Der erste Mensch im Weltraum – Noachs Auftrag und Gagarins Beitrag
Als Juri Gagarin am 12. April 1961 der erste Mensch im Weltraum wurde – keine zwei Stunden lang dauerte der Flug des Raumschiffs Wostok 1 um die Erde – , war er sofort ein Held der Sowjetunion, Symbol für die wissenschaftliche und technische Überlegenheit des Ostens im sich immer mehr aufheizenden Kalten Krieg. Schon während seines Fluges wurde der Oberleutnant zum Major befördert, und das war nur der Anfang seiner vielen Ehrungen. Im Westen dagegen war man weniger begeistert. Nach dem Sputnik-Schock, als die Sowjetunion 1957 den ersten Satelliten in die Erdumlaufbahn schickte, schon der zweite Rückschlag im Wettrennen um den Weltraum. Das wenig subtil benannte US-Programm "Man In Space Soonest" ("Mensch schnellstmöglich im Weltraum") konnte seinen Namen nicht einlösen, erst zehn Monate nach Gagarins Orbitalflug umrundete der erste Amerikaner die Erde.
Fest in den Lagern verhaftet zeigte sich vor 60 Jahren auch Radio Vatikan. Dort wurde Gagarins Weltraumfahrt äußerst schlecht gelaunt kommentiert: "Die Entwicklung der Technik, die durch die Hand des Menschen realisiert wird, birgt in sich eine enorme Gefahr: Der Mensch kann denken, dass er der Schöpfer ist und dass alles, was mit seinen Händen gemacht wird, die Frucht seines Verstandes und seiner Arbeit ist", war dort zu hören. "Der Mensch ist lediglich der Entdecker dessen, was der Herrgott ihm aufträgt. Der technische Fortschritt muss den Menschen dazu bringen, in die Knie zu gehen und mit mehr Glauben an Gott zu glauben", forderte der Redakteur kurz nach dem Flug.
In der UdSSR reagierte man darauf wiederum verstimmt. "Der Papst soll lieber schweigen", kommentierte die Sowjet-Zeitung Iswestija. Dabei hatte der Papst zu diesem Zeitpunkt noch gar nichts gesagt – darauf sollte die Weltöffentlichkeit noch bis zum August 1962 warten. Wiederum anlässlich einer sowjetischen Weltraummission griff Johannes XXIII. das Streben der Menschheit nach dem All auf. Am 11. und 12. August 1962 schickte die UdSSR gleich zwei Missionen in die Umlaufbahn: Wostok 3, bemannt von Andrijan Nikolajew, und Wostok 4 mit Pawel Popowitsch, blieben beide mehrere Tage im All und umkreisten die Erde mehrere Dutzend Male. Am 12. August, einem Sonntag, wünschte der Papst den Kosmonauten von seiner Sommerresidenz Castel Gandolfo aus Gottes Segen. Das Angelusgebet weihe "für alle Jahrhunderte die Vereinigung des Himmels mit der Erde, des Göttlichen mit dem Menschlichen", hieß es in der Ansprache von Johannes XXIII. "In dieser Stunde verbinden wir gerne die Anliegen unseres Gebets mit den jungen Piloten des Weltraums", ließ der Papst keinen Zweifel daran, dass er einen deutlich optimistischeren Blick auf die Weltraumfahrt hatte als 16 Monate zuvor der Redakteur von Radio Vatikan.
Logische Fortsetzung von Gottes Auftrag
In der Eroberung des Weltraums sah Johannes XXIII. die logische Fortsetzung des Auftrags, der an Noach und seine Söhne ergangen war. "Geliebte Kinder, die allen Nationen angehören, ihr seid hier als gute Brüder versammelt, während der Pilot in fast entscheidender Weise die intellektuellen, moralischen und physischen Fähigkeiten des Menschen erprobt und jene Erforschung der Schöpfung fortsetzt, zu der die Heilige Schrift auf ihren ersten Seiten ermutigt", leitet der Papst seinen Verweis auf das Buch Genesis ein, wo es heißt "regt euch auf der Erde und mehrt euch auf ihr" (Gen. 9, 7). Für den Papst war es nicht zwangsläufig so, dass die Konkurrenz um die Vorherrschaft im All die geopolitischen Konflikte unten auf der Erde fortschreiben muss. Vielmehr verband er damit die Hoffnung auf Einigkeit und Frieden: "So wie diese historischen Ereignisse in die Annalen der wissenschaftlichen Erkenntnis des Kosmos eingehen werden, so mögen sie ein Ausdruck des wahren und friedlichen Fortschritts und ein solides Fundament der menschlichen Brüderlichkeit werden."
In seinem Angelus äußerte Johannes XXIII. darüber hinaus die Hoffnung, dass die Fortschritte in der Erforschung des Alls auch zu einer Verherrlichung des Schöpfers durch die vertiefte Kenntnis seiner Schöpfung führen würde. "Oh, wie sehr wünschen wir uns, dass diese Unternehmungen die Bedeutung einer Huldigung Gottes, des Schöpfers und obersten Gesetzgebers, annehmen würden", drückt es der Papst aus. Konnte er dabei auf Gagarin setzen?
„Gott habe ich dort oben nie gesehen.“
Schließlich wurde das Mitglied der Kommunistischen Partei schnell auch in die Propaganda eingespannt. Sprichwörtlich wurde das Zitat "Gott habe ich dort oben nicht gesehen", das bis heute noch mit dem Mann verbunden wird, der die Erde zum ersten Mal aus dem All gesehen hatte. Doch ob er das wirklich gesagt hat, ist fraglich. Verschiedene Versionen kursieren. Gagarin habe das gar nicht selbst gesagt, sondern die Frage eines westlichen Journalisten nach der Sichtung Gottes knapp mit Nein beantwortet, ist eine Variante. Eine andere legt das Zitat dem sowjetischen Staats- und Parteichef Nikita Chruschtschow in den Mund, und nur die Staatspropaganda hätte dafür gesorgt, dass es dem wesentlich beliebteren Gagarin zugesprochen worden sei. Manchen Quellen zufolge soll Gagarin Christ gewesen sein und auch – zumindest im Privaten – gern über seinen Glauben gesprochen haben, den er allerdings der Staatsdoktrin entsprechend in der Öffentlichkeit für sich behalten habe. Heute ist es in der russischen Raumfahrt ganz anders: Reliquien fliegen auf die Weltraumstation ISS, Raketen werden gesegnet, zur "Sternenstadt" nahe Moskau, wo heute die Kosmonauten ausgebildet werden, gehört selbstverständlich eine Kathedrale.
Die Päpste blicken ins All
Den Papst jedenfalls hat Gagarin, anders als viele westliche Astronauten, nie getroffen. Kaum sieben Jahre nach seinem Pionierflug verunglückte der Pilot tödlich, nur 34 Jahre alt war er bei seinem Tod. Die Sowjetunion rief Staatstrauer aus – eine Ehre, die sonst nur verstorbenen Staatsoberhäuptern zuteil wurde. Die nächste große Pioniertat der Menschheit erlebte Gagarin also nicht mehr, die die USA mit der ersten Landung auf dem Mond im Jahr darauf setzte.
Bereits zwei Jahre nach Gagarins Erdumrundung starb Johannes XXIII. Sein Nachfolger, Papst Paul VI., führte nicht nur das von seinem Vorgänger begonnene Konzil weiter. Auch die Weltraumbegeisterung und die Hoffnung auf Frieden führte er fort. Gleich zu Beginn seiner Amtszeit, noch zu Gagarins Lebzeiten, empfing er 1963 den katholischen US-Präsidenten John F. Kennedy und gab ihm gewissermaßen seinen Segen für das Apollo-Programm, mit dem die USA die ersten Menschen auf den Mond bringen wollten. Die Raumfahrt möge "zur Ehre Gottes beitragen, des Schöpfers und höchsten Lenkers der Welt". Sie sollte außerdem einen "friedlichen Fortschritt einleiten, der die Menschen zu einer universalen brüderlichen Gemeinschaft zusammenschließt", gab der Papst Kennedy mit. Der Präsident sollte die Mondlandung 1969 nicht mehr erleben, noch im selben Jahr wurde er ermordet – der Papst jedoch beobachtete die amerikanische Mondmission und schließlich die Mondlandung sechs Jahre später mit großem Interesse. Begeistert schickte er den Astronauten einen Gruß auf den Mond: "Bringt dem Mond mit unserer lebhaften Teilnahme die Stimme des Geistes, den Hymnus für Gott, unseren Schöpfer und Vater", funkte er von der Päpstlichen Sternwarte aus in Richtung des Erdtrabanten.