Berufung Priesterin: Von der katholischen zur anglikanischen Kirche
Für unser Videotelefonat hat sie die "Dienstkleidung" angelegt. Wichtigstes Element: ein dunkles Hemd samt weißem Stehkragen, dem Kollar. Julia Lacey, 46, steht kurz vor der Weihe zur Priesterin in der anglikanischen Kirche. Derzeit arbeitet sie als "Assistant Curate", vergleichbar dem Amt des Diakons, in Chelmsford, etwa 45 Kilometer nordöstlich von London. Wir kennen uns eine halbe Ewigkeit, haben zusammen in Bonn und Freiburg die Uni besucht, bevor Julia dann nach Genf ging. Dort lernte sie ihren britischen Mann kennen. Sie selbst stammt aus einer "rheinisch-katholischen Familie", wie sie sagt, war Messdienerin, studierte katholische Theologie auf Lehramt, arbeitete in Genf für eine kirchliche Nichtregierungsorganisation. Vor einiger Zeit erzählte sie mir, dass sie zu den Anglikanern übergetreten sei und Priesterin werden wolle.
Frage: Wie kam der Kontakt zur anglikanischen Kirche zustande?
Julia Lacey: Das war in Genf. Dort habe ich im Chor gesungen. Ich habe aber immer auch in Frankreich, wo wir wohnten, in der katholischen Gemeinde mitgearbeitet. Zum Beispiel als Katechetin für die Firm-, Kommunion- und Taufvorbereitung.
Frage: Ab wann wurde der Übertritt zu einer ernsthaften Option?
Lacey: Ich habe schon früher gedacht, dass ich gern als hauptamtliche Seelsorgerin arbeiten würde, aber mir immer gesagt: Als Frau ist das in der katholischen Kirche nicht möglich, da musst Du Dir was anderes überlegen. So kam ich auch darauf, Theologie auf Lehramt zu studieren. Aber als ich die anglikanische Gemeinde in Genf kennenlernte und gesehen habe, was funktioniert und was gehen kann, wurde der Wunsch nach einem Wechsel immer stärker.
Frage: Das heißt, Priesterin werden zu können, war ein wichtiges Motiv bei der Entscheidung.
Lacey: Ja. Wenn es diese Möglichkeit nicht gegeben hätte, hätte ich weiter mein kleines ökumenisches Programm fortgesetzt und wäre mal in die anglikanische Kirche in Genf und mal in die katholische Kirche in Frankreich gegangen.
Sie habe von der anglikanischen Gemeinde bei ihrer Suche viel Unterstützung erfahren, erzählt Julia. Sie betont aber auch, dass sie dort niemand "abgeworben" habe. "Die sagten einfach nur zu mir: Du musst Deinen Weg gehen." Zu einem Schlüsselmoment wurde ein Gespräch mit dem Geistlichen der katholischen Gemeinde in Frankreich.
Lacey: Ich habe sehr um den Schritt zum Konfessionswechsel gerungen. Ich wollte dem, was mich über viele Jahre geprägt hatte in der Familie und in meinem Umfeld nicht einfach so tschüss sagen. Heute noch finde ich, dass ich der katholischen Kirche viel verdanke, angefangen von dem Erleben einer Gemeinschaft bis hin zu meiner Ausbildung.
Frage: Aber?
Lacey: Als ich das alles dem katholischen Priester erzählte, verbunden mit meinem Eindruck, zur Arbeit als Seelsorgerin berufen zu sein, antwortete er sinngemäß: Das ist ja ganz nett, aber ich würde auch gern Mutter sein und Kinder bekommen. Das geht halt nicht. - Damit wollte ich mich nicht abfinden.
Julia wurde Ende 2016 in die anglikanische Kirche aufgenommen; schon 2018 saß sie vor einer bischöflichen Prüfungskommission, um sich für die Ausbildung zur Priesterin zu bewerben. In der Rückschau klingt das alles sehr geradlinig, direkt. Aber Julia sagt dazu: "Ich musste all meinen Mut zusammennehmen."
Frage: Wie hat die Familie in Deutschland reagiert?
Lacey: Ich habe relativ lange gezögert, meiner Mutter alles zu sagen. Stattdessen habe ich viel mit meiner Patentante gesprochen. Die ist selbst Ordensschwester und hat mich sehr ermutigt, meinen Überlegungen Taten folgen zu lassen. Als ich schließlich mit meiner Mutter geredet habe, war das ein viel schöneres Gespräch als ich es erwartet hatte.
Inzwischen ist Julia, offizielle Anrede "Reverend", in einem Pfarrhaus in Chelmsford gelandet. Die Stadt ist anglikanischer Bischofssitz und besitzt eine der kleinsten Kathedralen in England. Julias Alltag in einem sozial schwachen Viertel besteht aus einem Mix aus Seelsorge und Sozialarbeit, wie sie sagt. "Man ist im Dienst an der Gemeinde und das ist nicht nur die Gemeinde, die sich am Sonntag zum Gottesdienst versammelt, sondern das sind die Leute, die um uns herum wohnen." Sie führt Supervisionsgespräche mit Kollegen, lernt, wie man Gottesdienst feiert und führt Beerdigungen durch, kürzlich zwei an einem Tag. Eines Nachts habe sie geträumt, eine davon verpasst zu haben.
Lacey: Bei Trauerfeiern möchte ich den Verstorbenen den nötigen Respekt zollen. Das ist nicht einfach. Man hat die Leute im Zweifel nie gesehen und muss sich in relativ kurzer Zeit in Situationen einfühlen. In solchen Momenten empfinde ich durchaus einen gewissen Druck, aber das macht den Beruf auch spannend.
Frage: Frauen als Priesterinnen gibt es in der anglikanischen Kirche erst seit den 1970er-Jahren; 1989 wurde mit der US-Amerikanerin Barbara Clementine Harris die erste Bischöfin geweiht. Bis heute sorgt die Frauenordination für Debatten in der Anglikanischen Gemeinschaft - auch in Chelmsford?
Lacey: Bei den Leuten, die hier den Gottesdienst besuchen, ist das eigentlich kein Thema; dem Bistum Chelmsford steht seit März erstmals eine Bischöfin vor. Neulich habe ich allerdings jemanden besucht, den ich nicht so gut kannte. Der meinte zu mir: Naja, eigentlich sind wir nicht so sehr für Frauen als Priester - aber Du bist ja ganz nett. Ich glaube, dass Priesterinnen immer noch für viele Menschen ein ungewohnter Anblick sind. Und Teile der Anglikanischen Gemeinschaft lehnen weiterhin jede Frauenordination ab.
Frage: Ehrlich gesagt fällt es schwer, den Überblick über den Stand der Debatte bei den Anglikanern zu halten...
Lacey: Wir befinden uns in einer Übergangssituation. Bei den Anglikanern gibt es alle möglichen Strömungen: von Evangelikalen, über Charismatiker und Liberalkatholische bis zu denen, die katholischer als der Papst sind. Ich finde bewundernswert, wie die anglikanische Kirche versucht, den Laden zusammenzuhalten. Zugleich muss ich damit umgehen können, dass es Leute gibt, die mit einer Frau im Priesteramt nicht einverstanden sind.
Den von den katholischen Bischöfen und Laien in Deutschland angestoßenen Synodalen Weg zur Zukunft der Kirche beobachtet Julia aus der Ferne. Wenn am Ende dieses Weges ein Votum für die Zulassung von Frauen zum Priesteramt stünde, würde sie ihren Entschluss zum Übertritt in die anglikanische Kirche nicht infrage stellen. Für sie zählt, dass sie jetzt anerkannt ist in dem, was sie tut. Im Juni findet ihre Priesterweihe statt.
Frage: Gibt es irgendetwas aus der katholischen Kirche, was fehlt?
Lacey: Es gibt eine Sache, die ich wirklich bedauere.
Frage: Welche?
Lacey: Wenn ich meine Mutter in Deutschland besuche und mit ihr in die Messe gehe, kann ich nicht die Kommunion empfangen. Einige Priester haben mir das trotzdem schon angeboten. Aber ich würde die Einladung einfach nicht annehmen, weil ich niemanden in eine schwierige Situation bringen möchte. Das tut sehr weh.
Frage: Warum?
Lacey: Weil ich finde, dass mir durch das Verbot des Kommunionempfangs etwas genommen wird, was meiner Familie wichtig ist. Es war eine Art, vor der Gemeinde zu zeigen, dass wir als Familie einander zugehörig sind.
Kurzes Schweigen in der Leitung - dann kommt Julia noch ein Gedanke. "Das Schöne ist: Wenn meine Mutter einen anglikanischen Gottesdienst besucht, darf sie zur Kommunion kommen", sagt sie und fügt mit einem Lachen hinzu: "Wahrscheinlich wird sie das auch tun, wenn ich es bin, die die Kommunion austeilt!"