"Komm herab, o Heilger Geist" – Das inständige Gebet der Pfingstnovene
"Betet ohne Unterlass!" Dieser eindringliche Aufruf des Apostels Paulus stammt aus einem der ältesten Schriftstücke des Christentums, dem ersten Brief an die Thessalonicher – und richtet sich doch an alle Gläubigen bis zum heutigen Tag. Gerade jetzt zum Ende der Osterzeit bietet sich für dieses inständige Gebet ein besonderer Rahmen: die Pfingstnovene.
Als Novene bezeichnet man eine Frömmigkeitspraxis, bei der an neun aufeinanderfolgenden Tagen bestimmte Gebete verrichtet werden. Der Name dieser Andachtsform leitet sich vom lateinischen Wort "novem" (neun) ab und erinnert an die neun Tage zwischen der Himmelfahrt Jesu und der Herabkunft des Heiligen Geistes an Pfingsten. Diese Chronologie ergibt sich aus der Apostelgeschichte: Dort wird erzählt, dass Jesus den Jüngern nach seiner Auferstehung vierzig Tage lang erschienen ist, bevor er sich in den Himmel erhob und zu Gott zurückkehrte. Daraufhin versammelten sich die Apostel in Jerusalem und "verharrten dort einmütig im Gebet, zusammen mit den Frauen und Maria, der Mutter Jesu, und seinen Brüdern" (Apg 1,14). Als schließlich "der Tag des Pfingstfestes gekommen war" (Apg 2,1) wurde die ganze Gemeinschaft der betenden Urgemeinde mit dem Heiligen Geist erfüllt.
Der Name Pfingsten kommt vom Wort "pentecoste", das an dieser Stelle im griechischen Original steht und "der fünfzigste (Tag)" bedeutet. Mit diesem Datum greift die Apostelgeschichte das jüdische Wochenfest "Schawuot" auf, bei dem am fünfzigsten Tag nach Pessach die Offenbarung der Tora am Berg Sinai gefeiert wird. Der Heilige Geist, den die Jünger an Pfingsten empfangen haben, wird somit als Erneuerung der göttlichen Offenbarung interpretiert: Wie Gott dem Volk Israel in der Tora gegenwärtig ist, so gibt er sich den Christen durch das Wirken des Heiligen Geist zu erkennen. Aus der Differenz aber zwischen dem vierzigsten (Himmelfahrt) und dem fünfzigsten Tag nach Ostern (Pfingsten) ergeben sich die neun Tage, an denen die christliche Urkirche um diese neue Gegenwart Gottes gebetet hat. Wenn man so möchte, haben also bereits die Jünger und alle, die mit ihnen versammelt waren, die erste Pfingstnovene abgehalten.
Von der privaten Frömmigkeitsübung zur öffentlichen Feier der Kirche
Besonderer Beliebtheit erfreute sich die Novene seit der Barockzeit. Damals wurde sie von den Gläubigen vor allem als fromme Übung im privaten Bereich praktiziert. Erst Papst Leo XIII. führte Ende des 19. Jahrhunderts eine öffentliche Feier für die ganze Kirche ein: Mit seiner Enzyklika "Divinum illud munus" ordnete er an, dass vor dem Pfingstfest in allen Pfarrkirchen und Kapellen eine neuntägige Andacht gehalten werden soll. Leo XIII. wollte die Verehrung des Heiligen Geistes fördern und gewährte allen, die an der Novene teilnehmen, "für alle Zukunft aus dem Schatz der Kirche" einen vollkommenen Ablass, "wenn sie nach gültiger Beichte und würdigem Empfang der heiligen Kommunion nach Unserer Meinung beten".
Die Praxis des neuntägigen Gebets ist aber nicht nur auf die Bitte um den Heiligen Geist im Vorfeld des Pfingstfestes beschränkt. So sind etwa auch Novenen zur Vorbereitung auf andere Hochfeste wie Ostern und Weihnachten oder das Fest der unbefleckten Empfängnis Marias verbreitet. Außerdem ist die Novene nach wie vor als private Frömmigkeitsübung vor einer wichtigen persönlichen Entscheidung oder vor bedeutenden Lebensereignissen wie einer Weihe beliebt. Dazu sind im Laufe der Zeit eine schier unüberschaubare Zahl an Gebetsvorlagen entstanden, von denen manche einen besonderen Aspekt des christlichen Glaubens aufgreifen, wie die "Novene von der göttlichen Barmherzigkeit" oder die "Novene zu Ehren der Menschwerdung des göttlichen Wortes", während andere die Fürbitte und Hilfe eines bestimmten Heiligen erflehen, wie etwa die Novenen zum heiligen Josef oder zum heiligen Judas Thaddäus.
Aufwertung der Pfingstnovene durch die Liturgiereform
Bei all dieser Vielfalt bleibt jedoch die Pfingstnovene die "Mutter" aller Novenen. In ihr bittet die Kirche um den Beistand des Heiligen Geistes als Gegenwart Gottes im Leben jedes einzelnen Menschen. Darum wurde die Pfingstnovene durch die Liturgiereform des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-65) aufgewertet und ist seitdem Teil der offiziellen Liturgie der Kirche, kommt also in der Messfeier und im Stundengebet vor. In der Grundordnung des Kirchenjahres von 1969 wurde diese Neuerung mit der schlichten Formulierung festgehalten: "Die Wochentage nach Christi Himmelfahrt bis zum Samstag vor Pfingsten einschließlich bereiten auf die Herabkunft des Heiligen Geistes vor" (GOK 26).
In der konkreten liturgischen Praxis äußert sich das darin, dass an diesen Tagen in den Gebetstexten der Messe und im Stundengebet immer wieder um die Erfüllung der Verheißung Jesu gebetet wird, seinen Gläubigen den Heiligen Geist zu senden. So lautet etwa die Tagesoration am Samstag nach Christi Himmelfahrt: "Herr, unser Gott, dein Sohn hat vor seiner Himmelfahrt seinen Aposteln den Heiligen Geist verheißen. Sie haben den Reichtum der göttlichen Weisheit empfangen; schenke auch uns die Gaben deines Geistes." Durch die Auswahl von entsprechenden Liedern zum Heiligen Geist kann der Bittcharakter dieser Zeit zusätzlich verdeutlicht werden. Auch in der Vesper, dem kirchlichen Abendgebet wird während der gesamten Novene der Hymnus "Komm, Heilger Geist, der Leben schafft" gesungen und in den Fürbitten um die Einheit der Kirche, um Trost, Weisheit und Glaubensfreude gebetet – allesamt Werke des Heiligen Geistes.
Für die Feier der Pfingstnovene – sei es als besonders hervorgehobener Bestandteil der Messe, als eigene Andacht in der Kirche oder zuhause im kleinen Kreis – bietet sich etwa das Wechselgebet zum Heiligen Geist aus dem Gotteslob an (Nr. 675,5). Aber auch der altehrwürdige Text der Pfingstsequenz "Komm herab, o Heilger Geist" (Nr. 344) lohnt sich für eine kurze tägliche Meditation über den "Gast, der Herz und Sinn erfreut".
Eine eigene Pfingstnovene bringt das Osteuropa-Hilfswerk "Renovabis" im Rahmen seiner alljährlichen Pfingstaktion heraus. Die Auswahl der Schrift- und Gebetstexte, der Gesänge und Impulse erfolgt durch wechselnde Autorinnen und Autoren. Die diesjährige Pfingstnovene widmet sich dem Thema der Schöpfungsverantwortung und kann auf der Homepage von "Renovabis" heruntergeladen oder als Gebetsheft bestellt werden.
Ziel der Novene ist nicht "mehr", sondern "tiefer"
Bereits der kurze Überblick macht deutlich: Die Feier der Pfingstnovene ist nicht an ein bestimmtes Gebet gebunden, sondern kann sich in den unterschiedlichsten Formen ausdrücken. Auch die übrigen Novenen sind in ihrem Ablauf nicht festgelegt. Manche bestehen in langen Litaneien, in denen etwa die Ehrennamen Jesu oder Marias angerufen werden. Andere haben ein kurzes Einleitungsgebet, an das täglich wechselnde Teile angehängt werden. Und bei wieder anderen wird ein immer gleichbleibender Text an allen neun Tagen wie ein Gebetsmantra wiederholt.
Im Grunde genügt für das persönliche Gebet schon ein einfaches Vaterunser oder ein kurzer Ausdruck des Dankes oder der Bitte an Gott, geht es bei der Novene doch grundsätzlich nicht um ein "Mehr" an Frömmigkeit, sondern um die "Tiefe" des Gebets. Wie in allen Bereichen des Glaubens kann es auch beim Gebetsverständnis zu einer Schieflage kommen, wenn man vom sprichwörtlichen "Viel hilft viel" ausgeht. Jede Vorstellung, Gott mit zählbaren Gebetsleistungen von den eigenen Wünschen überzeugen zu können, führt letztlich in "Teufels Küche": Wie sollte man erklären, dass Gott dem einen Menschen in seiner Not hilft und dem anderen nicht? Hat er etwa zu wenig gebetet – oder falsch? Wie wäre das mit Gottes Güte zu vereinbaren?
Gerade in dieser Hinsicht handelt es sich bei der Pfingstnovene um ein "kluges" und zu jeder Zeit aktuelles Gebet: Die Bitte um den Heiligen Geist zielt nicht darauf, die Welt nach meinen persönlichen Vorstellungen umzukrempeln. Die erbetenen Gaben des Geistes wirken allesamt in mir und sollen mich von innen heraus verändern: "der Geist der Weisheit und der Einsicht, der Geist des Rates und der Stärke, der Geist der Erkenntnis und der Gottesfurcht" (Jes 11,2).