Historiker Großbölting: Kardinal Woelki sollte zurücktreten
Der Hamburger Historiker Thomas Großbölting kritisiert, dass der Kölner Erzbischof Rainer Maria Woelki an seinem Amt festhält. Zwar könne sich der Kardinal durch das Mitte März veröffentlichte Missbrauchsgutachten des Kölner Strafrechtlers Björn Gercke juristisch freigesprochen fühlen, sagte der Wissenschaftler am Donnerstag im Podcast "Doppelkopf" des Hessischen Rundfunks (hr). Doch für einen Repräsentanten einer religiösen Gemeinschaft mit hohem Selbstanspruch sei der nicht erfolgte Rücktritt "indiskutabel".
Großbölting verwies auf die Gepflogenheit, dass Ministerinnen und Minister die politische Verantwortung übernehmen, wenn ihr Apparat Fehler gemacht hat. "Diese Schuldkultur scheint es im katholischen Bischofskollegium nicht zu geben. Und das ist meines Erachtens ein großes Problem", sagte der Wissenschaftler, der zurzeit für das Bistum Münster eine unabhängige Missbrauchsstudie erstellt.
Woelki: Rücktritt "wäre nur ein Symbol"
Das Gercke-Gutachten weist acht hohen Amtsträgern des Erzbistums 75 Pflichtverletzungen im Umgang mit Missbrauchsfällen nach. Woelki wird persönlich nicht belastet. Die meisten Pflichtverstöße gehen auf das Konto seines Vorgängers, Kardinal Joachim Meisner (1933-2017), unter dem Woelki Geheimsekretär und später Weihbischof war. Der Erzbischof hatte einen Rücktritt mit den Worten abgelehnt: "Die moralische Verantwortung einfach mitnehmen und gehen zum Schutz des Ansehens von Bischofsamt und Kirche - das ist mir zu einfach." Ein solcher Rücktritt "wäre nur ein Symbol, das nur für eine kurze Zeit hält".
Großbölting räumte ein, dass ein solcher Schritt tatsächlich nur ein Symbol wäre. Deshalb dürfe es auch nicht dabei bleiben, dass "nur ein Spitzenmann ausgetauscht wird". Vielmehr seien auch die strukturellen Probleme anzugehen. Aber weltweit träten Bischöfe wegen Verfehlungen im Zusammenhang mit sexuellem Missbrauch zurück; nur in der katholischen Kirche in Deutschland funktioniere das nicht so. Gerade Betroffene erwarteten aber eine solche Übernahme von persönlicher Verantwortung.
Kritik übte der Historiker auch an der Vereinbarung der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) mit dem Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig. Das im vergangenen Jahr beschlossene Papier gibt allen Bistümern einen einheitlichen Rahmen für die Aufarbeitung sexualisierter Gewalt vor. Ein Konstruktionsfehler sei es schon gewesen, dass Rörig mit den Bischöfen verhandelt habe. Vielmehr hätten diese lediglich ihre Zusammenarbeit anbieten, Mittel dafür zur Verfügung stellen und die Akten öffnen sollen. Und dann hätten sich die Bischöfe "entmächtigen" und die Missbrauchsaufarbeitung in die Hände von unabhängigen Experten und Betroffenen geben sollen. (KNA)