholbedarf gebe, die Aufarbeitung voranzutreiben in den Bereichen Sport, Schulen und Familie. Politik und Gesellschaft hätten den Kampf gegen Missbrauch und die Aufarbeitung "noch nicht zu einer gesamtgesellschaftlichen Aufgabe allerhöchster Priorität gemacht. Da muss noch viel gearbeitet werden und da sind wir lange noch nicht am Ziel."
Von der Veröffentlichung der Gutachten zu sexualisierter Gewalt im Erzbistum Köln in der kommenden Woche erwartet Rörig eine konsequente und umfassende Aufklärung. Vor allem im Interesse der Betroffenen erwarte er jetzt, "dass Vertuschung, Verleugnung von Missbrauch und auch die Verhinderung von Aufklärung maximal aufgedeckt wird". Weiter sagte er: "Ich erwarte jetzt wirklich Klarheit, auch darüber, ob Kardinal Woelki wirklich gewichtige Gründe hatte, um das Münchner Gutachten zurückzuhalten". Denn die Nichtveröffentlichung dieses schon vor einem Jahr angekündigten ersten Gutachtens habe unter anderem zu einem "nicht akzeptablen Umgang mit den Mitgliedern des Betroffenenbeirats gegeben. Und ich finde, da müssen die Gründe jetzt wirklich zwingend sein und nicht nur fadenscheinig."
Zu möglichen personellen Konsequenzen oder gar Rücktritten könne er sich erst nach Veröffentlichung der Gutachten äußern, ergänzte der Beauftragte. Unabhängig davon erwarte er aber von dem großen und einflussreichen Erzbistum Köln, dass es sich an die Spitze der Aufarbeitung setze und konsequent vorangehe. Vor allem müsse die unabhängige Aufarbeitungskommission "maximal unterstützt" werden.
Betroffene stärker einbeziehen
Durch den Umgang mit Betroffenen des Missbrauchs im Erzbistum Köln sei vor allem bei diesen viel Vertrauen verloren gegangen. Die katholische, aber auch die evangelische Kirche müssten die Betroffenen noch sehr viel stärker einbeziehen und unterstützen bei der Aufarbeitung: "Es geht darum, dass die Kirche glaubhaft vermittelt, sie möchte mit den Betroffenen auf Augenhöhe und mit Respekt und Demut den schweren Weg der Aufarbeitung gehen."
Im Erzbistum Köln wird seit Monaten um die öffentliche Aufarbeitung früherer Fälle sexuellen Missbrauchs durch Geistliche gerungen. Dabei geht es auch darum, Verantwortliche zu benennen, die Täter geschützt und Verbrechen vertuscht haben. Ein erstes Aufarbeitungs-Gutachten hat Kardinal Rainer Maria Woelki nicht veröffentlichen lassen, weil er es für fehlerhaft und nicht rechtssicher hält; zugleich hat er ein zweites Gutachten angekündigt, das am Donnerstag veröffentlicht werden soll. Das bisher zurückgehaltene Gutachten sollen eine Woche später Betroffene, Journalisten und andere Interessierte einsehen können. (mal/KNA)