Wie ein Priester zum Guru ganzheitlicher Gesundheitspflege wurde
Wessen Name zum eigenen Verb wird, der hat es geschafft. So wie der für seine Wasserkuren berühmte Sebastian Kneipp: Das von ihm abgeleitete Kneippen wurde 1934 in den Duden aufgenommen. Kneipp war da schon lange tot. Doch hinterlassen hat er sozusagen ein Überlebenswerk. Bis heute bewegt es Millionen - Menschen wie Summen. Das war Kneipp nicht gerade in die Wiege gelegt.
Zur Welt kam Kneipp am 17. Mai 1821 in Stephansried bei Ottobeuren im Unterallgäu. Er wurde in eine arme Weberfamilie geboren und musste schon als Kind viel arbeiten. So gelangte er erst über Umwege und spät, in seinen Zwanzigern, ans Gymnasium und zum Theologiestudium in Dillingen an der Donau und München.
Die Neider von Kneipp
Die Ärzte sollen ihn zu dieser Zeit schon aufgegeben haben. Der Grund: Tuberkulose. Doch dann fiel Kneipp ein Buch in die Hände, das ihn gerettet und sein weiteres Leben bestimmt haben soll: "Unterricht von Krafft und Würckung des frischen Wassers in die Leiber der Menschen" von Johann Siegemund Hahn (1696-1773). Kneipp testete dessen Kalte-Bäder-Therapie erfolgreich an sich selbst, verfeinerte sie und wandte sie dann auch an anderen an. Er erhielt umso mehr Zulauf, nachdem er 1852 zum Priester geweiht worden war.
Das rief Neider auf den Plan: Ärzte und Apotheker schimpften ihn einen Quacksalber und Kurpfuscher, später sollte es sogar noch Brandstiftungen an seinen Wirkungsorten geben. Des "Wasserdoktors" Karriere tat das keinen Abbruch. 1855 kam der Geistliche nach Wörishofen, einem Flecken nahe seinem Heimatdorf. Dort wurde er Beichtvater der Dominikanerinnen (und später Pfarrer) und entwickelte die Hydrotherapie zu einer ganzheitlichen Naturheilkunde mit fünf Wirkprinzipien weiter.
Zur Heilkraft des Wassers kamen Heilpflanzenanwendungen, gesunde Ernährung, Bewegung sowie Ordnung - also Ausgeglichenheit der Seele - hinzu. Kneipps Credo in Anbetracht des Fortschritts klingt noch heute aktuell: "Nicht etwa, dass die Errungenschaften unserer Zeit wieder geopfert werden müssten, aber es muss ein Ausgleich gefunden werden, um die überanstrengten Nerven zu stärken, ihre Kraft zu erhalten."
Als erstes Ziel von Wassergüssen oder Kräutergaben via Tee oder Tinktur erkor Kneipp sodann die Prävention. Aber auch Schmerzlinderung und Heilung versprach er durch sein Konzept, was heute zumindest teilweise als erwiesen gilt. So ließen sich Granden wie Erzherzog Joseph von Österreich und Papst Leo XIII. für das Kneippen begeistern. Ein reines Luxusprogramm wurde es jedoch nie - Arme behandelte Kneipp gratis.
In Wörishofen löste sein Wirken einen Massenansturm aus. Das Dorf bekam einen Bahnanschluss und gedieh zu einem veritablen Kurstädtchen. Dessen Ausbau förderte Kneipp mit der Stiftung mehrerer Sozialeinrichtungen aus seinen beträchtlichen Einnahmen, etwa aus Verkäufen seiner Bestseller-Bücher. Sowohl Kneipp als auch der Ort ernteten in der Folge Ehrungen: Der Geistliche erhielt die Titel Päpstlicher Geheimkämmerer und Komtur des Ritterordens vom Heiligen Grab zu Jerusalem, Wörishofen den Beinamen Bad. Ebendort starb Kneipp schließlich am 17. Juni 1897 im Alter von 76 Jahren.
Kneipp machte Wörishofen zur "Gesundheitsstadt"
Sein Name aber sichert der "Gesundheitsstadt", wie Wörishofen heute für sich wirbt, nach wie vor das Auskommen. Zum Jahresbeginn gab es dort 116 Übernachtungs- und Kurbetriebe. 654.099 Übernachtungen zählte man 2019. Einer Studie von 2015 zufolge basieren über 2.000 von geschätzten 5.000 Primäreinkommen im Stadtgebiet auf dem Tourismus. Lange profitierte auch das örtliche "Kurfilmtheater" von Kneipp: Das Kino zeigte die Film-Biografie "Der Wasserdoktor" mit Carl Wery und Paul Hörbiger jede Woche - sage und schreibe von den 1950ern bis Mitte der 1980er Jahre. Gärtner verdienen bis heute an Kneipp: Nach ihm wurde eine cremeweiße Duftrosen-Sorte benannt.
Kasse mit Kneipp macht auch das gleichnamige Unternehmen aus Würzburg. Der Hersteller von Körperpflegeprodukten geht auf die Gründung eines Freundes von Kneipp zurück und gehört heute zur Paul Hartmann AG aus Heidenheim. Aktuelle Umsätze nennt die Firma nicht, für 2010 findet sich jedoch die Angabe 102 Millionen Euro.
Nicht mit Millionen, aber doch sehr vielen Veranstaltungen will nun Bad Wörishofen seinen berühmten Bürger zu dessen 200. Geburtstag würdigen. Angedacht sind diverse Aktionen wie Ausstellungen, Vorträge und Konzerte. Auch Festgottesdienste sind terminiert, darunter am 16. Mai einer mit Augsburgs Bischof Bertram Meier. Freilich stehen diese Pläne alle unter Corona-Vorbehalt. Denn so sehr das Kneippen auch das Immunsystem stärken mag - einen sicheren Virenschutz bietet es nicht.