Beauftragter der Regierung sieht Kirchen in "Vorreiterrolle" bei Aufklärung

Nach Kölner Missbrauchsgutachten: Rörig fordert "absolute Transparenz"

Veröffentlicht am 20.03.2021 um 10:48 Uhr – Lesedauer: 

Köln ‐ Die Beschäftigung mit dem Kölner Missbrauchsgutachten geht weiter: So forderte der Beauftragte der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, nun "absolute Transparenz" vom Erzbistum Köln. Der Kirchenrechtler Thomas Schüller verurteilte die Studie jedoch scharf.

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Der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, fordert vom Erzbistum Köln weiteres Engagement bei der Aufklärung von Fällen sexualisierter Gewalt. "Die ersten Suspendierungen sind sicher ein wichtiger Schritt, aber jetzt muss für jedermann in Köln und außerhalb erkennbar werden, dass unberechtigter Institutionenschutz der Vergangenheit angehört", sagte Rörig der "Kölnischen Rundschau" (Samstag). Bei der jetzt anstehenden unabhängigen Aufarbeitung sei "absolute Transparenz" nötig. "Dazu gehört, dass mit Respekt und Demut mit den Betroffenen umgegangen wird", sagte Rörig.

Die Kölner Anwaltskanzlei Gercke Wollschläger habe die Grenzen einer juristischen Aufarbeitung gut dargestellt, sagte der Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs. Es müsse aber auch aufgeklärt werden, "was nicht in den Akten steht". Rörig forderte: "Die Betroffenen gehören in den Blick genommen, ihr körperliches und seelisches Leid, der rigorose und oft herzlose Umgang kirchlicher Autoritäten mit den kindlichen Opfern."

Insgesamt sehe er die katholische Kirche in einer "Vorreiterrolle", sagte der Missbrauchsbeauftragte. Es sei "wichtig, dass andere Institutionen es ihr gleichtun". Die evangelische Kirche und die katholischen Orden seien hier auf einem guten Weg. Die Kölner Strafrechtsanwälte Björn Gercke und Kerstin Stirner hatten am Donnerstag ihr Rechtsgutachten zum Umgang mit Missbrauchsfällen in der Bistumsspitze zwischen 1975 und 2018 vorgestellt. Es belastet mehrere Bischöfe schwer. Pflichtverstöße fanden die Gutachter bei den ehemaligen Kölner Erzbischöfen Kardinal Joseph Höffner und Kardinal Joachim Meisner. Der heutige Erzbischof Rainer Maria Woelki soll laut Gutachten keine Verstöße begangen haben.

Das Gutachten führte zu personellen Konsequenzen: Der heutige Hamburger Erzbischof Stefan Heße, der früher die Hauptabteilung Seelsorge/Personal in Köln geleitet hatte, bot Papst Franziskus seinen Rücktritt an. Die Weihbischöfe Ansgar Puff und Dominikus Schwaderlapp wurden vorläufig freigestellt; Schwaderlapp bot dem Papst zudem seinen Rücktritt an. Zudem entband Kardinal Woelki den Kölner Offizial Günter Assenmacher vorläufig von seinen Aufgaben.

Schüller: "Persilscheine für die Vertuscher"

Der Münsteraner Kirchenrechtler Thomas Schüller übte hingegen scharfe Kritik am Missbrauchsgutachten des Erzbistums Köln. Die Studie sei in weiten Teilen eine "gut inszenierte Verteidigung" des Auftraggebers, des Kölner Kardinals Rainer Maria Woelki, schreibt Schüller im "Kölner Stadt-Anzeiger" (Samstag). "Bei genauer Analyse des Gutachtens und seiner Präsentation bleiben Fragen und entstehen Fragwürdigkeiten."

Schüller wirft der Untersuchung der Kölner Anwaltskanzlei Gercke Wollschläger methodische Mängel bei der Auswahl der befragten Verantwortungsträger sowie falsche Behauptungen etwa über kirchenrechtliche Strafnormen vor. Diese würden "zu Persilscheinen für die Vertuscher".

Bild: ©KNA/Lars Berg

Thomas Schüller ist Direktor des Instituts für Kanonisches Recht der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Münster.

Zur Rolle Woelkis, bei dem die Gutachter im Gegensatz zu seinen verstorbenen Vorgängern Joachim Meisner und Joseph Höffner keine Pflichtverletzungen festgestellt haben, schreibt Schüller, dass die Gutachter Woelkis langjährige Position als Weihbischof im Erzbistum Köln fälschlich heruntergespielt hätten.

In der Darstellung des Gutachtens würden Weihbischöfe "geradezu grotesk zu subalternen, unbedeutenden Randgestalten", so der Kirchenrechtler. Als Teil des engsten Beraterkreises von Kardinal Meisner "war Woelki auch ein aktiver Mitwisser und müsste die Frage beantworten, ob er Kardinal Meisner bei dessen Vertuschung unterstützt hat." Im Gutachten gebe es dazu nur "Ausflüchte".

Soll der Kardinal-Höffner-Platz umbenannt werden?

Zudem wird die Forderung laut, den Kardinal-Höffner-Platz vor dem Kölner Dom umzubenennen. Die langjährige Kölner Bürgermeisterin Elfi Scho-Antwerpes spricht sich dafür aus: "Die Platz sollte angesichts der neuen Erkenntnisse zu Kardinal Joseph Höffner definitiv umgewidmet werden", sagte die SPD-Politikerin der "Rheinischen Post" (Samstag).

Gerade im Fall einer so prominenten Stelle, die so viele Touristen anziehe, könne man sich durchaus die Frage stellen, inwieweit das moralisch noch vertretbar sei, sagte Scho-Antwerpes, die seit 2004 Mitglied des Rates der Stadt Köln ist und 2008 Stellvertreterin des Oberbürgermeisters war - als der bis dahin namenlose Platz dem verstorbenen Kardinal gewidmet wurde.

Höffner und seinem Nachfolger Kardinal Joachim Meisner attestiert ein vom Erzbistum Köln in Auftrag gegebenes Gutachten mehrere Verfehlungen. Höffner konnten trotz insgesamt chaotischer Aktenlage acht Pflichtverletzungen im Umgang mit Fällen von sexualisierter Gewalt nachgewiesen werden. Der Kardinal verstieß demnach in seiner Amtszeit (1969-1987) mindestens sechs Mal gegen die Aufklärungspflicht und zwei Mal gegen die Maßgabe der Opferfürsorge. Der Untersuchungszeitraum umfasste dabei die Aktenlage von 1975 bis 2018.

"Auch den Betroffenen gegenüber wäre es ein gutes Signal, wenn der Platz nicht mehr seinen Namen tragen würde", sagt Scho-Antwerpes. Die langjährige SPD-Bundestagsabgeordnete bewegt dabei besonders der Wappenspruch, unter den Kardinal Höffner sein Handeln stellte: "Iustitia et caritas" (Gerechtigkeit und Nächstenliebe).

Kölner BDKJ für umfassendere Missbrauchsaufarbeitung

Für die Missbrauchaufarbeitung in der Kirche reicht die juristische Perspektive nach Ansicht der Jugendverbände im Erzbistum Köln zudem nicht aus. "Man muss das weiter fassen, aus historischer Perspektive, aus psychologischer Perspektive, vielleicht aus soziologischer Perspektive", erklärte der Vorsitzende des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ) im Erzbistum Köln, Volker Andres, dem Internetportal domradio.de am Freitag. Es habe ihn fassungslos gemacht, wie groß das Ausmaß der Vertuschung sei, sagte er mit Blick auf ein am Donnerstag veröffentlichtes Gutachten für das Erzbistum Köln.

Präventionskonzepte und Schutzkonzepte seien nicht ausreichend, sagte Andres. Spätestens seit der Missbrauchsstudie der Deutschen Bischofskonferenz von 2018 sei bekannt, "dass weiter strukturelles Fehlverhalten durch systemische Ursachen existiert, was Missbrauch begünstigt." Es seien Faktoren wie Machtmissbrauch, Klerikalisierung und tabuisierter Umgang mit Sexualität, die bearbeitet werden müssten. (rom/epd/KNA)