Wer wird Nachfolger von ZdK-Präsident Thomas Sternberg?
Dass Thomas Sternberg zu Beginn seiner ZdK-Präsidentschaft angekündigt hatte, nach der aktuellen Amtszeit nicht wieder kandidieren zu wollen, daran hatte wohl nur er selbst sich erinnert. So selbstverständlich wie er die Ankündigung bei der Vollversammlung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) im traditionellen Bericht der Lage zum Auftakt der Tagung angesprochen hatte, war der Rückzug, der nach seinen eigenen Worten kein Rückzug sein soll, nicht. Das Präsidium sei vorher informiert gewesen und habe versucht, ihn umzustimmen, gab Vizepräsident Christoph Braß zum Ende der Vollversammlung noch zu Protokoll. Doch offensichtlich kam die Ankündigung so überraschend und so spät, dass für die Nachfolge noch keine Planungen möglich waren, auch in der Berichterstattung wurde die Nachricht einhellig als Überraschung bezeichnet.
Ob es sich bei Sternbergs Absage an eine weitere Kandidatur wirklich nur um die Einhaltung eines von allen anderen vergessenen Versprechens handelt, wird sich nicht klären lassen, solange er selbst dazu nicht Stellung nimmt. In den vergangenen Wochen jedenfalls war ein Rumoren vor allem bei jüngeren Mitgliedern des ZdK zu spüren, die unter anderem Anstoß an einem Interview des Präsidenten in der Augsburger Allgemeinen genommen hatten, in dem Sternberg knapp die Forderung von Betroffenenvertretern nach einer staatlichen Missbrauchsaufarbeitungskommission zurückgewiesen und die Aufklärungsarbeit der Bistümer gelobt hatte. "Dieser Vorwurf trifft mich zutiefst und ich halte ihn auch in der Sache für falsch", sagte Sternberg in seinem Bericht zur Lage mit Blick auf die Kritik, die ihm zu wenig Distanz zu den Bischöfen und zu wenig Nähe zu den Betroffenen sexualisierter Gewalt vorwarf. Sternberg wirkte laut ZdK-Mitgliedern in Gremiensitzungen gelegentlich gereizt und dünnhäutig, wenn darauf die Sprache kam. Auch im Präsidium scheint, geht man nach den unterschiedlichen Wortmeldungen beim Synodalen Weg, eine Diskussion über den richtigen Kurs mit Blick auf den Reformprozess und Missbrauchsaufarbeitung stattzufinden.
Der Synodale Weg geht ohne die Gründungsvorsitzenden weiter
Einiges spricht also dafür, dass bei Sternbergs Entscheidung auch diese Vorgänge eine Rolle gespielt hatten. Für den Synodalen Weg dürfte es jedenfalls kein gutes Zeichen sein, dass nach dem Rückzug von Kardinal Reinhard Marx vom Vorsitz der Bischofskonferenz nun auch der zweite aus der ursprünglichen Doppelspitze das Ruder abgibt.
Für das ZdK bedeutet das nun, innerhalb eines halben Jahres Kandidaten für die Nachfolge zu finden – denn schon auf der nächsten Vollversammlung im Herbst stehen die turnusgemäßen Wahlen von Präsidium und weiteren Gremien an. Formal ist es eigentlich ganz einfach: Die Vollversammlung wählt aus ihrer Mitte mit Mehrheit für die Dauer von vier Jahren einen Präsidenten, heißt es im Statut. Dazu muss die Vollversammlung in ihrer Mitte aber zuerst einen Kandidaten finden – und das ist durch die Abläufe nicht einfacher geworden. Die späte Rückzugsankündigung hat dazu geführt, dass die Kandidatenaufstellung für die Wahl der Einzelpersönlichkeiten und der erste Wahlgang noch nicht unter den Vorzeichen stattfanden, einen potentiellen Präsidenten, der noch ohne ZdK-Mitgliedschaft ist, mit einem Mandat auszustatten.
Schwierige Wahl: Wie das ZdK seine Mitglieder bestimmt und den Präsidenten wählt
Die komplexe Stuktur des ZdKs sorgt für einen mehrstufigen Prozess der Neuwahlen, an dessen Ende die Wahl eines neuen Präsidiums steht. Die Delegierten aus den Reihen der Diözesanräte, zu denen neben denen der Bistümer auch die der Militärseelsorge und des Pastoralrats der Katholiken anderer Muttersprache gehören, werden in der Regel bei Konstituierung der jeweiligen Entsendegremien von diesen gewählt. Da diese Termine von den uneinheitlichen Pfarrgemeinderatswahlterminen abhängen, gibt es in dieser Säule des ZdK keine einheitliche Periodisierung. Auf der Frühjahrsvollversammlung eines Präsidiums-Wahljahres wählen die Vertreter von Räten und Verbänden bis zu 45 Einzelpersönlichkeiten zu. Da über diesen Zugang Politiker, Wissenschaftler und andere prominente Katholiken direkt ins Katholikenkomitee einziehen, können damit wichtige Weichen für spätere Personalentscheidungen gestellt werden. Von den vier Vizepräsidenten sind derzeit drei, die ehemalige CDU-Bundestagsabgeordnete Claudia Lücking-Michel, die ehemalige parlamentarische Staatssekretärin Karin Kortmann (SPD) und der Ministerialdirigent im Ruhestand Christoph Braß, als Einzelpersönlichkeiten gewählt, nachdem sie zuvor als Vertreterin des Cusanuswerks (Lücking-Michel), des BDKJ-Bundesverbands (Kortmann) und des Diözesanrats Speyer (Braß) Mitglied waren.
Die Vertreter der Verbände und Institutionen werden durch die Arbeitsgemeinschaft der Katholischen Organisationen Deutschlands (AGKOD) im Sommer gewählt. Sternberg wurde über diese Schiene Mitglied des ZdK: Er gehört dem "Cartell Rupert Mayer" an, einem kleinen Verband, der in der Nachkriegszeit entstanden war, um einen Neubeginn aus christlichen Werten zu unterstützen. Viele der von der AGKOD entstanden ZdK-Mitglieder sind hauptberuflich für ihre Organisation tätig, daher ist in dieser Säule des Komitees der Anteil der beruflich von der Kirche abhängigen Mitgliedern höher als in den anderen Säulen. Das führt auch dazu, dass die Vertreter der großen Sozial- und Jugendverbände zwar oft zu den Wortführern im ZdK gehören, als Präsident aber in der Regel nicht in Frage kommen.
Neben der einen Satzungsvorgabe der ZdK-Mitgliedschaft gibt es keine geschriebene Wählbarkeitsvoraussetzung. Ungeschriebene gibt es dafür umso mehr. Seit der Vorsitz kein Erbhof der Fürsten zu Löwenstein mehr ist – zwischen 1868 und 1969 waren drei der vier Präsidenten Löwensteins, unterbrochen durch einen Graf Droste zu Vischering –, waren hochrangige CDU- und mit Alois Glück ein CSU-Politiker Präsidenten. Mit Ministern, Landtagspräsidenten und Oberbürgermeistern stand den Bischöfen jeweils ein Gegenüber auf angemessener protokollarischer Höhe gegenüber.
Einer von ihnen war Hans Joachim Meyer. Er war in der ersten demokratisch gewählten DDR-Regierung 1990 Minister für Bildung und Wissenschaft, nach der Wiedervereinigung von 1990 bis 2002 Sächsischer Staatsminister für Wissenschaft und Kunst. 1997 bis 2009 wirkte er als ZdK-Präsident. Als gegen Ende seiner Amtszeit die Nachfolgefrage zu klären war, kursierte im ZdK eine wohl nur halb humorvoll gemeinte Liste von drei Kriterien, die ein Präsident erfüllen müsse: Katholisch muss er sein, Herr über seinen eigenen Terminkalender und einen Fahrer muss er haben. (Geschlechtergerechte Sprache gab es zu dieser Zeit im Katholikenkomitee noch nicht.) Katholisch verstehe sich von selbst, das zeitaufwändige Ehrenamt erfordere eine so unabhängige berufliche Stellung, dass es frei ausgeübt werden kann, und der Fahrer markierte die hierarchisch wichtige Vorgabe, dass es sich mindestens um einen Staatssekretär handeln müsse.
Alois Glück führte das ZdK aus der Krise
Der Fahrer fehlte dem ZdK-Vizepräsidenten Heinz-Wilhelm Brockmann zunächst für die Meyer-Nachfolge. Dass der Abteilungsleiter im niedersächsischen Kultusministerium Anfang 2009 als Staatssekretär nach Hessen wechselte, löste dieses Problem, das gegen den im ZdK und darüber hinaus hochangesehenen CDU-Politiker angeführt werden konnte. Zu einer Wahl kam es indes nicht: Zwar legt das ZdK-Statut fest, dass die Deutsche Bischofskonferenz die Wahl bestätigt – doch schon zuvor hatten die Bischöfe Brockmann durchfallen lassen. Angeblich auf Antrag des damaligen Limburger Bischofs Franz-Peter Tebartz van Elst soll entgegen der Tagungsregie des Vorsitzenden Erzbischofs Robert Zollitsch beim Ständigen Rat der Bischofskonferenz eine geheime Abstimmung über die Personalie vorgenommen worden sein – und das ZdK war brüskiert, der Kandidat demontiert. Die Wahl wurde verschoben, um einen neuen Kandidaten zu finden. Mit einiger Überzeugungsarbeit konnte Alois Glück, der eigentlich schon seinen Ruhestand geplant hatte, zur Kandidatur bewegt werden – von vornherein als Übergangskandidat, der breites Vertrauen bei Bischöfen wie ZdK-Mitgliedern genießt. (Ein weiterer Name stand für die Meyer-Nachfolge im Raum: Der nordrhein-westfälische Familienminister, ein gewisser Armin Laschet, der dann allerdings nicht kandidierte.)
Glück war zugleich der letzte ZdK-Präsident, der die drei halbernsten Kriterien erfüllte. Um seine Nachfolge bewarben sich gleich zwei Kandidaten: die parlamentarische Staatssekretärin und Präsidentin des Katholischen Deutschen Frauenbundes Maria Flachsbarth und Thomas Sternberg, damals Akademiedirektor im Münsteraner Franz-Hitze-Haus – mithin im Kirchendienst – und Abgeordneter im nordrhein-westfälischen Landtag. Flachsbarth galt als Favoritin, die nötige Unabhängigkeit und Stellung brachte sie mit, und nach Rita Waschbüsch, der bisher einzigen Frau an der Spitze des Komitees (1988–1997), schien beim Geschlecht, wenn schon nicht in der Parteienfamilie, etwas mehr Diversität anzustehen. Dass Sternberg dennoch gleich im ersten Wahlgang gewählt wurde, dürfte auf die Vorstellungsreden zurückzuführen sein: Während Flachsbarth eine solide Rede mit politischen Zielen formulierte, spannte der tief im Sozialkatholizismus und im selbstbewussten volkskirchlichen Milieu des Münsterlands verwurzelte Sternberg einen Bogen über Geschichte und Auftrag des politischen Katholizismus, mit dem er die Delegierten für sich einnahm.
Sternberg spannte mit seiner Wahl zugleich einen Bogen in die Vergangenheit – schon der erste Post-Löwenstein-Präsident Albrecht Beckel (1968–1972) war Akademiedirektor im Franz-Hitze-Haus, als Oberbürgermeister von Münster allerdings in politischer Leitungsfunktion. Wichtiger ist der Bogen in die Zukunft: Sternberg wurde als Persönlichkeit, ohne die vermeintlich nötige politische Stellung (im Landtag war sein höchstes Amt die des kultur- und medienpolitischen Sprechers seiner Fraktion) Präsident – und führte das Amt nicht weniger respektiert und mit nicht weniger öffentlicher Wahrnehmung als seine Vorgänger mit Fahrer.
Keine offensichtlichen Kandidaten für die Nachfolge
Einen offensichtlichen Nachfolger für Sternberg gibt es nicht – die wohl wirkmächtigsten Kontinuitäten dürften aber das Unionsparteibuch und eine Tätigkeit in der Politik sein. Wäre der Rückzug früher bekannt geworden, möglicherweise hätten der Bundes entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) oder die Präsidentin der Deutschen UNESCO-Kommission Maria Böhmer (CDU) nicht auf eine erneute Kandidatur verzichtet.
Aussichtsreiche Kandidatinnen dürfen beide bisherigen Vizepräsidentinnen sein: Karin Kortmann (SPD), die ehemalige Staatssekretärin im Entwicklungsministerium, die heute bei der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) arbeitet, war Stimmenkönigin im ersten Wahlgang. Die ehemalige SPD-Abgeordnete, die nach ihrem Amt als BDKJ-Bundesvorsitzende in die Politik ging, schien bisher für eine größere Kontinuität mit dem auf Ausgleich bedachten Kurs Sternbergs gegenüber den Bischöfen zu stehen, hat sich allerdings auf der jüngsten Vollversammlung für einen pointierten Auftritt ausgesprochen. Claudia Lücking-Michel, ehemalige CDU-Bundestagsabgeordnete und heutige Geschäftsführerin des kirchlichen Vermittlungsdienstes für Fachkräfte in der Entwicklungshilfe AGIAMONDO, hat bei der Zuwahl auch ein sehr gutes Ergebnis erzählt und dürfte für eine vor allem von jüngeren ZdK-Mitgliedern geforderte profiliertere und streitbarere Rolle bei der Missbrauchsaufarbeitung und im Synodalen Weg stehen – gegen sie spricht ihre Tätigkeit im Kirchendienst. Anders als Sternberg, der als ZdK-Präsident vorzeitig in den Ruhestand ging, ist sie auch noch weiter vom Rentenalter entfernt. Beide Vizepräsidentinnen haben sich noch nicht zu einer möglichen Kandidatur geäußert.
Abgeordnete – oder doch eine Professorin?
Denkbar wären auch einige Abgeordnete als neue Präsidenten. Nach wie vor ist die ehemalige Kandidatin Maria Flachsbarth als Vertreterin des KDFB Mitglied der Vollversammlung. Die ehemalige Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) ist beliebt und hat als Fachbereichssprecherin bereits Verantwortung im ZdK übernommen, als offen lesbisch lebende Sozialdemokratin wäre angesichts der Polarisierung in der Bischofskonferenz eine Bestätigung allerdings ein Risiko. Der Europaabgeordnete und Arzt Peter Liese (CDU) meldet sich vor allem zu bioethischen Themen häufig zu Wort, würde aber wohl einen politisch konservativeren Kurs bedeuten. Die Vorsitzende der Katholischen Frauengemeinschaft Deutschlands (kfd), Mechthild Heil, wie ihre KDFB-Kollegin Teil der CDU-Bundestagsfraktion, könnte dagegen einen stärker reformerischen Kurs einbringen. Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) ist seit einigen Jahren zugleich Sprecherin für Kultur und Medien des ZdK, zudem hat sie sich vom Vorsitz des Berliner CDU-Landesverbands zurückgezogen, so dass die Abgeordnetenhauswahl Ende September in Berlin nicht gegen eine ZdK-Kandidatur sprechen würde. Ob Annegret Kramp-Karrenbauer, die bisher nicht durch ein größeres Engagement in der Vollversammlung aufgefallen ist, an einer Kandidatur interessiert wäre, ist nicht abzusehen. Zu vermuten ist, dass die ehemals problemlose Verquickung von Ministerposten und ZdK-Amt immer fragwürdiger wird angesichts sinkender Kirchenbindung auch in der CDU und einem größeren Bewusstsein für Interessenskonflikte – ein Eindruck, der bei einfachen Abgeordneten weniger herrschte.
Abseits der Politik ist das ZdK vor allem professoral geprägt, vor allem durch Theologieprofessoren. Mit der Berliner Historikerin Birgit Aschmann und der Professorin für Fernsehjournalismus Claudia Nothelle in Magdeburg-Stendal, die zuvor Programmdirektorin beim Rundfunk Berlin-Brandenburg war und die auch als mögliche Kandidatin für die Nachfolge von DBK-Generalsekretär Hans Langendörfer im Gespräch war, gibt es zwei im ZdK profilierte Mitglieder, die ohne die Belastung eines kirchlichen Lehrauftrags mit der Unabhängigkeit der Hochschullehrerin das Amt wahrnehmen könnten.
All das sind noch Spekulationen – aber mehr als Spekulationen gibt es zum jetzigen Zeitpunkt auch nicht. Dass sich die Findungskommission des ZdK erst jetzt konstituiert und es noch keinen Kandidatenvorschlag in der Schublade gibt, ist angesichts der Überraschung unter ZdK-Mitgliedern über Sternbergs Ankündigung glaubhaft – nachdem Sternberg selbst mit seiner Kandidatur gegen die Favoritin einer echten Wahl unter mehreren Kandidaten den Weg geebnet hat, kündigt sich ein spannender Sommer und Herbst für den Laienkatholizismus an. Und der neue Präsident, die neue Präsidentin wird gleich in die vollen gehen müssen, Synodaler Weg, Missbrauchsaufarbeitung, ein Umzug nach Berlin: Zeit für ausgiebiges Feiern gibt es nach der Wahl nicht.