Burkhard Hose über Segnungsverbot: Abstriche bei Menschenrechten
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Wenn die Kirche es nicht schafft, ihre Lehre an den Punkten zu ändern, wo Menschen diskriminiert werden, wird sie die Gegenwart nicht überstehen, sagt der Würzburger Hochschulpfarrer, Theologe und Autor Burkhard Hose im Interview. Er spricht auch darüber, wie in 50 oder 100 Jahren auf das Vatikan-Verbot der Segnung homosexueller Partnerschaften geschaut werden könnte.
Frage: Sie setzen sich für die Rechte Homosexueller in der Kirche ein, und üben deutliche Kritik am Segensverbot des Vatikans. Es gibt aber auch die andere Seite der Debatte. So wird zum Beispiel argumentiert, dass die Kirche homosexuelle Menschen wertschätzen, anerkennen, respektieren kann, ohne die katholische Lehre zu verändern. Ist da nicht etwas dran?
Hose: Das kann man natürlich aus einer bestimmten Perspektive so betreiben, aber meine Erfahrung ist: Die ganzen letzten Jahre, die ich in Sachen Menschenrechte unterwegs war, ob mit Geflüchteten oder mit anderen marginalisierten und diskriminierten Gruppen in der Gesellschaft – das Wichtige ist, die Themen aus der Perspektive derer anzuschauen, die diskriminiert werden, die also Diskriminierungserfahrungen machen. Jetzt sagen Sie jemandem, der schwul ist oder transgender oder in einer lesbischen Beziehung lebt: Wir akzeptieren dich als Person, aber nicht deine Beziehung. Das ist eine unzumutbare und für mich auch nicht logisch nachvollziehbare Trennung von Person und der Lebensweise der Person – im Sinne der verantwortlichen Lebensweise.
Beziehungen können verantwortlich geführt werden, aber auch unverantwortlich – das betrifft ja alle Beziehungen. Darum geht es uns ja gar nicht. Aber wenn ich einer Frau sage, die in einer lesbischen Partnerschaft lebt: Ja, ich erkenne dich an als Person, aber deine Beziehung ist sündhaft, dann machen Sie einen Trennstrich zwischen dem, was zu dem Menschen ganz wesentlich dazugehört, nämlich seine Beziehung und auch die Beziehungsfähigkeit. Das ist nicht nachvollziehbar für mich. Und das ist ja die Logik, die dahintersteht.
Das wirkt herablassend auf die, die diese Diskriminierungserfahrungen machen. Wenn Rom sagt: Wir wenden uns dir zu und begleiten dich seelsorglich, dann werden diese Menschen nicht als Subjekte, sondern als Objekte der Zuwendung und der Hilfe betrachtet. Ihre Beziehung wird trotzdem verurteilt – und die Beziehung ist nicht zu trennen von der Person. Das muss der Vatikan begreifen. Da liegt der Knackpunkt. Und dann zu sagen: Das ist keine Diskriminierung – das steht ja sogar in dieser römischen Antwort – das ist eine echte Zumutung.
Frage: Der amerikanische Jesuit James Martin, der sich für die Rechte Homosexueller einsetzt, versucht das anders zu betrachten. Er sagt man möge sich in diesem Vatikan-Dokument nicht auf das fixieren, was eh bekannt ist und fest steht, sondern auf das Neue. Das Dokument spricht nämlich erstmals davon, dass es auch positive Aspekte homosexueller Beziehungen gibt. Konzentrieren wir uns da zu sehr auf das Negative?
Hose: Ich frage mich, ob wir nicht mit dem Blick auf das vermeintlich Positive dann trotzdem 10 km hinterherhinken. Also für mich ist es tatsächlich eine menschenrechtliche Frage. Es geht um Gerechtigkeit. Die menschenrechtliche Logik ist, glaube ich, eine andere als die Logik, die im Moment noch an dieser Stelle die kirchliche Lehre bestimmt. Deswegen ist es für uns tatsächlich eine Frage der Änderung der Lehre auf der Basis der vollen Anerkennung der Menschenrechte.
Übrigens auch in anderen Punkten: In der Anerkennung der Rechte der Frauen, auch in der Anerkennung der Integrität aller Personen – da hängen die Themen zusammen, auch im Thema Missbrauch. Die volle Anerkennung heißt, dass die Würde der Person immer vor der Würde der Institution steht, – ich glaube, da gibt es einen Nachholbedarf in der Kirche. Und wenn sie das nicht schafft, tatsächlich auch Lehre zu ändern an diesen Punkten, dann wird sie die Gegenwart nicht überstehen. Dann wird die Botschaft durch die Institution irrelevant gemacht in der Gesellschaft.
Frage: Die Frage ist, wie wir in 50 oder 100 Jahren auf das Thema schauen. Sind diese Fakten wirklich in Stein gemeißelt, oder denken wir dann so darüber, wie wir heute auf zum Beispiel die Ansichten vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil blicken…
Hose: Da schließe ich mich Ihnen vollkommen an. Das sehe ich auch so. Ich bin ein Mensch, der sehr stark biblisch geprägt ist. Das ist einfach auch durch meinen beruflichen Werdegang bestimmt. Ich war lange Assistent am biblischen Institut hier in Würzburg und bin im Bibelwerk engagiert. Mein Verständnis von Christsein ist sehr stark biblisch geprägt. Wenn ich eines gelernt habe aus der Beschäftigung mit der Bibel und auch aus der wissenschaftlichen Arbeit mit dem Texten, ist es, dass es nichts gibt, was in Stein gehauen ist. Die sogenannte ewige Wahrheit, die ja in der Kirche immer wieder von manchen ausgerufen wird, die gibt es eigentlich nicht.
Wahrheiten sind immer kontextbezogen. Und wir können an der Bibel ablesen, wie sich Organisationsstrukturen, wie sich auch Amtsverständnis, wie sich der Blick auf den Menschen als Person und seine Beziehung verändert hat im Laufe der Entwicklung der biblischen Texte. Ich nenne noch mal das Thema Sexualität und Beziehung. Das hat ja in der Bibel eine ganz andere Qualität, als wir heute sie sehen in der in der Gegenwart. In der hebräischen Bibel, im Alten Testament, werden ja immer wieder bestimmte Texte herangeführt in der Argumentation, dass sie gleichgeschlechtliche Sexualität kritisch betrachten. Aber dabei wird verkannt, dass Sexualität damals ein Ausdruck von Macht war. Auch heute gibt es das ja immer noch, beispielsweise in Kriegen, dass Sexualität eingesetzt wird als Unterwerfungsgestus, also etwa Vergewaltigung im Zuge von Kriegen. Das hat etwas mit Macht zu tun. Das ist eine Perspektive, die vor allem Texte in der hebräischen Bibel auch noch bestimmt. Das ist aber auch noch eine Sicht des Paulus auf die Sexualität. Das, was wir an Liebe und Beziehung auch mit Sexualität verbinden, ist da nicht zu finden.
Frage: Das heißt, eine Weiterentwicklung der Lehre wäre zu sagen: Wir verurteilen Missbrauch, Ausnutzung, Gewalt in sexuellen Beziehungen unabhängig von der sexuellen Orientierung, aber wenn die gleiche Liebe gezeigt wird, die in einer katholischen Ehe existiert, dann wäre es auch gerechtfertigt, das auf andere Beziehungen anzuwenden, weil diese Beziehungen damals in der Bibel überhaupt nicht gemeint, gekannt und erwähnt worden sind.
Hose: Die Moraltheologie unserer Zeit ist ja längst auf dieser Höhe angelangt. Das ist ja auch eines der Probleme jetzt dieser Erklärung aus Rom, dass sie sich nicht mehr auf der Höhe der Theologie bewegt, also zumindest der aktuellen Moraltheologie. Längst werden alle Formen von Beziehung in der Moraltheologie unter diesen Kriterien betrachtet und wahren die Verantwortung des unbedingten Respekts vor der Integrität der anderen Person. Das hat nichts mit der sexuellen Orientierung zu tun. Das hat mit der Art der Beziehungsführung zu tun. Und da haben wir ja in der christlichen Moraltheologie und von der Ethik her sehr wertvolle Dinge beizutragen, damit menschliche Beziehungen gelingen. Darauf sollten wir uns doch in der Kirche konzentrieren. Das wäre, glaube ich, tatsächlich das, was, so wie Sie es gesagt haben, auch Kriterien an die Hand gäbe, um tatsächlich auch Beziehungen ein Stück zu bewerten, ob sie Menschen schaden, ob Sexualität die Integrität achtet oder eben in Gewalt, in Machtausübung ausartet und missbräuchlich wird.
Frage: Nun ist Homosexualität ein großes Tabuthema in der Kirche. Man bekommt den Eindruck, dass viele den Segen nicht verneinen, weil das ihrer christlichen Überzeugung entspricht, sondern einfach aus Homophobie. Kann man die Lehre überhaupt weiterentwickeln, wenn es in Teilen der Kirche so eine große irrationale Angst gibt, die mit dem eigentlichen Thema nichts zu tun hat?
Hose: Ich habe mich in den letzten Monaten viel mit dem Philosophen Michel Foucault bekräftigt. Der sagt ja: Die Religion und gerade auch die christliche Religion und die christliche Kirche als Institution sind ja fast hypersexualisiert, weil sie sich so auf dieses Thema der Sexualität konzentriert. Dadurch wird es auch zu einem starken Thema der Macht. Also das Verschweigen, das Verdrängen und das Verbieten erzeugt eine ungeheure Macht dieses Themas. Ich glaube, das muss man ganz klar aufdecken. Das sieht man auch in den Strukturen. Manchmal fragt man sich ja: Warum sind die da so fixiert auf dieses Thema? Dadurch wird es ja immer auch viel größer gemacht, als es manchmal auch im normalen Leben der Menschen eigentlich präsent ist. Also man hat eine Hyperpräsenz der Sexualität in der christlichen Kirche.
Ich glaube, das muss man sehen und man muss daran gehen, die Lehre zu ändern. Und da gibt es eine Basis dafür. Die Basis ist die Botschaft Jesu, aber jetzt eben in unserer Zeit heute und nicht losgelöst aus dem historischen Kontext. Für mich ist einfach die Basis unseres Zusammenlebens heute die volle Anerkennung der Menschenrechte.
Frage: Wenn wir das Ganze zu Ende denken, heißt das ja, es bräuchte zum Beispiel ein neues Konzil, um das neu zu regeln. Was dann aber garantiert dazu führen würde, dass die konservativeren Kreise der Kirche das nicht mittragen würden. Stichwort Schisma, Kirchenspaltung. Ist das etwas, wo man tatsächlich sich vor hüten sollte oder ist einfach der inhaltliche Bruch schon da und man findet eh keinen anderen Weg?
Hose: Ich glaube, der inhaltliche Bruch ist schon da. Für mich ist das Argument der Einheit auf der weltkirchlichen Ebene gefährlich. Um welchen Preis wollen wir die Einheit? Wollen wir die Menschenrechte auf ein Niveau relativieren, bei dem alle mitkönnen? Im Übrigen haben wir auch Reaktionen bekommen auf unsere Erklärung aus Ländern wie Polen oder, wie ich auch aus Gesprächen höre, aus afrikanischen Ländern, die sagen: Wir warten geradezu darauf, dass ihr da einen Schritt vorausgeht in Deutschland, weil es um unsere Rechte geht. Wir haben nicht die Möglichkeiten, uns so auszudrücken.
Also wer sagt, wir müssen Rücksicht nehmen auf kulturelle Gegebenheiten in anderen Ländern, den muss ich dann auch fragen: Meinst du damit, dass man Rücksicht nimmt auf eine Missachtung von Menschenrechten? Ein bisschen Diskriminierung darf schon sein? Ein bisschen Verfolgung auch, dafür gibt es ein bisschen mehr Anerkennung – das kann es doch nicht sein. Ich glaube, man muss sich bei der Frage nach einem Konzil auch fragen, was eine Spaltung bedeuten könnte: Um welchen Preis erhalte ich die Einheit aufrecht? Dieser Preis kann für mich nicht heißen: Abstriche von Menschenrechten.