Erhalten traditionelle Kar-Gottesdienste durch Corona-Pandemie Auftrieb?

Wenn die Kerzen nach und nach erlöschen: Die Liturgie der Trauermette

Veröffentlicht am 31.03.2021 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ Für eingefleischte Liturgiker haben die Trauermetten der Karwoche geradezu Kultstatus. Die beeindruckenden Gottesdienste erinnern an das Leiden Jesu und bedienen sich dabei eines Lichtritus, der sein Gegenstück in der Osternacht hat. Ein Blick in die Geschichte der Düsteren Metten.

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In der Liturgie der Osternacht ist die Lichtsymbolik besonders eindrucksvoll: Wenn die entzündete Osterkerze in die dunkle Kirche getragen wird, ist ihre kleine Flamme die einzige Lichtquelle für die anwesenden Gläubigen. Nach den drei Rufen des "Lumen Christi" verbreitet sich ihr Schein im ganzen Gotteshaus, denn es wird nach und nach als Osterlicht weitergegeben, sodass die Dunkelheit letztlich ganz verschwindet. Auf diese Weise wird erfahrbar, was Auferstehung bedeutet. Doch in der Karwoche gibt es auch eine liturgische Feier, in der die Lichtsymbolik genau umgekehrt funktioniert und bei der die in der Kirche brennenden Kerzen eine nach der anderen gelöscht werden: Die Rede ist von der Trauermette.

Diese Sonderform des kirchlichen Nachtgebets der Matutin, auch Mette genannt, wird traditionell in den frühen Morgenstunden der drei Kartage Gründonnerstag, Karfreitag und Karsamstag noch vor den Laudes gefeiert – daher wird sie auch Karmette genannt. Vor der Liturgiereform des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-65) waren die Gebete von der Zahl Drei geprägt: An den drei aufeinanderfolgenden Nächten der Kartage versammelte man sich in der Kirche, um jeweils drei Nokturnen genannte Gebetseinheiten zu singen. Jede Nokturn bestand aus einem in Stille gebeteten Vaterunser und den drei Elementen Psalm, Lesung und Responsorium, die wiederum jeweils dreimal vorkamen.

Klage über zerstörten Tempel wird auf Tod Jesu am Kreuz übertragen

Nach dem II. Vaticanum wurde die Form der Trauermette stark vereinfacht. Im Stundenbuch umfasst sie jeweils nur noch drei aufeinanderfolgende Psalmen und biblische Cantica. Auch im aktuellen Gotteslob finden sich für Karfreitag und Karsamstag Vorschläge für Karmetten, deren Liturgie einer normalen Hore des Stundengebets ähnelt. Geblieben ist jedoch der Schwerpunkt bei der Auswahl der Schrifttexte: Neben Trauer- und Klagepsalmen werden vor allem Lesungen aus den Klageliedern des Propheten Jeremia vorgetragen. Im Versmaß der jüdischen Totenklage verfasst, betrauert dieses biblische Buch, das auch Lamentationes oder Jeremiaden genannt wird, die Zerstörung des Jerusalemer Tempels 586 vor Christus. Wie die Juden über den Verlust des Tempels als Ort der Gegenwart Gottes klagten, betrauert die christliche Gemeinde in den Karmetten den Tod Jesu am Kreuz.

Außerdem hat sich ein besonderer Kerzenständer für die Feier der Trauermetten erhalten: der Lichterrechen oder "Tenebrae"-Leuchter. Diesen Namen erhielt die Gerätschaft in Form einer Triangel vom Beginn eines der Antwortgesänge in der Mette am Karfreitag: "Tenebrae factae sunt, dum crucifixissent Jesum Judaei" ("Finsternis herrschte, als die Juden Jesus kreuzigten"), ein Zitat aus dem Matthäusevangelium. Der Leuchter bietet Platz für 15 Kerzen, die zur Mitte hin auf- und danach absteigend angeordnet sind. Nach jedem Psalm und Canticum wird eine der seitlichen Kerzen gelöscht, bis schließlich allein die Kerze an der Spitze des Leuchters brennen bleibt.

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Ursprünglich hatte dieser Brauch wohl einen ganz praktischen Grund: Während der morgendlichen Gebetszeit wurde es allmählich heller, weshalb man das Kerzenlicht nicht mehr benötigte und die Flammen nach und nach löschte, um das kostbare Kerzenwachs zu sparen. Später wurde diese Praxis symbolisch gedeutet: Die 14 seitlich angeordneten Kerzen werden den elf Aposteln, ohne Judas Iskariot, und den drei in der Passion des Markusevangeliums erwähnten Frauen, also Maria aus Magdala, Maria, die Mutter des Jakobus, und Salome, zugeordnet. Das schrittweise Löschen der Kerzen stellt also symbolisch dar, wie alle einer nach dem anderen den am Kreuz hängenden Christus verlassen. Der Gottessohn wird durch die mittlere, nicht verlöschende Kerze symbolisiert.

Dieser eindrucksvolle Lichtritus funktioniert in seiner Symbolik genau umgekehrt zur Osterkerze in der Osternacht – und erzeugt dadurch eine bedrückte Stimmung während der Liturgie, sodass diese nicht nur wegen ihrer nächtlichen Stunde auch Düstere Mette genannt wird. Dieser Name hat sich etwa für die Karmette im Münsteraner St.-Paulus-Dom erhalten, die traditionell am Abend des Mittwochs vor Gründonnerstag gefeiert wird. Bis zur Neuordnung der Karwoche während des Pontifikats von Papst Pius XII. war der Vorabend der Kartage als Zeitpunkt für die Feier der Trauermetten noch möglich. In Münster besitzt diese Liturgie Kultstatus und zieht jedes Jahr viele Gläubige in den weitgehend dunklen und nur von den Kerzen des Lichterrechens erleuchteten Dom.

Trauermetten als Alternativen zu großen Gottesdiensten der Kartage

Die schaurige Atmosphäre wird dadurch verstärkt, dass in Münster auch die 15. Kerze, die Christus repräsentiert, zum Ende der Mette gelöscht wird. Dort hat sich auch der Brauch erhalten, dass danach die Kleriker und liturgischen Dienste durch das laute Klappern mit den Sitzen des Chorgestühls und einen ungeordneten Auszug aus dem Gotteshaus ihre Trauer über den bevorstehenden Tod Jesu ausdrücken. Die fehlende Ordnung im Gottesdienst bildet damit ein Chaos, das dem göttlichen "Kosmos" gegenübersteht und die Verkehrung der Weltordnung durch den Tod Jesu anzeigt. Dazu singt der Chor die geradezu dramatischen Verse, die an die Auslieferung Jesu durch Judas erinnern: "Mein Freund hat mich verraten mit einem Kuss. – Den ich küsse, der ist es, ergreift ihn."

Während die Corona-Pandemie im vergangenen Jahr die Präsenz von Gläubigen bei der Düsteren Mette in Münster verhinderte, hat die gesundheitliche Krise in diesem Jahr vielleicht auch einen positiven Effekt für die Trauermetten insgesamt. Da Gottesdienste nur mit einer bestimmten Höchstzahl von Personen stattfinden dürfen, raten Liturgiewissenschaftler den Kirchengemeinden dazu, die Liturgie an den Kar- und Ostertagen zu entzerren. Neben den großen Gottesdiensten könne man auch kleinere Gebetszeiten feiern, sagte jüngst Marius Linnenborn. "So können verschiedene Formen praktiziert werden, die es sonst noch nicht gab – beispielsweise die Trauermetten am Karfreitag und Karsamstag", so der Leiter des Deutschen Liturgischen Instituts in Trier. Die beeindruckende Liturgie der Karmetten wäre es auf jeden Fall wert, von vielen Gläubigen neu entdeckt zu werden.

Von Roland Müller