Ohne Kirche keine Demokratie
Die Kirche brauche "keine 'klerikalisierten' Laien in der Sakristei, sondern überzeugte Katholiken im Zentrum der Politik, der Wirtschaft und auch der Kultur", so der 71-jährige Kardinal und Erzbischof von Tegucigalpa.
Die Option für die Armen müsse zu einer veränderten Weltwirtschaft führen. "Die hochgelobte Globalisierung ist bislang nur eine Globalisierung der Märkte", sagte Rodriguez. Er kritisierte eine "Tendenz hin zu Monopolen, zu immer mächtigeren Unternehmen, die weltweit agieren". Gleichzeitig betonte der Kardinal die Rolle der katholischen Kirche in Lateinamerika: "Würde sich die Kirche nicht kontinuierlich für die Werte des Evangeliums einsetzen und für die Soziallehre mit ihren Prinzipien Personalität, Solidarität und Subsidiarität eintreten, wäre die sogenannte Demokratie längst zusammengebrochen."
Weitgehende politische Ohnmacht in Lateinamerika
Mit Blick auf Lateinamerika beklagte Rodriguez eine weitgehende politische Ohnmacht: "Demokratie heißt bislang, wählen zu gehen und danach zuzuschauen, wie alles so bleibt, wie es war." Eine der Ursachen dafür sei, dass "sich die Wirtschaft der Politik bemächtigt und sie in den Dienst der Interessen einiger Individuen oder weniger kleiner Gruppen gestellt" habe.
Dies gelte auch für die Situation in seinem Heimatland Honduras. "Während des Wahlkampfes wird investiert, während der Regierungszeit die Dividende kassiert und sich so bereichert, dass man für den Rest seiner Tage ausgesorgt hat. Dass Politik Dienst am Gemeinwohl sein soll, hat sich noch nicht herumgesprochen", sagte Rodriguez. Von dem neuen Präsidenten Juan Orlando Hernandez fordert er unter anderem, der «Bestechlichkeit der Justiz» ein Ende zu setzen und versprochene Programme zur Armutslinderung, einer Verbesserung des Erziehungswesens und für neue Arbeitsplätze auf den Weg zu bringen.
Die von Papst Franziskus propagierte Option für die Armen ist kirchengeschichtlich gesehen keine Selbstverständlichkeit. Erst in den 60er-Jahren wurde sie im von der Befreiungstheologie beeinflussten Lateinamerika wiederentdeckt. Jahrhundertelang war die Kirche in Süd- und Mittelamerika eher eine Kirche der Wohlhabenden. Nach dem Ende des Zweiten Vatikanischen Konzils kam es auf der Generalversammlung der Bischöfe Lateinamerikas im kolumbianischen Medellin (1968) dann zu einem radikalen Kurswechsel.
Das Zweite Vatikanische Konzil hat den Weg geebnet
"Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Bedrängten, sind auch Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Jünger Christi", hatte das Konzil in seiner Pastoralkonstitution "Gaudium et spes" erklärt. Die lateinamerikanischen Bischöfe legten diese Worte besonders radikal aus und wurden so zum Vorbild für die gesamte katholische Kirche. Von nun an kritisierten sie die Lebensbedingungen der einfachen Bevölkerung sowie die soziale, wirtschaftliche und politische Ungerechtigkeit in ihren Heimatländern. Fortan wurden Kirche und Bischöfe, die zuvor "Hand in Hand" mit den Reichen und Mächtigen gingen, zu deren Feindbild.
Was die Kirche Lateinamerikas wiederentdeckt hat, sollte jedoch eigentlich selbstverständlich sein. Denn das Prinzip der Option für die Armen ist schon im Alten Testament grundgelegt, wenn Gott selbst als Beschützer der Armen (Ps 35,10) auftritt und ihre Rechte betont werden (Ex 23,6). Jesus wendet sich in radikaler Weise den Armen, Kranken und Ausgegrenzten zu. So wird versöhnliche Begegnung mit den Armen, die Solidarität mit ihnen, wird zu einem Ort der Gottesbegegnung (Mt 25,34-40). (bod/KNA)