Katechetenverband: Alltagserfahrung muss auf Kirchenlehre zurückwirken
Der Deutsche Katecheten-Verein (dkv) ist mit über 9.000 Mitgliedern der größte katholische Fachverband für religiöse Bildung und Erziehung im deutschsprachigen Raum. Mit seinen Publikationen und Tagungsangeboten unterstützt er sowohl haupt- und ehrenamtliche Katechetinnen und Katecheten in den Gemeinden als auch schulische Lehrkräfte bei ihrer Arbeit. Im Interview mit katholisch.de spricht der neue dkv-Geschäftsführer Uwe Globisch über aktuelle Herausforderungen der Glaubensverkündigung und die Rolle des Religionsunterrichts in der heutigen Gesellschaft.
Frage: Herr Globisch, Sie treten als Geschäftsführer an die Spitze eines Verbands, dessen Geschichte bis ins neunzehnte Jahrhundert zurückreicht. Seitdem hat sich die Gesellschaft stark verändert – ein geschlossenes katholisches Milieu ist längst Geschichte. Müssen Sie den Deutschen Katecheten-Verein komplett umkrempeln?
Globisch: Nein, unser Verband hat sich im Laufe seiner Geschichte natürlich weiterentwickelt. Katechese ist ja immer etwas, das sich an der Lebenssituation, an der Biografie der Menschen orientieren muss. Und deshalb verändern sich Katechese und Religionsunterricht ständig und müssen sich der Sprache und den Zeichen der Zeit anpassen. Dass das nicht mehr so sein kann wie vor knapp 135 Jahren, ist logisch.
Frage: Am kommenden Dienstag wird ein Motu proprio von Papst Franziskus veröffentlicht, mit dem der Dienst von Katechetinnen und Katecheten aufgewertet werden soll. Wie bewerten Sie diesen Schritt des Papstes?
Globisch: Das ist natürlich ein sehr wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Der dkv sieht seine Aufgabe ja unter anderem in der Fort- und Weiterbildung der ehrenamtlichen Katechetinnen und Katecheten. Dabei hilft natürlich so eine entsprechende Ankündigung. Aber jetzt müssen wir die Veröffentlichung in der kommenden Woche erst einmal abwarten.
Frage: Für viele klingt Katechese stark nach Katechismus und erinnert irgendwie an die Generation unserer Großeltern. Was bedeutet Katechese für Sie in der heutigen Zeit?
Globisch: Katechese heute bedeutet eine lebensbegleitende und biografiebezogene Erschließung des christlichen Glaubens. Das Wort selbst mag altertümlich klingen, aber dahinter verbirgt sich die Aufgabe, ständig neue Zugänge zu finden. Und da müssen wir alle Menschen in den Blick nehmen: Katechese muss über die Erstkommunionvorbereitung und Firmvorbereitung hinausgehen. Es müssen ebenso die Erwachsenen in den Blick genommen werden, die Familien in ihrer speziellen Situation, die Alleinstehenden, die Senioren, bei denen ja immer noch eine große Sozialisation im Glauben vorhanden ist – und nicht zu vergessen: Menschen mit Behinderung.
Frage: Einer der Erstkontakte zur Generation der Kinder und Jugendlichen stellt nach wie vor der Religionsunterricht an den Schulen dar. Gerade der wird von säkularen Stimmen aber immer wieder als unzeitgemäß kritisiert. Wie lässt sich der konfessionsgebundene Religionsunterricht angesichts dieser Infragestellungen weiterhin plausibilisieren?
Globisch: Also ich würde sagen, gerade jetzt in Zeiten von Corona wurde deutlich, wie wichtig Religionsunterricht an den Schulen ist: Viele Schülerinnen und Schüler sind existenziell von negativen Auswirkungen der Pandemie betroffen. Durch seelische Verwundungen und physische Belastungen taucht die Frage nach dem Sinn des Lebens verstärkt auf. Und da hat der Religionsunterricht sehr gute Antworten und kann in diesen existentiellen Fragen Hilfestellungen geben. Er ist aber auch ein Ort, an dem etwa Umweltfragen und andere gesellschaftliche Herausforderungen diskutiert werden können, was sonst im schulischen Kontext sehr schwierig ist. Insofern halte ich Religionsunterricht für unverzichtbar, weil er ein großes Resilienzpotential hat, das in unserer Gesellschaft wichtiger denn je ist.
Frage: Aber wäre dafür in einer stark säkularisierten Gesellschaft nicht eine vergleichende Religionskunde dienlicher, die den Schülerinnen und Schülern ein breites Sinnangebot präsentiert – unabhängig von der Konfession der Lehrkräfte?
Globisch: Das wird, meiner Meinung nach, vielerorts auch in diese Richtung praktiziert. Und die meisten Religionslehrerinnen und Religionslehrer sind sehr gut ausgebildet – oder bilden sich auch über unsere Angebote fort –, um die verschiedenen Religionen wertfrei vorzustellen und Platz für Fragen zu geben. Und man muss dazusagen: Der dkv steht natürlich auch für eine verstärkte Zusammenarbeit von evangelischen und katholischen Religionslehrerinnen und Religionslehrern im Sinne einer konfessionsübergreifenden Kooperation.
Frage: Die Gegenseite könnte jetzt einwenden: Genau das ist das Problem, dass der Religionsunterricht zu neutral geworden ist, und die Schülerinnen und Schüler sich aussuchen können, was sie glauben wollen. Die Kirche verliert ihren Nachwuchs, weil die Kinder im Religionsunterricht nichts mehr lernen. Wie reagieren Sie darauf?
Globisch: Ich glaube nicht, dass da nichts gelernt wird. Eher bietet der Religionsunterricht einen Raum, in dem sich die Schüler und Schülerinnen mit ihren konkreten Lebensfragen wiederfinden können und sich erstgenommen fühlen. Außerdem haben sie an dieser Stelle die Möglichkeit, sich mit anderen, aber auch den eigenen Glaubens- und Lebensformen, auseinanderzusetzen. Wo gibt es das sonst noch im schulischen Kontext?
„Katechese darf keine Einbahnstraße sein und nur das wiedergeben, was irgendjemand vorgibt.“
Frage: Eine kirchliche Sozialisation wird heute ja immer mehr zur Ausnahme. Wie lässt sich in der Schule oder in anderen Bereichen über den Glauben sprechen, wenn man oft auf wenig Vorwissen stößt oder ganz bei null anfangen muss?
Globisch: Das muss man von zwei Seiten betrachten: Zum einen ist es wichtig, dass die Haupt- und Ehrenamtlichen in der Katechese weiter qualifiziert und fortgebildet werden, um genau diese Zeichen der Zeit wahrzunehmen und damit umzugehen. Auf der anderen Seite – ich sag es mal bildlich – muss Katechese auch auf die Marktplätze gehen, die sie vorher noch nicht bespielt hat. Sie muss sich neue Orte suchen, um mit Menschen in Kontakt zu kommen. Früher ist das eben im Religionsunterricht und in den Gottesdiensten passiert, aber das ist heute nicht mehr der Fall. Umso wichtiger ist es, an nicht-kirchlichen Orten präsent zu werden.
Frage: Welche "Marktplätze" schlagen Sie dafür vor?
Globisch: Da gibt es etwa die Beispiele der Citykirchen, wo dieser Kontakt schon praktiziert wird. Aber das können auch ganz neue innovative Ideen sein, und ich stelle mich vielleicht wirklich auf den Marktplatz, um vor Ort mit den Menschen zu diskutieren. Das soll überhaupt nicht missionarisch sein, sondern es geht auch hier darum ein Feld zu öffnen, in dem man die Leute ernst nimmt.
Frage: In den Pfarreien können aktuell höchstens die Gottesdienste stattfinden, der Rest des Gemeindelebens muss wegen der Corona-Pandemie größtenteils ausfallen. Wie ist unter diesen Umständen weiterhin Glaubensaustausch möglich?
Globisch: Hier stellt die Digitalisierung natürlich eine große Chance dar. So gibt es beispielsweise Bibelkreise, die aktuell über Zoom stattfinden. Und da machen wir interessanter Weise die Erfahrung – ähnlich übrigens wie bei unseren Tagungen, die ja auch online stattfinden müssen –, dass wir auf diesem Weg ganz andere Leute erreichen können als die, die wir mit den Angeboten bisher erreicht haben. Manche Leute, die sagen, wenn ich zwei bis drei Stunden zu der Veranstaltung fahren muss, geht das nicht, können jetzt etwa an Online-Tagungen teilnehmen. Gleichzeitig kann dieser digitale Zugang gerade für ältere Menschen natürlich auch eine Hürde sein.
Frage: Sie hatten vorhin die "Zeichen der Zeit" als einen Maßstab von Katechese erwähnt. Was bedeutet es für die Katechese, wenn die kirchliche Lehre und die Lebenswirklichkeit vieler Menschen immer weiter auseinanderdriften – etwa was die Gleichberechtigung der Geschlechter oder die Sexualmoral betrifft?
Globisch: Katechese darf keine Einbahnstraße sein und nur das wiedergeben, was irgendjemand vorgibt. Das Entscheidende ist, wie schon gesagt, das Biografiebezogene: Ich muss den Menschen in seiner Lebenswirklichkeit, in seinem Umfeld, in seiner Sozialisation abholen, um mit ihm ins Gespräch zu kommen. Und da gehören natürlich gerade solche Reizthemen und heiße Eisen wie die Sexuallehre dazu oder die Situation im Erzbistum Köln, die momentan in aller Munde ist. Mit diesen Anfragen müssen wir uns auseinandersetzen, und was in diesen Diskussionen zurückkommt, muss sich auch auf die kirchliche Lehre auswirken.
Frage: Trotzdem kann es für eine Religionslehrerin durchaus problematisch werden, wenn sie etwa den Ausschluss von Frauen vom Weiheamt im Unterricht in Frage stellt. Wie weit reicht da die Loyalitätspflicht und wie weit muss ich den Zeitumständen Rechnung tragen?
Globisch: Natürlich muss ich den Zeitumständen Rechnung tragen, und ich glaube, dass sich der dkv da in den letzten Jahrzehnten sehr gut weiterentwickelt hat. Wir sprechen als Verband im Namen unserer Mitglieder und können dadurch relativ frei agieren. Schon der Beschluss der Würzburger Synode zum Religionsunterricht aus dem Jahr 1974 hat ja diesen Konflikt aufgezeigt. Da heißt es, dass die Religionslehrer einerseits natürlich an die Kirche gebunden sind, aber andererseits auch ein waches Bewusstsein für Fehler und Schwächen und die Bereitschaft zu Veränderungen und Reformen brauchen. Die Spannung zwischen Anspruch und Realität dürfe nicht ausgeklammert werden. Und deshalb schließt sich die Liebe zur Kirche und eine kritische Distanz auch nicht aus.
Frage: In den Buchhandlungen boomt das Geschäft mit spiritueller Literatur und Lebensratgebern. Warum hat dagegen die kirchliche Glaubensverkündigung ein eher schlechtes Image?
Globisch: Ich würde gar nicht unbedingt sagen, dass sie ein schlechtes Image hat. Wenn ich auf meine frühere Verlagstätigkeit zurückblicke und mir etwa die Bücher von Rainer Maria Schießler anschaue, dann sieht man, dass auch die sehr boomen. Sein erstes Buch war, glaube ich, über 45 Wochen auf der Spiegel-Bestsellerliste unter den Top 50. Das zeigt doch, dass Glaubensverkündigung durchaus einen Wert hat und wahrgenommen wird. Und wenn man das Buch genau liest, argumentiert Schießler nirgends gegen die Amtskirche, sondern er überzeugt einfach durch seine Art: Er redet so, dass die Leute es verstehen und sich damit identifizieren können.
Frage: Dass Schießlers Sprache so positiv auffällt, zeigt aber doch auch, wie selbstreferenziell die kirchliche Kommunikation sonst häufig ist. Wie kann es in der pastoralen Praxis besser gelingen, Input von außen zuzulassen und aufzunehmen?
Globisch: Ich denke, das hat wiederum Erik Flügge in seinem Buch sehr gut erläutert: dass wir nämlich über Religion sprechen müssen wie am Stammtisch. Wir müssen für unsere Inhalte einfache Worte finden und wir müssen beim Reden den Kirchenjargon und den schief gelegten Kopf weglassen.