Standpunkt

Nicht über Relevanzverlust klagen, sondern Kirchen-Blase verlassen

Veröffentlicht am 07.04.2021 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Köln ‐ Kirchliche Diskussionen bewegen sich oft in einer eigenen Blase. Peter Otten ruft dazu auf, weniger über den Relevanzverlust der Kirche zu klagen und sich mehr für Meinungen außerhalb der Institution zu öffnen – etwa aus dem Bereich der Kunst.

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In der Kölner Kirche St. Gertrud dreht sich seit Ostern das "Heaven's Carousel". Dabei handelt es sich um eine Installation des Konzeptkünstlers Tim Otto Roth. An einem Kran hängen 36 leuchtende Klangkörper, die über den Köpfen der Besucherinnen und Besucher rotieren. Die kinetische Skulptur ist das Ergebnis einer Kooperation mit dem I. Physikalischen Institut der Universität Köln. Volker Ossenkopf-Okada versucht dort die Entstehung neuer Sterne aus Wolken von Gas und Staub zu verstehen. Roth will nun mit den Mitteln von Licht, Klang und Bewegung, die Erkenntnisse des Physikers für die Menschen übersetzen. Das Ergebnis ist eine flirrende, sich manchmal überschlagende, manchmal melancholisch säuselnde, dann wieder konzentrierte dynamische Figur. Wer sich diesem faszinierenden visuellen und akustischen Eindruck hingibt, wird Zeuge eines kreativen, übermütigen, unbändigen Spiels. Die Entstehung der Sterne – Ausdruck von Spielfreude. Eine schöne Osterbotschaft. Ludens in deum. Ein spielender Gott.

Ich bin sehr froh, dass wir die Möglichkeit haben, solche Arbeiten zu zeigen. Denn sie bewahren vor dem selbstgenügsamen Verharren in der eigenen Blase. Als naturwissenschaftlicher Laie finde ich es faszinierend zu sehen, mit welcher Leidenschaft ein Physiker Lichtwellen und Moleküle aufspürt und daraus Theorien für das Werden und Vergehen des Universums aufstellt. Wie ein Künstler einen kreativen Kern der Physik herausarbeitet. Und wie das alles in einer Kirche gezeigt wird, die gerade in den Kar- und Ostertagen noch einmal ganz eigene Ausdrucksformen für Werden und Vergehen, Anfang und Ende, Vergänglichkeit und Ewigkeit findet. Da entstehen aufregende Kommunikation, Dialog und Dynamik – übrigens auf Augenhöhe.

Es stimmt: Die religiösen Deutungsversuche erschließen sich einer fluiden Gesellschaft nicht mehr von selbst. Man kann das eifersüchtig als Relevanzverlust beklagen. Besser ist es, die eigenen Räume zu öffnen, neugierig danach zu fragen, wie andere die Welt sehen. Wie sie versuchen, existenzielle Rätsel zu beschreiben und zu deuten: Naturwissenschaft, Kunst, Literatur und Musik. Religion war immer groß, wenn sie neugierig auf das Leben, auf ihren Kontext war.

Von Peter Otten

Der Autor

Peter Otten ist Pastoralreferent in der Pfarrgemeinde St. Agnes in Köln. Seit einigen Jahren bloggt er unter www.theosalon.de.

Hinweis

Der Standpunkt spiegelt ausschließlich die Meinung der jeweiligen Autorin bzw. des Autors wider.